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"Pegizei": Der umstrittene Polizeieinsatz gegen ein ZDF-Team sorgt für die erneute Debatte über die Nähe zu rechten Parteien von Polizisten.

© Michael/dpa

Nach Polizeieinsatz gegen ZDF-Team: Das sächsische Drama

Menschen mit völkischem Mobilisierungspotenzial finden sich überall, auch bei der Polizei. Ein Gastbeitrag.

Blauhelme nach Sachsen!, tönte es im Herbst 2016 durch die Social-Media- Kanäle brachial ironisch. „Schaut auf dieses Sachsen, in dem die Rechtsstaatlichkeit droht, von rechts übernommen zu werden!“, hätte der Hilferuf weniger implizit gelautet. Seitdem verschoben sich gefühlte Mehrheitsverhältnisse weiter nach rechts, weil Selbstjustiz und andere Rechtsverstöße zu lax behandelt, den Verschwörungstheorien und Querfront-Bestrebungen kein Einhalt geboten wurde. Und weil sich Zivilbevölkerung und Politik ungefähr so zuständig fühlten wie das Publikum in einem Theatersaal für den Fortgang eines Stückes.

Für die Dresdner Inszenierung mit Semperoper oder Frauenkirche als Kulisse traf keine gängige Bezeichnung zu. Da demonstrierten Menschen tief im Osten, in einem weitestgehend atheistischen Bundesland, in dem es kaum Ausländer gab, gegen eine vermeintliche Islamisierung des „Abendlands“. Selbst übler Klamauk entbehrt selten so sehr einer realen Grundlage. Das große Kopfschütteln und Staunen aufseiten des Publikums führte zu fruchtlosen Analyseversuchen, weil uns das wissenschaftlich geprägte Denken die Reihenfolge vorgibt, erst ein Problem verstehen, um dann entsprechend handeln zu können.

Das Problem daran ist, dass es logisch nicht zu verstehen ist, warum Menschen Donald Trump wählen, Wladimir Putin verehren oder Lutz Bachmann und Björn Höcke Beifall spenden. Die Inhalte von Rechtspopulisten bis Neofaschisten bauen eben nicht auf Logik. Bei kühlem Verstande würde keine Frau, kein Hartz-IV-Bezieher, kein Mensch mit Migrationshintergrund, kein Christ und kein Gebildeter, der sich dem humanistischen Ideal des „Abendlands“ verbunden fühlt, mit der AfD oder seiner Dresdner Vorfeldtruppe Pegida etwas zu tun haben wollen.

Die Inszenierung in Dresden führt uns seit vier Jahren jeden Montag, im Sommer nur jeden zweiten Montag, vor Augen, dass die Inhalte x-beliebig sein können, solange sie Gemeinschafts- und Stärkegefühl des sich einzeln kraftlos Fühlenden anspricht, kollektive Ängste schürt und genauso diffuse Erlösung verspricht.

Demagogen, die also um die Steuerung der Gefühle von Menschen in Massen wissen, finden in Dresden hervorragende Voraussetzungen in Form von Symbolen und Bildern, die emotional stark aufgeladen sind, wie etwa die Frauenkirche. Diese Kirche symbolisiert den schmerzvollen Verlust von Dresdens Glanz und Gloria und gleichermaßen den starken Zusammenhalt, der zu ihrer originalgetreuen Neuerrichtung führte. Zu den Paradoxien, die so evident sind, dass sie niemand ausspricht, gehört, dass Neofaschisten ihren Opferkult darauf gründen, dass die Stadt Ende des Zweiten Weltkrieges bombardiert worden war, weil deutsche Faschisten den Zweiten Weltkrieg begonnen hatten.

Von den fließenden Übergängen von DDR-Ideologie zu Querfront-Einstellungen, von Kultiviertheit und Überfreundlichkeit zu Feigheit und Naivität oder aus kommunikativer Sicht dem gegenseitigen Hochschaukeln von Positionen – solche Phänomenbeschreibungen wie auch mentalitätsbedingte Erklärungsversuche binden Kräfte, währenddessen das Theaterstück mittels seiner Beharrlichkeit und Masse der Darsteller Realität behauptet. Das Selbst- und Sendebewusstsein wächst angesichts mangelnder Gegenmasse weiter.

