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Ein Tage, an den man noch lange denken wird, meint Bayerns Ministerpräsident Markus Söder.

© dpa

Neue Corona-Regeln: „Der Lockdown light atmet einen undemokratischen Geist“

Auch in einer Pandemie muss der Staat Interessen abwägen. Dabei versagt die Regierung derzeit. Teile der Maßnahmen sind rechtswidrig. Ein Gastbeitrag.

Beginnen wir mit einem großen Wort: Das nun zwischen der Kanzlerin und den Ministerpräsidenten vereinbarte Maßnahmenpaket zur Corona-Bekämpfung atmet undemokratischen und anti-rechtsstaatlichen Geist. Zunächst ignorieren die Beschlüsse die Entscheidungen diverser Oberverwaltungsgerichte zum Beherbergungsverbot der vergangenen Tage.

Die Gerichte in Baden-Württemberg, Schleswig-Holstein, Sachsen-Anhalt und anderswo befanden das Verbot für evident verfassungswidrig, weshalb es dort jeweils für nichtig erklärt wurde.

Die Runde der Regierungschefs missachtete diese Entscheidungen und setzte sich einfach darüber hinweg – und damit über die Gewaltenteilung. Die Frage drängt sich auf: Welches Denken verbirgt sich hinter dem Handeln der Exekutive, die sich nicht mehr an Recht und Gesetz gebunden fühlt?

Ähnlich verhält es sich mit der Entscheidung, Gaststätten und Restaurants für einige Wochen zu schließen, um das Infektionsgeschehen in den Griff zu bekommen.

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Logik? Sucht man vergebens

Übrigens gegen den Rat des Robert Koch-Institutes, das darauf hinwies, dass die Hygienekonzepte offensichtlich ihre Wirkung entfalteten. Denn ein relevantes Infektionsgeschehen ging von diesen Betrieben nicht aus. Infektiologisch deutlich schlimmer seien vielmehr private Zusammenkünfte.

[Mehr zum Thema: Experten uneins beim Umgang mit Corona - mehr Offenheit oder schärfere Einschränkung für alle?]

Eine Logik hinter dieser Maßnahme gibt es wahrlich nicht. Die Restaurants, in denen das Konzept funktioniert, sollen wegen privater Zusammenkünfte schließen, bei denen es gar kein Konzept gibt. Folge ist, dass die Treffen, die in Restaurants stattgefunden hätten, in den privaten Raum verlegt werden.

Was angeblich das Infektionsrisiko senken soll, führt faktisch zu einer Verschärfung der Infektionsgefahr, weil die Treffen in den unkontrollierten Raum ausweichen. Vernünftig wäre doch, die Restaurants rund um die Uhr zu öffnen, damit möglichst viele Treffen unter kontrollierten Hygienemaßnahmen stattfinden könnten.

Doch um eine nachvollziehbare Begründung ging es den Ministerialen aber wohl nicht, wenn selbst die Expertise des RKI keine Rolle gespielt hat. Daher drängt sich der Eindruck auf, dass diese Zwangsschließung von Gaststätten und Restaurants eine psychologische Wirkung auf die angeblich immer noch zu nachlässige Gesellschaft entfalten sollte.

Unsere Verfassung sieht keinen staatlichen Erziehungsauftrag vor

„Wer Essen gehen kann, hat offenbar den Ernst der Lage noch nicht verstanden“ – so die Denklogik Helge Brauns und seiner Mitarbeiter. Dass dies evident rechtswidrig ist, muss den Beamtinnen und Beamten des Kanzleramtes klar gewesen sein. Unsere Verfassung sieht dankenswerterweise keinen staatlichen Erziehungsauftrag vor, sondern will – im Gegenteil! – die größtmögliche Freiheit gewähren. Das Grundgesetz vertraut auf den mündigen Bürger und seine Entscheidungskraft.

Eine solche Einschränkung von Grundrechten ohne fachliche Begründung steht deshalb nicht auf dem Boden unserer demokratischen Ordnung. Vielmehr rückt sie staatliches Handeln in den Bereich des Autoritären, wenn individuelles Handeln begründungslos eingegrenzt und Menschen behördlich zum „richtigen“ Handeln angeleitet werden. Dass diese Maßnahmen möglichst ohne Beteiligung der Parlamente ins Werk gesetzt werden sollen, verleiht dem Ganzen einen besonders üblen Beigeschmack.

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Geradezu perfide ist die Argumentation der Regierenden, die wir in diesen wirren Zeiten häufiger zu hören bekommen. Die harten Einschnitte seien notwendig und verhältnismäßig im Hinblick auf das zu schützende Rechtsgut der Gesundheit der Bevölkerung.

Denn das oberste Ziel staatlichen Handelns ist nicht der Infektionsschutz oder der Schutz des Lebens, sondern die Menschenwürde. Wäre die Rettung von Menschenleben oberstes Ziel, wäre die effizienteste Maßnahme, die Menschen für drei Wochen in absolute Quarantäne zu bringen, damit sich das Virus in Deutschland totläuft.

Der Staat muss vernünftig abwägen

Deshalb ist die Aufgabe des Staates immer eine Frage der vernünftigen Abwägung – auch zwischen Freiheitsrechten und Lebensschutz. Eine Maßnahme wäre dabei etwa, den Bewohnerinnen und Bewohnern in Altenheimen sowie deren Besuchern FFP2-Masken zur Verfügung zu stellen, damit mit einem relativ kleinen Freiheitseingriff möglichst viele Kontakte wieder ermöglicht werden.

[Alle aktuellen Entwicklungen in Folge der Coronavirus-Pandemie finden Sie hier in unserem Newsblog. Über die Entwicklungen speziell in Berlin halten wir Sie an dieser Stelle auf dem Laufenden]

Die Bundesregierung erklärt uns, dass dieser erneute Lockdown ein lohnenswertes Ziel habe: Weihnachten unter besseren Bedingungen, wenn wir jetzt diszipliniert mit der Virus-Gefahr umgehen. Die Frage stellt sich jedoch: Wer garantiert uns, dass das Infektionsgeschehen zu den Festtagen wieder Lockerungen erlaubt?

Die Kanzlerin weiß, dass dies niemand garantieren kann – und dass Weihnachten dann ohne Kontaktbeschränkungen möglich sein wird, glaubt sie sicherlich auch nicht. Vielmehr bekommen viele Menschen den Eindruck, dass sie ihr Verhalten nicht mehr an Recht und Gesetz messen sollen, sondern in den moralischen Kategorien des Bundeskanzleramtes – die über dem Gesetz stehen.

Für die Akzeptanz unserer Rechtsordnung stehen offensichtlich schwere Zeiten an. Es bedarf mehr Demokraten, die sich für sie in die Bresche schlagen.

Wolfgang Kubicki ist stellvertretender Bundesvorsitzender der FDP und Vizepräsident des Bundestages

Wolfgang Kubicki

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