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Eine Polizistin bewacht die Räumung der Protestcamps im Hambacher Forst.

© Oliver Berg/dpa/AFP

Matthies meint: Die einen und die anderen Bäume

Jeder Baum, der im Hambacher Forst gefällt wird, tut weh. Andererseits fällt jährlich deutlich mehr, um Platz für Windkraftanlagen zu machen. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Lars von Törne

Es geht mir wie vermutlich allen, die das im Fernsehen oder anderswo verfolgen: Jeder Baum, der im Hambacher Forst fällt, tut weh. Der vergangene Sommer hat uns gezeigt, wie sensibel Bäume sind, Kastanien werfen das Laub ab, Eichen befreien sich von Eicheln, manch wertvoller Solitär beendet sein Leben, weil einfach das Wasser nicht reicht. Und nicht zuletzt suggerieren uns einschlägige Bestseller, dass Bäume auch irgendwie Menschen sind, die nur nicht so viel in der Gegend herumrennen.

Aber wie ist das nun genau mit dem Hambacher Forst? Es ist die Rede von 100 Hektar Fläche, die zugunsten des Braunkohletagebaus gerodet werden soll. Ob das so sein muss, darüber gehen die Meinungen weit auseinander, je nachdem, ob einer sich als Klimaschützer versteht oder ob er Arbeit hat im Tagebau und sich vor Blackouts im Stromnetz mehr fürchtet als vor globaler Erwärmung.

Im Endergebnis ist jeder gefällte Baum einer zu viel

Die mehrheitliche Meinung im Land scheint ziemlich eindeutig: Wer da gegen die eindeutige Rechtslage anrennt, tut das quasi, um die Welt zu retten, da darf man nicht so zimperlich sein in Sachen Gewalt. Andererseits fällt in Deutschland jedes Jahr nach überschlägigen Schätzungen deutlich mehr als ein Hambacher Forst, um im Wald Platz für Windkraftanlagen zu machen, und kein Mensch wirft deshalb mit Fäkalien und Steinen oder verbarrikadiert sich in Baumhäusern; allenfalls tritt mal ein Gemeinderat zurück. Und während sich die Hambacher Aktivisten erbost vor jedes geschützte Insekt stellen und die rare Bechsteinfledermaus – vorher nie gehört – zum Symbol ihres Kampfes erheben, lassen sie die zahllosen bekannteren Vögel, die von den Windkraftanlagen getötet werden, links liegen; die sterben für den gerade mal höheren Zweck, das ist halt Pech für sie, Kollateralschaden der Energiewende. Umweltschutz? So mit Pflanzen und Tieren? Das ist voll Nineties, nicht wahr?

Die Erfahrung zeigt, dass in der Politik solche Sachen selten einfach so geschehen, weil nette Menschen nette Ideen haben. Vorher gibt es mehr oder weniger lautlose Lobbyarbeit, die die öffentliche Meinung in die gewünschte Richtung lenkt, und da sieht es im Moment mal wieder ganz so aus, als habe der ökologisch-industrielle Komplex die Nase weit vorn. Insgesamt ist das gut gemacht, wie nun die Braunkohlenleute wieder im Abseits stehen, das muss jeder Lobby-Feinschmecker zugeben. Aber im Endergebnis ist jeder gefällte Baum ein gefällter Baum zu viel.

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