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Bundespräsident Frank-Walter-Steinmeier bei einer Wanderung am Brocken im Juli 2021

© AFP/Jens Schlüter

Was der Bundespräsident plant: Die zwei großen Baustellen für Steinmeiers zweite Amtszeit

Der Druck auf Frank-Walter-Steinmeier ist groß. Er weiß schon, welche Akzente er setzen will. Nach Corona erwartet er ein neues Konfliktthema im Land.

Sie wissen, die zweite Amtszeit wird die schwerere. Intensiv haben sie daher in Bellevue die Rede für die Bundesversammlung (hier alle Mitglieder) vorbereitet. Frank-Walter Steinmeier muss es schließlich nach seiner als sicher geltenden Wiederwahl allen Skeptikern zeigen: Da kommt noch was, auch Überraschendes.

Seit Wochen machen sie sich Gedanken, letztlich wird die zweite Amtszeit auch eine Antwort auf äußere Umstände sein.

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Einige bezeichnen die präsidiale Truppe mit langjährigen Weggefährten bereits fast als Familie. Wolfgang Silbermann, den Steinmeier mit 23 Jahren in sein Kampagnen-Team für die Kanzlerkandidatur 2009 holte und der seither für ihn arbeitet, formt dabei seit Jahren die Gedanken des Bundespräsidenten in Worte.

Keine große Rede, langweiliges Oberthema der ersten Amtszeit (Demokratie und Zusammenhalt) – und keine Frau: Steinmeier kann viele solcher Kritikpunkte lesen, aber dass er seinen Job eher gut macht, finden im neuen ZDF-Politbarometer 85 Prozent der Befragten. Sogar 51 Prozent der AfD-Anhänger sehen das so. Wenn er eines besonders will in der zweiten Amtszeit, dann wieder mehr raus aus dem Schloss, zu den Menschen, zu den Problemen – und zu den Sollbruchstellen einer fragilen Weltordnung.

Steinmeier will in Amtszeit II vor allem noch mehr Bürgerpräsident sein - ihn treiben zwei große Sorgen um, die auch den Rahmen der zweiten Präsidentschaft bilden.

1. Der Abstieg des Westens

Als im August Kabul fiel, war das für Frank-Walter Steinmeier eine Zäsur. Ihm, der vielleicht in Deutschland das größte internationale Netzwerk hat, war gleich klar, dass dieses Scheitern des Westens, die schmachvolle Flucht vor den Taliban, eine schwere Erschütterung ist. Eine, die das Selbstbewusstsein in Moskau und Peking noch einmal wachsen lässt. Die Ansage ist: Ihr seid auf dem absteigenden Ast, die liberalen Demokratien zu schwach, der Autoritarismus gewinnt.

Es gibt eine Linie von Afghanistan zum Truppenaufmarsch Wladimir Putins an der ukrainischen Grenze. Er nutzt die Schwäche des Westens gnadenlos aus, spielt mit ihm. „Da gibt es nur Ratlosigkeit“, heißt es in Bellevue mit Blick auf Russland.

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Es ist typisch Steinmeier, dass ihn seine erste Reise als wiedergewählter Präsident am Dienstag nach Lettland führt, ein klares Signal an die zunehmend angstvoll auf die russische Aggressionspolitik blickenden Staaten im Baltikum.

Steinmeier wird dort auf Einladung von Präsident Egils Levits auch zum 100-jährigen Verfassungsjubiläum eine Rede halten mit dem Titel „Für Demokratie und Freiheit in Europa – Lehren aus unserer gemeinsamen Verfassungstradition“.

Die lettische Verfassung ist eine der ältesten noch geltenden in Europa. Schon im vergangenen Jahr bereiste Steinmeier gezielt Staaten, in denen die Zweifel über Deutschland und die Europäische Union wachsen, etwa Tschechien und auch die Balkan-Staaten. Darunter auch viele kleinere Länder, die sonst weniger auf dem Radar der Bundesregierung sind.

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Diesen Ansatz – Reden, hinfahren, respektieren, nicht von Berlin aus urteilen, sondern diese Länder wirklich im Gespräch halten – will er weiter ausbauen. Hört man sich im Lager des Bundespräsidenten um, welches Thema ihn besonders sorgt – vor allem dieses: Die Anfechtungen gegen die Demokratie.

