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Sexarbeiterinnen protestieren 2020 gegen die Folgen der Coronaauflagen für ihre Branche.

© Wolfgang Kumm/pa-dpa

Aktionstag der Prostituierten: „Redet mit uns, nicht nur über uns!“

Seit 47 Jahren ist der 2. Juni Internationaler Hurentag. In Deutschland kämpfen Sexworker:innen weiter gegen das Prostitutionsgesetz – und für Mitsprache.

Am 2. Juni 1975 besetzten mehr als 100 Prostituierte die Kirche Saint Nizier in Lyon, um gegen ihre Arbeitsbedingungen zu protestieren. Kolleginnen in anderen französischen Städten folgten. Unter erheblichem Druck der Polizei in den Jahren zuvor waren sie mehr und mehr dazu gezwungen, im Verborgenen zu arbeiten, zwei Kolleginnen waren im Jahr vor der Kirchenbesetzung ermordet worden. Nach einer guten Woche wurde die Kirche geräumt, aber der 2. Juni ist bis heute Internationaler Hurentag.

Und die Situation der Sexarbeiter:innen, die sich in den Jahren darauf teils gebessert hatte, wird längst wieder verschärft: In den skandinavischen Ländern gilt ein Sexkaufverbot, Frankreich zog vor wenigen Jahren nach, in Spaniens linke Regierung hat gerade ein Verbot der Werbung für Prostitution beschlossen. Legal ist Sexwork dagegen seit 2003 in Neuseeland, Belgien arbeitet gerade daran.

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Der Gedenk- und Aktionstag heute gilt in Deutschland erneut der Auseinandersetzung mit dem umstrittenen Prostitutionsgesetz der rot-schwarzen Koalition von vor fünf Jahren. In diesem Jahr steht seine Evaluation an, also die Prüfung, was es gebracht hat. Im Sinne seiner erklärten Zwecke wenig bis nichts, vermuten die Interessenvertretungen für Sexarbeit, so etwa Johanna Weber vom "Berufsverband erotische und sexuelle Dienstleistungen" (BesD).

Selbst Kirchen gegen Kriminalisierung

Die Aufregung um Zwangsprostituierte werde jetzt gerade durch Berichte über angeblich versklavte geflüchtete Ukrainerinnen wieder angeheizt. Aber beim Treffen der Beratungsstellen bundesweit sei in dieser Woche kein einziger Fall bekannt gewesen.

Die Regierung Merkel hatte im Sommer 2017 das liberale rot-grüne Gesetz von 2002 ersetzt durch ein „Gesetz zur Regulierung des Prostitutionsgewerbes sowie zum Schutz von in der Prostitution tätigen Personen“, kürzer „Prostituiertenschutzgesetz“. Die rot-grüne Regelung von 2002 schaffte seinerzeit die Sittenwidrigkeit ab, die es Sexarbeitenden unmöglich machte, ihren Lohn einzuklagen, wenn er verweigert wurde. Außerdem bekamen sie die Möglichkeit, sich zur Sozialversicherung anzumelden.

Das neue Gesetz, abgekürzt ProstSchG, verschärfte unter anderem die Auflagen für Bordelle stark und verpflichtet Sexworker:innen, sich bei den Behörden zu registrieren. Vor allem dies stieß auf den Widerstand im Gewerbe, wo man sich ans Polizeirecht des 19. Jahrhunderts erinnert fühlte und an die Übergriffsmöglichkeiten, die die Registrierung ermöglicht – etwa Zwangsoutings, die auch die Familien, vor allem die Kinder, der Sexworker:innen träfen.

Auch Beratungsstellen, selbst der Kirchen, stellten sich an ihre Seite: Das neue Gesetz bedeute, anders als es behaupte, "neue Gefahren statt Schutz", erklärten Frauenverbände, die Aidshilfs und die evangelische Diakonie, bereits während der Vorarbeit zum Gesetz. Zwangsprostitution werde es jedenfalls nicht verhindern. Amnesty International argumentierte ähnlich: Der beste Weg, Sexworker:innen zu schützen, sei, ihre Arbeit zu entkriminalisieren.

