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Zukunftsvision. Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) verlangt mehr Mehrheitsentscheidungen in der EU.

© dpa/Jörg Carstensen

„Starke Struktur, vom Keller bis zum Dach“: Baerbock schlägt Reform einer erweiterten EU vor

Die EU wird absehbar größer. Außenministerin Baerbock verlangt deshalb innere Reformen der Gemeinschaft – mit möglichen Folgen für den Posten des deutschen EU-Kommissars.

Lettlands Außenminister brachte es am Donnerstag zu Beginn der Europakonferenz im Auswärtigen Amt auf den Punkt. Die EU spiele zwar eine entscheidende wirtschaftliche Rolle, sagte Krisjanis Karins. „Aber uns fehlt geopolitische Macht“, fügte er hinzu.

Angesichts des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine ist absehbar, dass sich die EU demnächst vergrößern wird. Am Ende des Jahres wollen die Staats- und Regierungschefs der EU entscheiden, ob sie grünes Licht für Beitrittsgespräche mit der Ukraine und der Republik Moldau geben. Zudem warten die Staaten des westlichen Balkans seit Jahren auf einen EU-Beitritt.

Wenn die EU aber auf 30 oder mehr Mitglieder anwächst, muss sich die Gemeinschaft reformieren. Wie das geschehen kann, skizzierte Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) am Donnerstag bei der Konferenz, an der mehr als ein Dutzend Außenminister europäischer Staaten teilnahmen. Wenn es zur EU-Erweiterung komme, „dann braucht unsere Gemeinschaft eine starke Struktur, vom Keller bis zum Dach“, so Baerbock.

Sie äußerte sich optimistisch, dass EU-Mitgliedstaaten beim Gipfel im Dezember der Ukraine und der Republik Moldau ein Signal für die Aufnahme von Beitrittsgesprächen geben würden. „In Kiew schlägt das Herz Europas“, sagte sie.

Gleichzeitig warnte die Ministerin davor, dass eine EU mit mehr als 36 Mitgliedstaaten, die jeweils über ein Vetorecht verfügen, nicht mehr handlungsfähig sei. Die Außenministerin forderte, das Prinzip der Mehrheitsentscheidungen auf weitere Bereiche auszudehnen, „von Finanzfragen bis zur Außenpolitik“. Dies bedeute, dass Länder überstimmt werden können, „auch Deutschland“.

Insbesondere kleinere EU-Mitglieder müssten bei einer Aufgabe des Vetorechts in weiteren Politikfeldern aber befürchten, permanent überstimmt zu werden. Wenn Mitgliedstaaten damit rechnen müssten, dass ihre Kerninteressen berührt werden, dann sollten sie die Möglichkeit haben, eine „gelbe Karte“ zu ziehen und auf weitere Verhandlungen zu pochen, regte Baerbock an. Die „rote Karte“ – also die Ausübung des Vetorechts – solle nur in Ausnahmefällen benutzt werden.

Verzicht auf den deutschen EU-Kommissarsposten

Angesichts des erwarteten Zuwachses der EU um fast ein Dutzend neue Mitglieder könne man zudem das EU-Parlament und die Kommission in Brüssel nicht immer größer werden lassen, verlangte Baerbock. Auch Deutschland müsse bereit sein, zeitweise auf einen EU-Kommissar zu verzichten, stellte die Außenministerin klar.

Schon einmal führte die EU eine ähnliche Debatte – nämlich vor dem Beitritt von zehn neuen Mitgliedern im Jahr 2004. Diesmal soll nach der Vorstellung Baerbocks die erneut fällige Überarbeitung der EU-Strukturen während der nächsten Legislaturperiode des Europaparlaments, die 2029 endet, abgeschlossen sein.

Vielstimmige EU. Der niederländische Premier Rutte (vorn) und sein luxemburgischer Amtskollege Bettel geben beim letzten EU-Gipfel Statements ab.

© Imago/ANP/Joas Roosens

Wie schwer sich die EU tut, mit einer Stimme zu sprechen, hatte sich zuletzt beim EU-Gipfel in der vergangenen Woche gezeigt. Tagelang rangen die 27 Mitgliedstaaten über ihre Abschlusserklärung zum Nahost-Krieg. Am Ende einigten sie sich auf „humanitäre Pausen“, damit Hilfslieferungen sicher nach Gaza gebracht werden können.

Die EU stehe „in voller Solidarität an der Seite Israels“, erklärte Baerbock. „Wir sehen aber auch das Leid der Menschen in Gaza“, fügte sie hinzu. Aus diesem Grund wolle die Gemeinschaft auch ihre humanitäre Unterstützung aufrecht erhalten.

Weil sich der Gaza-Krieg zwischen Israel und der islamistischen Hamas weiter verschärft, standen am Rande der Europakonferenz die Bemühungen um eine Deeskalation im Mittelpunkt. Baerbock traf sich mit ihrem türkischen Amtskollegen Hakan Fidan, dessen Land 2005 Beitrittsverhandlungen mit der EU aufnahm, die aber inzwischen auf Eis liegen.

„Heute ist Europa zu Gast in Berlin, aber die Krisendiplomatie geht weiter“, teilte das Auswärtige Amt nach dem Treffen zwischen Baerbock und Fidan auf der Plattform X, ehemals Twitter, mit.

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