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Eine Frau läuft am 22. Oktober 2020 durch die Altstadt von Stockholm, Schweden.

© Amir Nabizadeh/TT News Agency/REUTERS

Neue Corona-Maßnahmen: Statt „Lockdown-Light“ brauchen wir Schweden-Light

Die Politik spielt energisches Durchgreifen vor, handelt aber inkonsequent. Was stattdessen helfen könnte. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Stephan-Andreas Casdorff

Es war ja schon schwierig genug, sich auf diese Maßnahmen einigermaßen zu verständigen. Weil jeder und jede weiß, dass es nicht gelingen kann, das Virus zu kontrollieren; bei welchem gelänge das schon. Sondern wir sollen, ja müssen uns schützen gegen eine Gefahr, die man nicht sehen kann. Darum: Hinter der Unklarheit in den Formulierungen führender Politiker steckt mindestens so viel Unklarheit im Denken.

Das gilt im Übrigen auch für die Virologen. Sie mögen Experten auf ihrem Gebiet sein – aber nicht auf dem der Pandemieeingrenzung. Das ist Epidemiologie, Soziologie, Sozialpsychologie, hat mit ihrer Profession nichts zu tun, da haben Virologen Autorität nur aufgrund der Lage, und die auch nur geborgt.

Das beschreibt den Unterschied zwischen dem „Was“ und dem „Was dann“; für das „Was“ haben wir viele Fachleute. Und für das andere? Da bleibt es im Wesentlichen inkonsequent. Ein Beispiel: Noch vor wenigen Wochen hieß es, dass regional entschieden werden müsse, subregional, sogar lokal. Es ging um die Frage, wie genau Maßnahmen angepasst werden könnten, kleinteilig, treffgenau.

Und jetzt wird doch wieder national entschieden. Oder anders: zu entscheiden versucht. Denn sicher ist es nicht, dass das Entschiedene vor Gerichten Bestand hat. Für die Politik, die zur Durchsetzung bei den Bürgern gerade in diesem Fall dringend auf Autorität angewiesen ist, wäre das die nächste Katastrophe. Einige dieser Art hat sie ja schon erlebt.

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Da kann jede neue Rücknahme von Beschlüssen durch Gerichte eine zu viel sein. Warum? Weil auch Richter sehen: Restaurants werden geschlossen, aber täglich fahren immer noch Hunderttausende mit Bus und Bahn, viele zur Arbeit. Gaststätten werden geschlossen, obwohl sie Hygienekonzepte haben, offenkundig so gute, dass sie den Zahlen zufolge keine Treiber der Pandemie sind.

Eigenverantwortung und Schutz der Risikogruppen

Im Gegensatz zu Feiern daheim, wo – das am Rande – immer noch der Verfassungsgrundsatz der Unverletzlichkeit der Wohnung gilt. Da soll die Polizei mal anrücken. Die Klagen folgen auf dem Fuß. Kurz: Wir wissen vielleicht nicht, wo sich die Leute anstecken, aber wir wissen, wo sie es eher nicht tun, und genau dort wird jetzt zugemacht.

Weil es entbehrlich ist? Weil es energisches Durchgreifen vorspielt. Das wird das Problem aber nicht lösen. Was geschieht dann am Endes des Monats? Wie kann die Politik jetzt schon das Thema Weihnachten aufbringen, ohne auch nur annähernd eine Antwort darauf zu haben? Das wird noch mehr Autorität kosten. Die Bürger bekommen schon mit, dass die vermeintliche Logik vorgeschoben ist.

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Denn gibt es tatsächlich die aktuelle Notlage, von der die Rede ist – dann ist das alles nicht genug. Dann muss alles runtergefahren, zugeschlossen werden, was nicht unbedingt überlebensnotwendig ist. Also offen wären dann noch der Lebensmitteleinzelhandel und Apotheken. Für zwei Wochen. Alle blieben zu Hause. Natürlich auch die Kinder. Wenn das nicht geht?

Dann muss etwas anderes gehen. Dann muss einerseits die Eigenverantwortung der Länder und der Bürger in den Ländern für ihr Leben betont werden, andererseits müssen die Risikogruppen geschützt werden. Das klingt wie das Gegenteil von Regierungspädagogik, die immer mehr Menschen inzwischen als Bevormundung ablehnen.

Das klingt wie: Mehr Schweden wagen. Allerdings ohne die Fehler der ersten Welle, mit mehr und effektivem Schutz der Risikogruppen, mit allen Testmöglichkeiten, den sichersten Masken, mit praktikablen Umgangsregeln und Zugangsbestimmungen zu Heimen... Sich auf einen solchen Weg zu verständigen, wird angesichts der Lage und der Ängste in der Politik aber höchstwahrscheinlich zu schwierig.

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