Hydra, eine der ältesten Selbstorganisationen von Prostituierten, kritisierte in einer Stellungnahme zum aktuellen Hurentag zudem, dass die geforderte Registrierung nur für Personen möglich sei, die eine Meldeadresse und eine Arbeitserlaubnis in Deutschland hätten: "Das Gesetz illegalisiert auf diese Weise systematisch arme Menschen mit und ohne Migrationsgeschichte."

"Die Sprache der 50er Jahre"

Trotz breiten Protests auch außerhalb des Gewerbes dürfte das gültige Gesetz noch nicht das Ende sein: In der SPD, die jetzt den Kanzler stellt, gab es schon in der vergangenen Legislaturperiode die Tendenz, Sexkauf wie in Schweden komplett zu verbieten. Die Bundestagsabgeordnete Leni Breymaier nannte dies seinerzeit im Gespräch mit dem Tagesspiegel "eine Frage der Haltung". Es solle "nicht mehr jeder 18-jährige Abiturient denken dürfen, er könne mit einer Frau machen, was er will". Ein Vorstoß von SPD und Union kurz vor der Sommerpause zielte darauf, vorerst Kunden härter zu bestrafen.

Johanna Weber ist Sprecherin des "Berufsverbands erotische und sexuelle Dienstleistungen".

© imago images/Jens Schicke

Die Frankfurter Hurenorganisation Dona Carmen ging in ihrer Erklärung zum Hurentag 2022 hart mit dem Wertegerüst der "herrschenden politischen Klasse" ins Gericht, die einen Hurenpass einführe, wie er zuletzt vom NS-Regime eingeführt wurde, und Urteile fälle, die "die Sprache der 50er Jahre" sprächen.

Als Beispiel nannte der Verein die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts gegen eine Bataillonskommandeurin der Bundeswehr von Ende Mai. Die hatte auf der Dating-Plattform Tinder eine offene sexuelle Beziehung gesucht, was das Gericht als Schädigung des Ansehens der Bundeswehr ansah. Die Anzeige erwecke nämlich "den falschen Eindruck eines wahllosen Sexuallebens".

Der Soldatin bescheinigte das Gericht "einen erheblichen Mangel an charakterlicher Integrität". Angesichts solcher Vorstellungen von Sittlichkeit, so Dona Carmen, bekomme man "eine leise Vorstellung davon, was auf den Umgang mit Prostitution im Zuge der Evaluation des Prostituiertenschutzgesetzes zukommen wird". Man werde sich in diesen Prozess einmischen.

Gefordert: Ein Runder Tisch und ein Platz dort

Das will auch der BesD. "Sexarbeitende fordern eine Mitsprache bei der Evaluation des Prostituiertenschutzgesetz sowie der Umsetzung des Gesetzes auf den Landesebenen. Wir sind diejenigen, die von diesen Regelungen direkt betroffen sind – wir können und wollen an sinnvollen Lösungen mitarbeiten und unsere Expertise beisteuern", heißt es in dessen Erklärung zum Hurentag.

Dazu werde man auch das Gespräch mit den Forscher:innen am Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen suchen, das den Zuschlag für die Prüfung des ProstSchG bekommen haben. "Wir sagen: Redet mit uns, nicht nur über uns", sagte Johanna Weber dem Tagesspiegel. Natürlich wolle man nicht Wissenschaftler:innen sagen, wie sie ihre Arbeit zu machen hätten. "Wir können aber unsere Erfahrung weitergeben und Impulse setzen."

Außerdem fordert der BesD einen Runden Tisch während der zwei Jahre, die die Evaluation dauern soll. Neben der Politik aus Bund, Ländern und Kommunen und Fachleuten aus Beratung und Forschung sollten dort auch Sexarbeiter:innen Platz haben. Gerade Berlin habe damit in den vergangenen Jahren gute Erfahrungen gemacht. "Ich bin eher skeptisch bei solchen Veranstaltungen", sagte Weber. "Hier haben aber alle Beteiligten viel gelernt und wurden sensibilisiert. Das ist mit am wichtigsten."

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