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Große Aufgabe für die Neuen: Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken, Vorsitzende der SPD, auf dem Parteitag im Dezember.

© Annegret Ilse/REUTERS

SPD-Wagenburg: Esken und Walter-Borjans nehmen Abschied von der Volkspartei

Von den Erfolgen ihrer Schwesterparteien im Burgenland oder in Dänemark will die SPD wohl nichts lernen. Das ist bedauernswert, aber konsequent. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Hans Monath

Es war kein guter Jahresauftakt für die deutsche Sozialdemokratie: Auch mit den neuen Vorsitzenden, mit denen viele Genossen große Hoffnungen auf einen Neuaufbruch verbanden, haben sich die miesen Umfragewerte nicht verbessert. Manche Institute melden sogar nur noch zwölf Prozent für die Regierungspartei.

Was Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans in der nachrichtenarmen Zeit seit Beginn der Weihnachtstage an Forderungen und Urteilen in die Welt gesetzt  hatten, klang nicht alles nach guter Abstimmung und langfristiger Strategie: Sie sprachen sich gegen die Stationierung von US-Atomwaffen in Deutschland aus, verlangten höhere Rentenbeiträge für Besserverdienende und widersprachen sich angesichts von Milliardenüberschüssen im Bundeshaushalt gegenseitig, als die Frage von Steuerentlastungen aufgerufen wurde: Die hielt Esken für gefährlich, während Walter-Borjans die Mittelschicht durchaus entlasten will.

In der Pressekonferenz nach der ersten Sitzung der engeren Parteiführung im Jahr 2020 versuchten die beiden Parteichefs nun, mit gemeinsamen Positionen aufzutreten. Einen Tag zuvor hatten die Schwesterpartei SPÖ und ihr Spitzenkandidat Hans Peter Doskozil bei der Wahl im Burgenland acht Prozentpunkte dazugewonnen und die absolute Mehrheit geholt.

Der SPÖ-Landeshauptmann, wie Ministerpräsidenten in Österreich heißen, und seine Landespartei hatten zuletzt mit der rechtspopulistischen FPÖ koaliert, die nun unter zehn Prozent stürzte. Dazu muss man wissen, dass viele dem ehemaligen Polizeidirektor Doskozil Kompetenz in Sicherheitsfragen und Härte in der Migrationspolitik zutrauen. Nun punktete er mit den Themen Mindestlohn, Verteilungsgerechtigkeit und besserer Pflege. Der im Amt bestätigte Sozialdemokrat ist ein stetiger Kritiker seiner Bundespartei, der er als „Rechtsaußen“ gilt.

Niemand weiß, ob die gleichen Rezepte in Wien funktionieren würden

Sicher darf man dieses Ereignis nicht überschätzen: Das ländlich geprägte Burgenland ist das kleinste von neun österreichischen Bundesländern und hat noch nicht einmal 300.000 Einwohner, also weniger als ein Berliner Bezirk wie Pankow oder Neukölln. Und womöglich würden die gleichen Angebote, die die SPÖ im Burgenland präsentierte, in der Metropole Wien gar nicht oder schlechter ankommen.

Doch es gibt andere Beispiele dafür, dass sich eine konsequente Linie in der Migrations- und Innenpolitik für Sozialdemokraten auszahlt. Im Juni gewann die dänische Schwesterpartei der SPD die Regierung, indem sie eine linke Sozial- und Steuerpolitik mit einer rigideren Linie in der Flüchtlings- und Integrationspolitik kombinierte. Die dänischen Rechtspopulisten dezimierte sie so um mehr als die Hälfte, Parteichefin Mette Frederiksen ist nun Regierungschefin in Kopenhagen.

Sozialdemokraten, die die Stimmanteile der Rechtspopulisten halbieren, stärken nicht nur ihre eigene Macht, sondern leisten einen Dienst an der Demokratie. Leider erwägt die SPD unter ihrer neuen Führung erst recht nicht, aus solchen Beispielen zu lernen. Saskia Esken hat stattdessen versucht, mit Zweifeln an der Polizeitaktik bei den Ausschreitungen in Leipzig-Connewitz ihre Anhänger und potenziellen Wähler zu überzeugen.

Ein solches Urteil ist das Gegenteil dessen, was die erfolgreichen Genossen in Dänemark und im Burgenland vertreten. Das ist bedauernswert, aber zumindest konsequent. Denn womöglich aber sind jene Wähler, die sich eine in Sicherheits- und Migrationsfragen weniger idealistisch und eher realpolitisch orientierte Sozialdemokratie wünschen, für die SPD schon längst nicht mehr ansprechbar. Das heißt aber auch: Esken und Walter-Borjans haben Abschied genommen vom Modell der Volkspartei. Sie verteidigen nun eine Wagenburg von Gleichgesinnten.

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