Sie werden bleiben, sie sind durch die Pandemie größer geworden. Man muss nur nach Polen schauen, nach Frankreich und vor allem in die USA. In der Anfangsphase könnte sicher noch eine neue Rolle hinzukommen. Das „Übersetzen“ der Außenpolitik der neuen Ampel-Koalition, hier gibt es doch einige Irritationen aus dem Weg zu räumen.

Auch Schlagersänger Roland Kaiser und Kanzler Olaf Scholz wollen Steinmeier in der Bundesversammlung wiederwählen.
Auch Schlagersänger Roland Kaiser und Kanzler Olaf Scholz wollen Steinmeier in der Bundesversammlung wiederwählen.

© Bernd von Jutrczenka/dpa

2. Ein neues Spaltungsthema

Die Pandemiebekämpfung, Afghanistan, die Flutkatastrophe 2020: All das trägt Züge von Staatsversagen – mithin birgt es Gefahren für die Zustimmung zur Demokratie.

Aus Steinmeiers Sicht werden die Spaziergänge, die radikalen, auch gewaltsamen Proteste gegen die Corona-Politik mit der Pandemie nicht vorbei sein. Die Menschen werden sich neue Themen suchen. Das große Thema unserer Zeit ist die Transformation. Der Nukleus für den nächsten Großkonflikt ist hier schon angelegt. Die Pendler auf dem Land werden es spüren, jeder Autofahrer mit Verbrennungsmotor, jeder Verbraucher beim Heizen.

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Viele Arbeitsplätze wird es nicht mehr geben – vom Kohlekraftwerk in der Lausitz bis zum Motor-Zulieferer für die Autoindustrie.

Das wird Wut und Widerspruch produzieren. Vieles wird im Land nun einmal ganz anders gesehen als in Berliner (Twitter-)Blasen. Diese zunehmende Entfremdung und diese unterschiedlichen Öffentlichkeiten treiben Steinmeier um.

Die Widersprüche hat literarisch kaum jemand so gut auf den Punkt gebracht wie Juli Zeh, der Steinmeier 2018 das Bundesverdienstkreuz verliehen hat, in ihrem Roman „Über Menschen“. Dora trennt sich von ihrem Freund, einem immer radikaler werdenden Klimaaktivisten, zieht raus aus Berlin aufs Land nach Brandenburg und sieht dort, was es bedeutet, wenn man kein Auto hat, dass dort alles ganz anders diskutiert wird.

Was tun in der zweite Amtszeit? Frank-Walter Steinmeier in Schloss Bellevue.
Was tun in der zweite Amtszeit? Frank-Walter Steinmeier in Schloss Bellevue.

© picture alliance/dpa

Steinmeier will vor allem die Orte bereisen, in denen es Verluste gibt, besonders auch in Ostdeutschland. Wo das Vertrauen deshalb noch weiter erodieren kann und Menschen sich radikalisieren können. In die Orte, die sich neu erfinden müssen, aus denen Industrie abwandert. Orte, die schwierig sind. Er hat sich nie als „Grüßaugust“ der Nation gesehen.

Sicher, es gibt keine Alternative zur Klimawende – und sie ist auch eine Chance. „Seine Rolle ist, dafür zu sorgen, dass über diese Transformation der Zusammenhalt nicht verloren geht“, formuliert es einer aus seinem Team.

Er wolle möglichst viel herauskommen „aus dem Selbstgespräch der Hauptstadt“. Vor allem treibt ihn um, dass die „stille Mehrheit“ nicht stärker aufsteht, wenn etwa von einer „Corona-Diktatur“ die Rede ist. Sie zu erreichen, zum Widerspruch aufzufordern, das sieht er demnach als seine zentrale Aufgabe an.

Aber eines will Steinmeier nicht – auch wenn einige fordern, er müsse mehr anecken. Als er kürzlich die FDP-Fraktion besuchte, sagte Steinmeier, ja, der Bundespräsident stehe über den Parteien. Aber er stehe eben nicht über der Politik, als einer, der den Politikern die Leviten liest. Einer für den billigen Applaus ist der gebürtige Westfale nicht.

Denn so sehen er und sein Team das: Es sei das letzte, was die Menschen jetzt brauchen: Einen, der oben drüber steht und nur noch mehr Zweifel sät.

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