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Chancellor Angela Merkel and Polish Prime Minister Mateusz Morawiecki address a news conference in Berlin, Germany, February 16, 2018. REUTERS/Hannibal Hanschke

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Wirtschaftsforum in Krynica: Polen präsentiert sich als Opfer westeuropäischer Dominanz

Das Wirtschaftsforum in Krynica war früher eine Bühne für den Stolz auf das Erreichte. 2018 kündigen sich Verteilungskämpfe und Wertekonflikte in der EU an.

Das Wirtschaftsforum im Kurort Krynica in Südpolen versteht sich als „Mini-Davos“ der Region. Dort trifft sich jeden September die politische und wirtschaftliche Elite Ostmitteleuropas vom Baltikum bis Kroatien. In früheren Jahren war Krynica eine Bühne, auf der Polen und seine Nachbarn stolz ihren Erfolg zelebrierten: ein höheres Wirtschaftswachstum als in Westeuropa, das kombiniert mit Unternehmergeist, günstigen Arbeitskosten und EU-Fördermitteln eine aufholende Modernisierung ermöglicht.

Polen strebt eine eigenständige Autoindustrie an

In Teilen ist dieser Geist auch 2018 zu spüren. Gegenüber der „Trinkhalle“, in der Kurgäste die heilende Wirkung der Mineralquellen erproben und nun das Pressezentrum gastiert, stellt KHM Motors den Prototyp eines feuerroten Sportwagens vor, um Investoren für die Massenproduktion anzulocken. Der Name „Warszawa M 20 GT“ knüpft an Zeiten an, als Polen eine eigenständige Autoindustrie hatte und nicht nur Zulieferfirmen für die Lizenzproduktion ausländischer Konzerne wie Fiat und VW. Polens Regierungspartei PiS nutzt das Forum 2018 für eine ungeschminkte Botschaft: Wir sehen uns als Opfer westeuropäischer Dominanz und werden uns wehren. Wir lassen uns keine Politik liberaler Eliten gegen unsere Interessen aufzwingen, wir wollen mehr als eine verlängerte Werkbank der deutschen Industrie sein.

Europa der Interessen oder Europa der Werte?

Zygmunt Berdychowski, der das Forum 1991 gegründet hat und ähnlich entschieden lenkt wie Klaus Schwab das Vorbild in Davos, hat als Motto die Frage vorgegeben: „Ein Europa gemeinsamer Interessen und Werte?“ Sein Impuls: Früher ließ sich die EU von gemeinsamen ökonomischen Interessen leiten und war ein Erfolg. Neuerdings versuche ein Teil der EU allen Mitgliedern verbindliche Werte vorzugeben, und seither gebe es Streit.
Polens Kulturminister Piotr Glinski, der schon im Streit um das Weltkriegsmuseum in Danzig eine umstrittene Rolle spielte, fragt spitz: Was für europäische Werte sollen das denn sein, die in der Energie- oder Migrationspolitik die nationale Souveränität der Mitgliedstaaten aushebeln? Ungarns Außenminister Peter Szijjarto sekundiert: Als prinzipielle Werte könnten nur die christlichen Werte gelten, die Europa groß gemacht haben. Was liberale Eliten im Westen heute als Werte vorgeben, unterliege der politischen Konjunktur und könne sich mit der nächsten Europawahl schon wieder ändern.

Der Premier klagt über Milliardenverluste an Deutschland

Die Diskussion zur Reform des polnischen Gesundheitswesens leitet Ministerpräsident Mateusz Morawiecki mit der Klage ein, wie viele polnische Ärzte nach Deutschland und anderswo in den Westen abgewandert seien und welchen Milliardenschaden Polen erleide, weil es deren Ausbildung finanziert habe, von der nun andere Länder profitieren. Über die Zuwanderung ukrainischer Fachkräfte nach Polen spricht er nicht.

