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Boris Herrmann, 38, will im nächsten Jahr beim Vendée Globe starten. Vorher, dachte er sich, erfüllt er Greta noch einen Wunsch.

© Team Malizia

Unterwegs mit Greta Thunberg: „Die Reise ist verantwortbar“

Für ihren Segeltrip nach New York wird Greta Thunberg stark kritisiert. Ein Gespräch mit ihrem Skipper Boris Herrmann über das Leben auf See.

Herr Herrmann, wir erreichen Sie an Bord der Malizia II mitten auf dem Atlantik. Sie bringen Greta Thunberg auf Ihrer Rennyacht nach New York. Ihre Reise wird von Millionen Menschen verfolgt und wirft ein Schlaglicht auf den Klimawandel. Wieviel bekommen Sie an Bord von den Reaktionen mit?

Nicht so viel. Da wir sorgsam mit unseren Energiereserven umgehen müssen, ist unser Datenvolumen begrenzt. Aber wir haben gehört, dass es auch Kommentare von Leuten gibt, die vielleicht noch nicht ganz verstehen, worum es bei dieser Reise geht.

Das volle Bild fehlt uns allerdings. Denn der Alltag hier unterscheidet sich stark von den Gewohnheiten, denen man an Land nachgehen würde. Man ist viel mit sich selbst beschäftigt, jede Aktion dauert viel länger, es raubt einem Kraft, sich an Bord zu bewegen, es strengt sogar an, einfach nur eingekeilt die Bewegungen des Bootes auszugleichen.

Deshalb ist man hier intellektuell nicht so produktiv wie an Land, liest keine Artikel, sucht nicht Websites nach Kommentaren ab. Umso weniger, da uns von Beginn an wechselhaftes Wetter begleitet. Deshalb haben wir auf die Kritik von hier aus nicht reagiert.

Um die Erderwärmung zu stoppen, werden sich die Menschen einschränken müssen. Welchen Anstoß will Ihr Trip dabei geben?

Er ist ein symbolischer Akt. Nicht jeder Mensch kann in Zukunft mit einer Imoca-Yacht über den Atlantik reisen. Wir können mit Gretas Reise nur aufzeigen, wie schwer es in der Tat ist, emissionsfrei nach Amerika zu gelangen und ein solches Problem nachhaltig zu lösen.

Wir begreifen das als politisches Statement von Seglern, die Gretas Haltung unterstützen. Denn wir wollen, dass man die Fakten zum Klimawandel zur Kenntnis nimmt, genauso wie sie.

In Deutschland ist eine Diskussion darüber ausgebrochen, dass durch den Segeltrip mehr oder genauso viel CO2 verursacht wird, als wären Greta und ihr Vater über den Atlantik geflogen. Denn um die Malizia wieder nach Frankreich zu bringen, fliegen zwei Ihrer Mitarbeiter dem Boot hinterher. Was halten Sie von solchen Rechnungen?

Man muss das differenzierter betrachten. Wir haben Greta versprochen, sie klimaneutral über den Atlantik zu bringen, weil das ihr Wunsch war, und genau das lösen wir ein. Sie kommt, ohne Brennstoff zu verbrauchen, von Europa nach New York. Es gibt wohl kein anderes Transportmittel, das das derzeit gewährleisten würde.

Trotzdem muss man beachten, dass die Malizia kein Passagierschiff ist. Sondern ein Sportgerät. Und wir sind ein Rennteam in der Vorbereitung aufs Vendée Globe. Wir testen dafür ständig Material und Crew. Das würden wir, wenn wir Greta gerade nicht an Bord hätten, derzeit in Frankreich tun. Dorthin würden Leute ebenfalls zu ihren Einsätzen fliegen.

So darf man unseren sportlichen Ehrgeiz nicht mit Gretas Ambitionen verwechseln. Beides hat nichts miteinander zu tun. Von einem Team, das ein Rennen bestreiten will, kann man keine Klimaneutralität erwarten.

Allein auf hoher See. Die Malizia hat noch einmal ruppige Tage vor sich.
Allein auf hoher See. Die Malizia hat noch einmal ruppige Tage vor sich.

