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Mitglieder der Alternative für Deutschland (AfD) mit einem Boot in Stralsund.

© Stefan Sauer/dpa

Strategie der AfD: Der nette Rechtspopulist von nebenan

Von der Umkleidekabine bis zur Freiwilligen Feuerwehr – überall ist die AfD. Sie will gesellschaftliche Schlüsselpositionen einnehmen. Was tun? Ein Gastbeitrag.

Johannes Hillje ist Politik- und Kommunikationsberater und Autor des Buches „Propaganda 4.0 – Wie rechte Populisten Politik machen“ (Dietz-Verlag).

Die AfD hat ein Problem: Ihr radikaler Wesenskern setzt den eigenen Wachstumsmöglichkeiten eindeutige Grenzen. Im Osten hat sie mittlerweile ihr Wählerpotenzial ausmobilisiert, im Westen verlor sie bei der Europawahl. Zwar konnte die AfD auch Wähler aus der gesellschaftlichen Mitte zu sich nach rechts ziehen, eine überwältigende Mehrheit lehnt die Partei jedoch ganz grundsätzlich ab.

Um diesem Problem zu begegnen, skizziert der Vorstand in einem internen Papier ein Großprojekt als Gegenstrategie: den „Marsch durch die Organisationen“. Funktionäre und Mitglieder sollen an jenen gesellschaftlichen Orten in „Schlüsselpositionen“ gebracht werden, wo Menschen zusammenkommen, sich engagieren, ihre Freizeit verbringen und ganz nebenbei Meinungsbildung stattfindet – aber eben nicht in erster Linie Parteipolitik gemacht wird. Solche „kollateralen Organisationen“, wie Politologen sie nennen, hatte die CDU traditionell mit kirchlichen Vereinigungen oder Wirtschaftsverbänden, die SPD mit den Gewerkschaften.

Aus Sicht der AfD ist der Ansatz plausibel: Die radikalen Umtriebe, die viele Menschen über die Medien wahrnehmen, will die Partei mit persönlichen Erfahrungen im sozialen Umfeld überdecken. Eine ähnliche Strategie fuhr die NPD viele Jahre. Der Gedanke dahinter: Wenn der kumpelhafte Jugendtrainer, der integre Kassenwart oder die emphatische Elternvertreterin ganz nebenbei auch AfD-Mitglied ist, dann sticht womöglich der persönliche Kontakt zu diesen Parteivertretern die öffentliche Kritik an der Gesamtpartei aus. Dann wird das Bild der Partei nicht mehr allein durch mediale Hetzer, sondern auch durch engagierte Mitmenschen geprägt.

Die AfD will die Zivilgesellschaft radikalisieren

Das Gefährliche für die Gesellschaft: Die AfD will nicht sich „zivilisieren“, sondern die Zivilgesellschaft radikalisieren. Denn in dem Vorstandspapier fehlt jegliches Bewusstsein für das mögliche Abrutschen weiterer Teile der Partei in den Extremismus. Das sei alles nur ein Imageproblem. Die Strategie ist also ein Marsch in die Mitte, nicht um selbst gemäßigter zu werden, sondern um die Mitte nach rechts zu ziehen.

[Ein konkretes Beispiel aus Berlin: die AfD, ein Heimatverein und die Mieterberatung - wie das alles zusammenhängt, steht hier im neuen Reinickendorf-Newsletter vom Tagesspiegel. Den gibt es in voller Länge und kostenlos hier leute.tagesspiegel.de]

Organisationen, auf die es die AfD abgesehen hat, stehen heute schon vor Herausforderungen im Umgang mit der Partei. Jüngstes Beispiel ist der Feuerwehrverband, dessen Präsident Hartmut Ziebs darauf hingewiesen hat, dass die „rechtsnationalen Tendenzen“ der AfD mit den Grundsätzen des Verbands unvereinbar seien. Deutschlands oberster Feuerwehrmann wird zum Brandschützer der Demokratie. Rücktrittsforderungen und interner Streit folgten. Dabei verschreibt sich der Verband laut eigener Agenda einer „Kultur der Anerkennung, der Gleichberechtigung, des Respekts und der Vielfalt“.

