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Omid Nouripour hat ein turbulentes erstes Jahr als Parteivorsitzender hinter sich.

© Michael Hübner für den Tagesspiegel / MICHAEL HUEBNER

Exklusiv

Nouripour stellte sich als Grünen-Chef infrage: „Ich fing an, mich zu fragen, ob das jemals wieder aufhört“

Erstmals spricht Grünen-Chef Omid Nouripour offen über seine Long-Covid-Erkrankung und die Härten des Politikbetriebs. Auch seine eigene Rolle hinterfragte er.

Grünen-Chef Omid Nouripour hat sich erstmals ausführlich zu den Folgen seiner Covid-Erkrankung geäußert. „Ich habe meine eigene Vergänglichkeit vorgeführt bekommen“, sagte Nouripour dem Tagesspiegel.

Der 47-Jährige hatte sich im Frühjahr mit dem Virus infiziert. „Das war hart“, sagte er. Tagelang sei er nicht aus dem Bett gekommen, habe aber trotzdem versucht, die Geschäfte als Parteivorsitzender zu führen. „Ich war laufend erschöpft. Das hat mich physisch über meine Grenzen gebracht“, sagte Nouripour weiter.

Noch über Monate hatte Nouripour nach eigenen Angaben Long Covid in Form von regelmäßigen Schwindelanfällen: „Ich saß bei politischen Gesprächen und alles drehte sich plötzlich, teilweise für eine Minute“, sagte Nouripour. In den ersten zwei Monaten habe sich sein Zustand nicht verbessert. „Ich fing an, mich zu fragen, ob das jemals wieder aufhört“, schilderte Nouripour.

Mich hat zunehmend die Frage beschäftigt, ob ich dem gerecht werden konnte, was meine Partei von ihrem Vorsitzenden braucht.

Grünen-Chef Omid Nouripour auf die Frage, ob er über einen Rücktritt nachgedacht habe.

Auf die Frage, ob er auch an Rücktritt gedacht habe, sagte Nouripour: „Mich hat zunehmend die Frage beschäftigt, ob ich dem gerecht werden konnte, was meine Partei von ihrem Vorsitzenden braucht.“ Und weiter: „Wenn man da das Gefühl hat, dass man nicht bis ans Limit gehen kann, was man aber tun muss, hinterfragt man sich.“

Seinen Angaben zufolge ließen die Symptome erst in der politischen Sommerpause nach. Sein Neurologe habe ihn dazu gedrängt, auf ausreichend Schlaf zu achten: „Im Sommer habe ich sechs bis sieben Stunden geschlafen – dadurch verschwand der Schwindel Stück für Stück, bis er dann endlich wegblieb“, sagte Nouripour dem Tagesspiegel.

Kritik am Umgang mit Krankheiten und Schwäche in der Spitzenpolitik

Seine Erfahrung mache ihn demütig, sagte der Grünen-Vorsitzende. „Das kennen vermutlich die meisten Menschen, die eine lange Krankheit durchgestanden haben“, sagte Nouripour, der inzwischen vollständig genesen ist und eigenen Angaben zufolge seit Herbst wieder 16-Stunden-Tage absolviert. „Ich finde, man ist reif, als Mensch und als Politiker, wenn man erkannt hat, dass man ersetzbar ist“, sagte Nouripour. Und weiter: „Niemand ist unersetzbar.“

Der Grünen-Chef äußerte sich außerdem kritisch über den Umgang mit Krankheiten und Schwächen in der Spitzenpolitik. „Grundsätzlich brauchen wir mehr Bewusstsein für Zwischenmenschlichkeit im Politikbetrieb“ sagte er. Und weiter: „Der Betrieb nimmt kaum Rücksicht auf Persönliches.“

Nouripour berichtete, dass Politiker versuchten, Krankheiten zu verbergen. Ein Kollege von ihm habe neulich eine orthopädische Operation gehabt. „Er hat mir von seinen Schmerzen in Sitzungen oder TV-Sendungen berichtet. Es tut Hölle weh – aber du darfst es nicht zeigen. Denn die andere Seite könnte die Schwäche ausnutzen oder da draußen wird gestreut, dass man nicht im Stande sei, seinen Job zu erledigen.“

Die Arbeitsbelastung für Abgeordnete ist nach Ansicht von Nouripour hoch. „Da kann man nicht einfach aussetzen. Es gibt aber auch viele Politiker, die Angst haben, dass der Zug ohne sie abfährt, und das stimmt. Der Zug wartet nicht.“

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