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Michael Kretschmer (CDU), Ministerpräsident von Sachsen

© Monika Skolimowska

Rechter Mob in Chemnitz: In Sachsen gefährdet die AfD die Macht der CDU

Die CDU Sachsen schließt ein Bündnis mit der AfD aus – zumindest tat sie das vor einem dramatischen Umfrage-Absturz. Wird Ministerpräsident Kretschmer diesen Kurs durchsetzen?

Von Matthias Meisner

Und dann auch noch diese - diplomatisch ausgedrückt - vermaledeite Umfrage: Ein Jahr vor der Landtagswahl in Sachsen ermittelt Infratest Dimap im Auftrag des MDR, dass die CDU Sachsen gegenüber dem Wahlergebnis 2014 um fast zehn Prozentpunkte auf 30 Prozent fällt. Dass die AfD mit derzeit 25 Prozent zur zweitstärksten Kraft im Dresdner Landtag werden könnte. Dass das schwarz-rote Regierungsbündnis aus CDU und SPD seine Mehrheit verliert. Und dass - für den Fall der nicht so unwahrscheinlichen Variante, dass Grüne und FDP an der Fünfprozenthürde scheitern - vielleicht AfD und Linke gemeinsam stärker werden könnten als alle anderen Fraktionen zusammen.

Nach dem zweiten Krawall-Abend in Chemnitz in Folge, nach dem die Warum-Sachsen?-Frage wieder bundesweit und sogar international laut gestellt wird, ist das für die seit 1990 im Freistaat regierenden Christdemokraten eine weitere Hiobsbotschaft. Noch immer hat die Sachsen-Union kein Rezept, wie die AfD, die bei der Bundestagswahl im vergangenen Herbst sogar knapp zur stärksten Partei in Sachsen wurde, kleinzubekommen ist. Nur die Hauptschuldige für das Desaster gilt bei ihr als ausgemacht: Kanzlerin Angela Merkel mit ihrer Flüchtlingspolitik.

Latent schwingt bei der Erklärung der CDU, warum Rechtsradikale in Sachsen - und die AfD ist hier extrem rechts - so viel Einfluss bekommen konnten, immer der Vorwurf eines "Sachsen-Bashings" mit. Ministerpräsident und CDU-Landeschef Michael Kretschmer spricht das auch am Dienstag aus, als er sagt, neben der bundesweiten Mobilisierung sei Chemnitz auch "durch überregionale Berichterstattung" für Extremisten attraktiver und interessanter geworden. Am Vortag, nach der ersten rechtsradikalen Spontan-Demonstration, hatte Kretschmer zunächst stundenlang geschwiegen. Um dann per Twitter deutlich zu machen, dass es ihm nun vor allem um das Image seines Bundeslandes geht: "Wir lassen nicht zu, dass das Bild unseres Landes durch Chaoten beschädigt wird." Am Dienstag erklärte er auf einer Pressekonferenz, Sachsen werde durch die rechten Aufmärsche einem Test unterzogen: "Es ist ein Kampf, wir werden ihn gewinnen."

Rechtsextremistische Gefahren relativiert

Geprägt ist dieser Kampf der Sachsen-CDU seit Jahren durch mangelnde Selbstkritik, Relativieren rechtsextremistischer Gefahren - und auch immer wieder einen Dialog mit "besorgten Bürgern", bei dem selbst Neonazis nicht ausgeschlossen werden. Geradezu typisch für grassierenden Realitätsverlust war die Feststellung des sächsischen CDU-Generalsekretärs Alexander Dierks am Dienstagfrüh im Deutschlandfunk, der zufolge die Polizei auf die Auseinandersetzungen in Chemnitz vorbereitet gewesen sei: "Es ist gelungen in einer sehr schwierigen Situation, Recht und Ordnung durchzusetzen."