© Jean-Marie Liot

Sie wollen zwei Rennen gewinnen: Das gegen den Klimawandel und das Vendée Globe. Bei dem einen Rennen werden Sie an der CO2-Bilanz gemessen, bei dem anderen an der Platzierung. Lassen sich beide Ziele vereinbaren? Müssen Sie sich fragen, was Ihnen wichtiger ist?

Ich versuche, als Profisportler einen Beitrag zu leisten, der etwas bewirkt, ohne darüber meinen Beruf aufzugeben. In diesem Fall besteht der Beitrag darin, den Segelsport in einen symbolischen Kontext zu stellen und Greta zu der Aufmerksamkeit zu verhelfen, die ihrer Reise zuteil wird. Das Rennen, das die Menschheit gegen den Klimawandel gewinnen muss, findet auf einer politischen Ebene statt. Wir beteiligen uns an der Suche nach der richtigen Antwort.

Als Team werden wir nicht auf Flüge verzichten können, aber wir zahlen Kompensationen für CO2-Emissionen, die dadurch anfallen. Und wir benutzen Team-Fahrräder an den Orten, an denen wir sind. Das sind kleine Schritte. Aber so kann jeder in seinem Bereich etwas tun.

Sie sind auch mit dem Vorwurf erfahrener Hochseesegler konfrontiert, die ihre Reise „seemannschaftlich unverantwortlich“ finden, weil man Personen, die noch nie auf See waren, nicht mit einer Yacht fahren lasse, die dafür nicht ausgelegt sei. Trifft Sie diese Kritik?

Nein, sie lässt mich nur diese Leute leidtun, die uns Verantwortungslosigkeit attestieren. Im Segelsport gibt so viel Zuspruch zu dem, was wir tun. Von großen Namen wie Ellen McArthur, Alex Thomson, Loik Peyron, die auf Booten wie der Malizia unterwegs gewesen sind, über die Organisatoren des Ocean Race bis zur Masse an Leuten, die uns mit Tweets und in Kommentaren unterstützen.

Unter den Bedingungen, wie wir sie vorgefunden haben, mit der Erfahrung des Teams und der Ausrüstung des Schiffes, ist eine solche Reise verantwortbar. Die Entscheidung, ob Greta das ertragen möchte, die liegt bei ihr. Die kann man ihr nicht abnehmen. Mit ihrem Mut hat sie einer ganzen Generation eine Stimme verliehen und bekräftigt diese Zielstrebigkeit noch weiter.

Wie viel verlangt die Reise Ihnen persönlich ab?

Dass meteorologisch auf dieser Nordroute über den Atlantik so viel passiert, macht das Ganze natürlich deutlich strapaziöser als die Regatten in den Passatzonen. Doch uns geht es gut, wir haben einen Rhythmus gefunden. Es gibt erholsame Phasen. Gestern hatten wir im Golfstrom eine sehr kabbelige See, sind dagegen angebrettert, nun liegen wir in einer Flaute fest, die Segel flappen gemächlich hin und her.

Ich sitze relativ bequem angelehnt an einen Haufen von Gummitaschen, in denen sich unser Essen befindet. Es ist wegen des Golfstroms ziemlich warm geworden. Und ein bisschen versuche ich mich hier auf dem Fußboden vor der Sonne zu schützen.

Bekommen Sie genug Schlaf?

Nicht immer. Vergangene Nacht war ruhig, aber die Nacht davor waren wir ziemlich schnell unterwegs, weil der Wind uns mit Kraft vor sich herschob. Da habe ich kaum ein Auge zugemacht. Bei der besonderen Konstellation an Bord achte ich doppelt und dreifach auf Sicherheit. Darauf, dass das Boot nicht aus dem Ruder läuft und uns in Bedrängnis bringt.

Probieren Sie trotzdem neue Segel und Segelkonfigurationen aus? Gehen Sie an die Grenze?

