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Das Geld ist da in den Industriestaaten. Nur ist es immer weniger gleichmäßig verteilt.

© imago

OECD-Studie über Ungleichheit: Mehrheit besorgt über Abstand zwischen Arm und Reich

Die Ungleichheit in den reichen Ländern wächst, die Angst davor auch. Die OECD sieht nach Corona Chancen, den Abstand zu verkürzen.

Ungleichheit in den reichen Staaten der Welt wird von deren Bürger:innen als massives Problem gesehen: Wie aus einer am Donnerstag erschienen Datenauswertung der OECD hervorgeht, halten vier von fünf Personen die Abstände zwischen Reich und Arm für zu groß und die Verteilung von Chancen und Geld in ihren Ländern für größer als erträglich. Die Hälfte von ihnen meint dies sogar mit Nachdruck.

Wiederum 80 Prozent derer, die Ungleichheit als Problem sehen, halten es für die Aufgabe von Regierungen, etwas dagegen zu tun.

"Ungleichheit nicht als zweitrangig sehen"

Die Einschätzung, wie ungerecht und ungleich die eigene Gesellschaft sei, zeigt nach Meinung der Studienautor;innen der OECD “Zeichen von Polarisierung”.

Die Schere zwischen denen, die glaubten, die Ungleichheit sei drastisch, und denen, die sie für gering hielten, sei in den letzten drei Jahrzehnten immer weiter auseinandergegangen. Ein weiterer interessanter Befund der OECD-Auswertung: Die Sorge um zu große Unterschiede von Einkommen und Chancen hat wenig mit dem eigenen sozialen und wirtschaftlichen Status zu tun.

Nur zehn Prozent der unterschiedlichen Einschätzungen seien mit dem sozioökonomischen Status der Befragten zu erklären. 90 Prozent der Unterschiede spalteten Menschen in ähnlichen sozialen Milieus. Insgesamt scheine die Ansicht schwächer zu werden, wer sich nur anstrenge, werde es schon zu etwas bringen. Bis zur Finanzkrise ab 2008 war die Zustimmung zu dieser Ansicht jahrelang gewachsen.

Drastische Unterschiede gibt es aber von Land zu Land: In Polen beispielsweise glaubt jede und jeder Vierte, dass Menschen vor allem deshalb arm sind, weil sie sich weniger anstrengen oder einfach Pech hatten. In Deutschland meinen dies nur vier Prozent, in Österreich sechs.

 Auch Investitionen in Bildung und Gesundheit sollen Ungleichheit verringern

Meinungsunterschiede stellten die Forscher:innen auch fest, wenn es um Möglichkeiten geht, Ungleichheit zu verringern. Für stärkere Besteuerung des reicheren Teils der Bevölkerung gibt es generell mehr Unterstützung, wenn mehr Ungleichheit wahrgenommen wird, selbst unter den Besserverdienenden – wobei deren Bereitschaft für Umverteilung abnimmt, je mehr sie verdienen.

Die, die sie befürworten, sind aber in allen OECD-Ländern immer weniger als die, die sich Sorgen wegen der Ungleichheit in ihrem Land machen. Die Zustimmung zu Reichensteuern ist auch geringer bei denen, die die öffentliche Verwaltung als korrupt wahrnehmen und daher fürchten, die Steuern landeten in den falschen Kassen.

Und wer nicht nur große Einkommensunterschiede sieht, sondern auch geringe Aufstiegschancen in seinem Land, ist zusätzlich dafür, dass die öffentliche Hand in Schulen, Ausbildung und die Gesundheitsversorgung investiert.

Die Toleranz für Ungleichheit ist ebenfalls gewachsen: Im Schnitt meinen die Befragten heute, dass die Topverdienste nicht mehr als viermal so hoch sein sollten wie die geringsten Einkommen. In den späten 1980ern hielten die Befragten lediglich das Dreifache für erträglich.

Deutsche besorgt über geringe Aufstiegschancen

In Deutschland sind die Grenzen des Akzeptablen etwas höher, dennoch ist die Besorgnis über Ungleichheit hier besonders stark, wie die Forscher feststellen. Die Sorge um mangelnde Aufstiegschancen ist in Deutschland der Studie zufolge sehr weit verbreitet.

Und die Meinungen darüber, wer am meisten und wer am wenigsten hat, gehen in Deutschland besonders stark auseinander: von denen, die meinen, die Reichsten besäßen 20 Prozent des Reichtums des Landes, bis zu denen, die ihnen 60 bis 80 Prozent zutrauen.

Die OECD hat seit der weltweiten Finanzkrise vor 13 Jahren immer wieder verschiedene Aspekte von Ungleichheit und Aufstiegschancen in ihren 34 Mitgliedsländern erforscht und mehrere Studien dazu veröffentlicht. Zuletzt erschien 2019 eine über den Druck auf die Mittelschichten (“Under Pressure. The Squeezed Middle Class”).

Ihre neue Studie – die sich auf die letzten verfügbaren Daten vor der Pandemie von 2017 stützt - begründet sie mit der Situation durch Covid. Die Pandemie habe Ungleichheit besonders stark offengelegt und sie außerdem verschärft.

Die Zeit danach werde Gelegenheit sein, das zur Überwindung der Pandemiefolgen  bereitgestellte Geld auch gegen Ungleichheit einzusetzen. Das werde aber “breite öffentliche Unterstützung brauchen”.

Coronahilfen haben Abstand von Reich und Arm leicht verringert - für den Moment

Dazu müsse die Politik etwas über die Haltungen und politischen Vorlieben der Bürger:innen wissen. So rät die Studie von Klientelpolitik ab: "Da auch Menschen in ähnlicher sozialer und wirtschaftlicher Lage sehr unterschiedlicher Meinung (über Ungleichheit und Chancen in ihren Gesellschaften, Anm. ade) sind, könnte eine Politik, die nur auf eine Gruppe zielt, womöglich nicht einmal deren volle Zustimmung erhalten."  

Im allgemeinen seien den meisten auch beide Aspekte wichtig, Einkommensungleichheit und Chancengleichheit. Insofern bekämen "Reformpakete, die beides angehen, wahrscheinlich mehr Unterstützung".

In Deutschland übrigens haben sich die Abstände zwischen Reich und Arm in der Pandemie sogar etwas verringert, um rund einen Prozentpunkt – jedenfalls für den Moment: Wie ein Team des Team des Wirtschaftsforschungszentrums DIW in Berlin in einer Studie herausfand, die diese Woche erschien, ist das ein üblicher Effekt von Krisenzeiten.

Auch Corona habe die deutschen Netto-Spitzeneinkünfte abgeflacht, während staatliche Hilfen die unteren Einkommen stabilisieren konnten.

Dass die Einkommensungleichheit in Krisen sinkt, schreiben die Ökonom:innen Geraldine Dany-Knedlik und Alexander Kriwoluzky, sei im wesentlichen Ergebnis von Mechanismen, die automatisch griffen, die Arbeitslosenversicherung zum Beispiel, und eigenen Krisenhilfen wie Kurzarbeitergeld. Beides helfe vor allem kleineren Einkommen.

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