Ähnlich formulierte Grundsätze haben unzählige Vereine. Und sie stehen tatsächlich im Widerspruch zu dem, was die AfD in unserer Gesellschaft praktiziert. Insbesondere ehrenamtliche Strukturen trifft es häufig unvorbereitet, wenn AfD-Akteure bei ihnen Funktionen übernehmen wollen und darüber Konflikte ausbrechen. Im schlimmsten Fall führen sie zum Zusammenbruch der Gemeinschaft. Denn egal ob Küchentisch, Umkleidekabine oder Klassenzimmer – die AfD bringt Unruhe ins soziale Gefüge. Vereine sollten deshalb gewarnt sein: Die Partei ist im Anmarsch.

Der Diskurs soll nach rechts verschoben werden

Brandmauern benötigt jedoch nicht nur die Zivilgesellschaft. Auch Medien, andere Parteien und die demokratischen Institutionen werden in dem Vorstandspapier erneut herausgefordert. Denn eines hat die Partei verstanden: Misstrauen in die etablierte Politik und die Medien ist ihr Lebenselixier – und diesbezüglich sei „das politische und gesellschaftliche Umfeld günstig“, heißt es. So soll der Diskurs weiter nach rechts verschoben werden. Man will neue Begriffe bilden und alte besetzen.

Es gibt eine Reihe von Beispielen, wo die Partei dem öffentlichen Diskurs bereits ihr „Framing“ aufgedrückt hat. Wörter wie „Grenzöffnung“, „Lügenpresse“ oder „Altparteien“ sind allgemeiner Sprachgebrauch geworden. Obwohl das keine neutralen Begriffe sind, tauchen sie heute vielfach in den Medien ohne Anführungszeichen und Bezug zur AfD auf. Diese Begriffe schaffen Realitäten – etwa eine, in der die Kanzlerin den Befehl zum Öffnen von Schlagbäumen gegeben hat.

Deshalb sollte man das Ansinnen der AfD auch nicht darauf reduzieren, dass sie bestimmte Dinge „sagbar“ machen will. Etwas zu sagen, heißt noch nicht, es auch zu glauben. Sie aber will den Korridor der als akzeptabel empfundenen Positionen, also das nach einem amerikanischen Denker benannte „Overton-Fenster“ nach rechts ausweiten. Schießbefehl, Vogelschiss und Klimaleugnung lassen grüßen. Die Verbalradikalisierung ist hierbei nur ein rhetorischer Zwischenschritt, um zu erreichen, dass etwa der Holocaust tatsächlich als weniger prägend für die deutsche Geschichte empfunden wird.

Parteien brauchen Strategie gegen die Flirtversuche der AfD

Neben solchen Diskursstrategien enthält das Papier ein breites Repertoire zusätzlicher Beeinflussungstechniken, die es in der Öffentlichkeitsarbeit von Parteien in Deutschland bislang nicht gab, darunter auch „Astroturfing“. Eine Taktik, bei der Massenphänomene vorgetäuscht werden, fingierte Bürgerbewegungen zum Beispiel. Vorstellbar wäre eine Orchestrierung zahlreicher lokaler, vermeintlich spontaner Gelbwesten-Proteste. Massenhaft verbreitet über die reichweitenstarken Digitalkanäle der Partei könnten sie wie Brandbeschleuniger in einer ohnehin dauererhitzten öffentlichen Debatte wirken.

Richtung CDU und FDP will die Partei laut dem internen Papier vertrauensbildende Maßnahmen unternehmen. „Informelle Treffen“ werden da genannt, auch ein Modell für die Tolerierung von CDU- Minderheitsregierungen. Die betreffenden Parteien wären gut beraten, sich ihrerseits eine wirksame Strategie für den Umgang mit den Flirtversuchen der AfD zu überlegen.

Wie wenig Parteitagsbeschlüsse dabei wert sind, hat die CDU in Thüringen auf selbstzerstörerische Weise vorgeführt. Es ist jenes Adeln der AfD als „konservativ“ und „demokratisch“ wie durch CDU-Politiker in Thüringen, worauf es die AfD so sehr anlegt, um das angestrebte Image einer bürgerlichen Kraft durchzusetzen. Wie weit die AfD bei ihrem Marsch in die Mitte kommt, hängt also in erster Linie von den Kräften der Mitte ab: Nicht eine Minderheit von Demokratiefeinden ist die eigentliche Gefahr für die Demokratie, sondern wenn sich Demokraten nicht eindeutig von ihnen abgrenzen. In der heutigen Zeit müssen alle Demokraten Brandschützer sein.

Johannes Hillje

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