Wir wollen unsere Gäste nicht verschrecken. Wir sind aber durchaus schon 26 Knoten schnell gewesen, und ich bin beeindruckt, wie seefest unsere drei Passagiere sind. Wir testen vor allem unser Energiesystem an Bord. Strom erzeugen wir mit Solarpanels an Deck und mit zwei Hydrogeneratoren, die wir am Heck ins Wasser absenken können. Da wir den Dieselgenerator nicht anwerfen wollen, müssen wir sehr genau darauf achten, wie wir den Stromverbrauch einteilen. Das klappt bislang gut.

Verantwortungslos? Die 16-jährige Greta Thunberg am Bug der Malizia bei schönsten Bedingungen nördlich der Azoren.
Verantwortungslos? Die 16-jährige Greta Thunberg am Bug der Malizia bei schönsten Bedingungen nördlich der Azoren.

© TEAM MALIZIA via REUTERS

Haben Greta und ihre Begleiter Aufgaben an Bord übernommen, um Sie und Ihren Co-Skipper Pierre Casiraghi zu entlasten?

Ja. Sie kochen mittlerweile komplett für sich selbst und bewältigen auch den Bordalltag ohne Hilfe. Suchen sich selbst die Mahlzeiten heraus, halten Ordnung, füllen Gas nach. Bei den Manövern bedienen sie die Winschen, über die wir die Leinen dichtholen. Darüber hinaus sind sie eine sehr angenehme Gesellschaft. Wir unterhalten uns in wechselnden Konstellationen, manchmal sitzen wir auch alle beisammen, um uns auszutauschen.

Was war bisher der schönste Moment?

Da gab es mehrere. Das Auftauchen der Delphine vor der englischen Küste gehört dazu. Schön war auch, der volle Mond vor einigen Nächten. Sonnenauf- und -untergänge sind immer fantastisch. Und jetzt hier in der Windstille zu liegen, ist auch wunderbar. Das Wasser ist so klar, dass man glaubt, 50 Meter tief in ein reines Blau blicken zu können.

Mit welchem Wetter rechnen Sie in den kommenden Tagen? Hat sich das „Tor“ nach New York bereits geöffnet?

Uns steht noch einiges bevor. Erstmal muss eine tropische Depression in der Nähe abziehen, damit wir wieder Wind bekommen. In der Nacht drauf haben wir eine Leichtwind-Brücke zu durchqueren. Auf die folgen zwei Tage, in denen uns eine kalte Brise erwischt mit viel Wind von vorne. Könnte ruppig werden.

Dann treffen wir allerdings auf beste Bedingungen, die uns mit viel Fahrt nach New York bringen werden. Wobei der Bereich um New York bekannt ist dafür, dass sich dort Tiefdruckgebiete bilden können, bei den hohen Temperaturen derzeit können es auch tropische Stürme werden. Im Moment können wir aus den Modellen nicht erkennen, ob wir da unbehelligt durchkommen. Aber wir spekulieren darauf, notfalls nördlich an einem solchen Gewittertief, das aufs Meer hinauszieht, durchzurutschen.

Wie schwer ist es, dem Wunsch der Öffentlichkeit nach ständig neuen Informationen und gleichzeitig dem Gefühl der Isolation auf dem Meer gerecht zu werden?

Glücklicherweise müssen wir an Bord nicht entscheiden, mit wem wir da draußen reden sollen. Das wird uns von unserem Team an Land abgenommen. Denn es gilt auch, einer Gruppendynamik an Bord gerecht zu werden, die gestört würde, wenn einer von uns ständig mit der Außenwelt Kontakt hielte, die anderen aber nicht.

Wir sind für uns und wollen das auch sein, um gemeinsam durch diese einzigartige Erfahrung hindurchzugehen. Es gibt auch nicht das Bedürfnis, von Bord aus ständig Neues zu senden. Die Reise soll für sich stehen.

Welche Erwartungen haben Sie an Ihre Ankunft in New York?

Ich weiß nicht, was wir erwarten sollen. Ankommen nach vielen Tagen auf See, ist immer ein toller Moment, und New York ist eine ikonische Stadt. Deshalb habe ich durchaus eigennützige touristische Interessen. Vor allem aber werde ich wohl erleichtert sein, wenn wir alle wieder wohlbehalten und sicher an Land stehen.

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