Einbürgerungsfest im Juni 2013 im Landtag von Sachsen. Die CDU wolle Zuwanderung im Freistaat praktisch verunmöglichen, meint die Linkspartei.
Einbürgerungsfest im Juni 2013 im Landtag von Sachsen. Die CDU wolle Zuwanderung im Freistaat praktisch verunmöglichen, meint die Linkspartei.

© Matthias Hiekel/dpa-Zentralbild

Ganz ähnlich hatte es Kretschmer, sein Amtsvorgänger als Generalsekretär, formuliert, als 2016 in Bautzen die Konflikte zwischen Flüchtlingen und Rechtsradikalen in Bautzen hochkochten: "Der Freistaat Sachsen ist unglaublich stark dabei, diese rechtsextremistische Gewalt zurückzudrängen", sagte der heutige Ministerpräsident damals bei in der TV-Talkshow von Anne Will.

Bis 2004 hatte die CDU in Sachsen allein regiert, zunächst unter Kurt Biedenkopf mit einigem Erfolg. Doch sein Regierungsstil habe die Untertanenmentalität gefördert und der kritischen Zivilgesellschaft geschadet, schrieb der "Spiegel"-Journalist Andreas Wassermann vor ein paar Tagen im Blog "Liberale Moderne": "Für Rechtpopulisten ist das heute ein idealer Nährboden."

Zusammenarbeit von Linkspartei und AfD?

2019 käme die Sachsen-Union mit einer Kenia-Koalition aus CDU, SPD und Grünen - wie jetzt schon in Sachsen-Anhalt - noch glimpflich davon. Würden AfD und Linke gemeinsam alle anderen Fraktionen überflügeln, sind völlig neue politische Konstellationen in Sachsen denkbar: Wird der Freistaat das erste Bundesland sein, in dem CDU und AfD zusammen regieren? Lassen sich die Christdemokraten auf eine Zusammenarbeit mit der Linkspartei ein, wie sie in anderen Ost-Bundesländern im Gespräch ist? Oder wird es gar eine Kooperation zwischen AfD und Linken geben, wie der "Economist" kürzlich spekulierte - mit Blick darauf, dass die Linken-Spitzenpolitikerin Sahra Wagenknecht mit ihrer Sammlungsbewegung #Aufstehen auch auf das Wählerreservoir der AfD zielt?

Fragt man den Rico Gebhardt, als Linken-Fraktionschef im Landtag Oppositionsführer, mag er sich keine der Varianten vorstellen. "Es gibt keine Normalität zwischen CDU und Linkspartei, anders als in allen anderen ostdeutschen Bundesländern." Gebhardt wurmt es, dass die CDU seit Jahren links und rechts gleichsetze und davon spreche, dass Linksextremismus "ganz schlimm und im Freistaat Sachsen besonders ausgeprägt" sei. "Das labert jetzt die AfD nach", sagt er. Und die CDU, deren Positionen von rechts zugespitzt werden, "macht den Fehler, der AfD hinterherzulaufen", erklärt Gebhardt im Tagesspiegel-Interview.

Die Absage Kretschmers an ein Bündnis mit der AfD nehme er ihm persönlich ab, versichert der Linke. "Ich glaube es ihm, aber nicht seiner sächsischen CDU. Es gibt beachtliche Schnittmengen zwischen AfD und CDU in Sachsen, zum Beispiel in der Flüchtlingspolitik, aber auch in der Sozialpolitik. Praktisch will die CDU es unmöglich machen, dass es Zuwanderung in Sachsen gibt. Obwohl alle wissen, dass wir sie brauchen, schließlich hat Sachsen seit 1990 rund 800.000 Einwohner verloren." Gebhardt beobachtet, dass eine ganze Reihe von CDU-Landtagsabgeordneten schon immer freundlicher mit ihren Kollegen von der AfD umgegangen seien als mit den Politikerinnen und Politikern der Linken. "Ich weiß nicht, ob Kretschmer als Ministerpräsident und CDU-Landesvorsitzender stark genug ist, seine Absage an die AfD vor diesem Hintergrund durchzuhalten."

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