Für diese Interpretation, dass Polen einem Binnenmarkt beigetreten sei und nachträglich in eine Werteunion gezwungen werden solle, gibt es oberflächlich gewisse Anknüpfungspunkte. Bei näherem Hinschauen ist sie jedoch anfechtbar. Als Polen und andere ostmitteleuropäische Staaten 2004 beitraten, wollte die EU längst eine politische Union sein und nicht nur eine Wirtschaftsunion mit einem großen Binnenmarkt und einigen vergemeinschafteten Politikbereichen. Diese Veränderung galt als Grundbedingung dafür, dass eine auf mehr als 20 Mitgliedstaaten erweiterte EU handlungsfähig sein würde. Aber die ersten Ansätze zu dieser Reform misslangen, ganz voran der europäische Verfassungsvertrag. Erst der Vertrag von Lissabon, der 2009 in Kraft trat, holte einen Teil des Versäumten nach. Polen wusste also, dass es 2004 nicht nur einem Binnenmarkt beitrat, der sich durch gemeinsame Wirtschaftsinteressen definiert, sondern einer politischen Union. Diese war im Kern jedoch noch nicht vollzogen.

"Die EU zwingt uns Regeln auf"

Die Podiumsdebatten, die sich wirtschaftlichen und technischen Fragen widmen - Chancen und Risken der Digitalwirtschaft, Erneuerbare Energien in Polen - sind nicht so ideologisch aufgeladen. Die Redner vermeiden politische Aussagen und konzentrieren sich zumeist auf sachliche Aspekte. Mit einer Ausnahme. Sobald von Brüssel die Rede ist, hört man Formulierungen wie: "Die EU zwingt uns Regeln auf ..." - so als sei diese EU eine übermächtige, sich Macht anmaßende Macht und nicht ein freiwilliger Zusammenschluss, der nur durchsetzen kann, was die Mehrheit oder, bei den Themen, die Einstimmigkeit verlangen, alle Mitglieder gemeinsam beschließen.

Sichtbar ist die Präsenz der USA und Chinas in Krynica. Die Cafeteria, die die AmCham, die US-Handelskammer, in einem großen Zelt aufgebaut hat, wird zum beliebtesten Treffpunkt aller, die das Forum mit seinen 4000 Teilnehmern als eine große Kontaktbörse für Business und Politik in Ostmitteleuropa nutzen.

Die USA und China sind sichtbar, Deutschland und die EU nicht

Und wo, bitte, sind die Vertreter Deutschlands, Frankreichs, der EU, des Europaparlaments? Man kann einem Repräsentanten der Landesregierung von Brandenburg begegnen und dem früheren Bundesminister Dirk Niebel (FDP), der jetzt Kontakte für den Rüstungskonzern Rheinmetall knüpft. Nach aktuellen Bundesministern sucht man vergebens. Ebenso nach einem Zelt oder einem Podium, wo die EU, Deutschland und Frankreich Präsenz zeigen und ihre Sichtweise vertreten.

Während des Forums sind vielmehr kämpferische Töne aus Frankreich zu vernehmen. Frankreichs Außenminister Le Drian erklärt, er sei nicht bereit, Polen und Ungarn weiter europäische Fördergelder zu geben, wenn deren Regierungen ihren rechtspopulistischen Kurs fortsetzen. Präsident Emanuel Macron attackiert Manfred Weber,den deutschen Kandidaten für die EVP-Fraktion bei der Europawahl. Der müsse sich entscheiden, ob er auf der Seite Angela Merkels stehe oder auf der Seite des ungarischen Regierungschefs Viktor Orban; dessen Partei Fidesz ist Mitglied der EVP-Fraktion.

Europa steuert auf harte Konflikte um die Wahlbündnisse bei der Europawahl, um Fördergelder, um den Umgang mit Investitionen aus China und um gemeinsame Politiken zu. Als Bühne für einen inoffiziellen Dialog, der potenzielle Kompromisse sondiert, blieb Krynica ungenutzt.

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