Es braucht ganz Deutschland, um die Mehrheitsverhältnisse zugunsten progressiver und pluralistischer Kräfte zu verschieben

„Bringt denn das was?“, ist eine Frage, die OrganisatorInnen von Gegenprotest zu hören bekommen. Die Dresdner Bevölkerung hat bis heute nicht verstanden, dass es zahlenmäßig überlegenen Protest in Hör- und Sichtweite braucht, um die Mehrheitsverhältnisse wieder abzubilden. Und wenn sich endlich jemand aufmacht, seiner demokratischen Gesinnung Ausdruck zu verleihen, erfährt er, wie es sich anfühlt, in einer Gruppe von 100 am Rande einer Gruppe von 1500 bis 2000 um Hetzer und Vorbestrafte sich scharenden Menschen zu stehen. Mit Ausnahme von großen Gegendemos wie von „Herz statt Hetze“ und „Dresden Nazifrei“ im Oktober 2016 mit bis zu 8000 Teilnehmern halten Woche um Woche bis zur Entkräftung ausharrende Engagierte das Fähnchen der Demokratie hoch, während andere DresdnerInnen Montagabend einkaufen gehen, Zeitung lesen, am Klavier sitzen oder mit der Familie essen.

Demonstranten sind aus Polizeisicht vermutlich leichter händelbar, solange sie die kleinere Gruppe darstellen. So wurden bei einer Demo gegen Pegida im Oktober 2016 am Hauptbahnhof ankommende Gegendemonstranten direkt eingekesselt und einer ID-Feststellung unterzogen. Am Albertplatz wurden friedliche, eher dunkel gekleidete Demonstranten eingekreist, was Menschen, die hinzukommen wollten, abhielt.

Solche grenzwertigen Vorgehensweisen, die man als Eingriff in die Versammlungsfreiheit deuten kann, werden befördert von einer erzkonservativen Haltung der seit 1990 regierenden CDU, die dazu neigt, demokratisch engagierte Menschen mit links und linksradikal gleichzusetzen (während paradoxerweise Gefahrenpotenzial, das sich durch fremdenfeindliche Übergriffe und rechtsradikale Morde äußert, weniger ernst genommen zu werden scheint.)

Sachsen gehört zu den eher braunen Bundesländern und die Mitte-Studie zeigt immer wieder, in welchem erschreckend stabilen Maß rassistisches und autoritär-völkisches Mobilisierungspotenzial in der Bevölkerung vorherrscht. Menschen mit solchen Einstellungen finden sich in Behörden, in Schulen, in Medienhäusern, bei der Polizei, beim Verfassungsschutz genauso wie Menschen mit weltoffenen, der Aufklärung verpflichteten Einstellungen und, was in dualistisch-vereinfachenden Zeiten schnell vergessen wird, allen Abstufungen dazwischen. Wenn sich die Mehrheitsverhältnisse wieder zugunsten der progressiven und pluralistischen Kräfte verschieben sollen, scheint dies nur mit Hilfe der Bundespolitik und Menschen mit Zivilcourage in ganz Deutschland möglich. Denn die demokratisch Engagierten vor Ort sind passiven Zweifeln, mitunter aktiven Angriffen ausgesetzt. Manchmal fühlt es sich an wie ein Kampf gegen Windmühlen, weil die Gründe für die oft fehlende offizielle Unterstützung schwer zu entwirren sind. Ist es Nichtwollen, Nichtkönnen, Auswirkung von Braindrift, von Duckmäusertum, bewusste Behinderung? In Sachsen scheint man schon Mut zu brauchen, um für die demokratischen Grundwerte unserer Republik einzutreten. Aber immer mehr Menschen erkennen die Notwendigkeit und auch diese Menschen spüren die Kraft gemeinsamer Ziele.

Am 1. September 2019 wird in Sachsen der Landtag neu gewählt. An dem Tag, der den Beginn des Zweiten Weltkrieges markierte und sowohl in der DDR als auch in der BRD als Weltfriedenstag begangen wurde, stellen sich die Weichen für die Zukunft unseres ganzen Landes. Bei der vergangenen Bundestagswahl errang die AfD in Sachsen 27 Prozent und war stärkste Kraft noch vor der CDU. Die Landtagswahl kann also zum Startschuss für einen zweiten deutschen Faschismus werden oder zum Symbol einer wehrhaften Demokratie.

Deshalb: Schaut auf dieses Sachsen und kommt mit Helmen aller Couleur! Beendet dieses Schauspiel, es ist so absurd wie gefährlich, weil es mit Worten und Bildern zu Handlungen verführt, die dann in der Realität stattfinden.

Anna Kaleri ist Schriftstellerin und Gründerin der Initiative „Literatur statt Brandsätze“, aus der der Verein „Lauter Leise e.V. Kunst und Demokratie in Sachsen“ hervorging. Sie lebt in Leipzig.

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Anna Kaleri

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