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Obwohl Reiten im Breitensport deutlich weiblich geprägt ist, sind die Führungspositionen bei Züchtern und Verbänden meist mit Männern besetzt.

© picture alliance / dpa

Alkoholexzesse und Missbrauch im Pferdesport: „Das Relativieren und Abwiegeln muss aufhören“

Anwältin und Funktionärin Dagmar von Stralendorff-Grüttemeier über Alkohol bei Turnieren, sexuelle Übergriffe und Nachlässigkeiten des Verbands.

Frau von Stralendorff-Grüttemeier, überraschen Sie die Enthüllungen des „Spiegel“ zu Alkoholexzessen und sexuellen Übergriffen im Reitsport?

Für Reiter sind das keine Neuigkeiten. Als ich in den 80er Jahren mit dem Reiten anfing, war der Sport noch viel landwirtschaftlicher geprägt. Pferdezüchter, Pferdehalter und Reitlehrer hatten gegenüber reitsportbegeisterten Kindern aus ärmeren Familien, die sich kein eigenes Pferd leisten konnten, schon immer eine gewisse Machtposition. Die Möglichkeit zum Machtmissbrauch ist also strukturell angelegt.

Wie sehen denn die Strukturen aus, die so etwas begünstigen?

Die Deutsche Reiterliche Vereinigung (FN) steckt in einem Dilemma: Die Zuchtverbände sind größtenteils konservativ und patriarchalisch geprägt. Die Züchter, Stallbesitzer, aber auch der Verband bestehen in den Führungsriegen hauptsächlich aus Männern, die insbesondere im Spitzensport den Ton angeben. Das ist die große Diskrepanz im Pferdesport: Denn der Breitensport ist eindeutig weiblich dominiert. Auf den Reitplätzen und in den Ställen findet man hauptsächlich Frauen und Mädchen. Schaut man aber genauer hin, wem die Pferde, die Ställe und die Posten im Verband gehören, sieht man fast nur Männerbünde. Die wehren sich dagegen, dass Alkohol- und sexueller Missbrauch thematisiert werden. Die sagen: „Das ist eben so, das war schon immer so, bleibt uns weg mit dem Käse.“

Also wird sich am Verhalten jetzt nichts ändern?

Die sind nicht sehr einsichtig, auch weil sie um das Ausbleiben von Sponsorengeldern fürchten. Da geht’s eben nach Gutsherrenart zu. Sie erkennen nicht die Gefahren, die eine solche Vogel-Strauß-Politik heutzutage in der Öffentlichkeit mit sich bringt. Das Relativieren und Abwiegeln muss aufhören, sonst wird der Reitsport langfristig für Sponsoren uninteressant.

Wie hat sich die Situation in den vergangenen Jahren verändert?

Ich glaube, zwei Entwicklungen: Reiten war im Spitzensport schon immer elitär – nicht jeder kann sich ein gutes Pferd leisten. Heutzutage stehen aber unglaubliche Mengen an Geld zur Verfügung. Als Beispiel: Bei einem ländlichen Turnier waren große Pferde-Lkws eher die Ausnahme, man reiste im einfachen Hänger an und abends ging es nach Hause. Heute gleicht auch im Nachwuchsbereich der Spitzensport mit mehrtägigen Events einem Wanderzirkus. Das erhöht natürlich den Druck, aber auch die Macht derer, die dieses Geld haben und über gute Pferde verfügen, die sie ihren Schützlingen aus ärmeren Familien zur Verfügung stellen können. Die Gelegenheiten sind günstiger geworden, wobei natürlich nicht alle ihre Macht missbrauchen.

Und was ist mit den Vorwürfen zu den Alkoholexzessen bei den Reitern?

Das Komasaufen ist die andere Sache. Klar wurde früher auch viel gesoffen und es gab Reiter mit einschlägigem Ruf. Das ist also keine neue Entwicklung. Vielleicht ist es auch ein guter Trend der heutigen Zeit, dass solche Dinge ausgesprochen und auch von der FN beachtet werden. Das begrüße ich.

Sollte der Verband beim Alkoholkonsum nicht trotzdem schärfere Regeln aufstellen? Derzeit ist es nur während der Prüfungen und kurz vorher und danach – auf dem sogenannten Abreiteplatz – verboten, alkoholisiert aufzutreten.

Die Umsetzung solcher Regelungen ist schwierig. In den Ställen und bei den Turnieren herrschen private Strukturen und es steckt insbesondere im Spitzensport unfassbar viel Geld dahinter. Die Alkoholthematik ist ja seit Generationen verfestigt. Das Bild von den Eltern der Jugendreiter, die sich schon mittags an der Bar volllaufen lassen, das der „Spiegel“ gezeichnet hat, ist gar nicht so abwegig. Von der juristischen und sportfachlichen Seite kann ich nur sagen: Macht, was ihr wollt, aber brecht nicht die Regeln.

Kann man nicht strenger kontrollieren?

Praktisch könnte ich mir aber eine Regelung vorstellen wie im Straßenverkehr, mit einer Höchstgrenze. Ich würde mir ungern meinen Frühstücksprosecco vor dem Turnier verbieten lassen. Eine Nullgrenze ist wohl kaum durchsetzbar, aber man könnte vertretbare Grenzen engmaschiger kontrollieren. Andererseits muss das, was für den Spitzensport gilt, auch bis zur Jugendreiterprüfung gelten.

Dagmar von Stralendorff-Grüttemeier, 52, ist Anwältin und Mitglied der Schiedskommission im Landesverband der Deutschen Reiterlichen Vereinigung Berlin-Brandenburg.
Dagmar von Stralendorff-Grüttemeier, 52, ist Anwältin und Mitglied der Schiedskommission im Landesverband der Deutschen Reiterlichen Vereinigung Berlin-Brandenburg.

© Sebastian Fuchs

Und was muss sich in Sachen sexueller Straftaten ändern? Bisher wurde nur ein Reiter für 18 Monate von Wettkämpfen ausgeschlossen.

Ich als Juristin richte mich natürlich grundsätzlich nach der Frage, ob es eine rechtskräftige Verurteilung gibt. Ich kann keinem Sportverband empfehlen, Maßnahmen zu ergreifen, bevor der Straftatbestand nicht belegt ist. Wenn aber jemand wegen eines Sexualdelikts verurteilt ist, sollte man noch schärfer reagieren. Ich finde, es ist eine faule Ausrede, sich hinzustellen, und zu sagen: „Was auf den privaten Höfen passiert, geht uns nichts an.“

Die FN musste auch Kritik einstecken. Es gab etwa den Fall eines Reitlehrers, der wegen wiederholter Vergewaltigung einer Reiterin verurteilt wurde und trotzdem nur seine Trainerlizenz verlor, nicht aber die Berufsreiterlizenz.

Genau das ist der Punkt: Diese indifferente Haltung halte ich für feige. Die Täter brauchen den Verband, denn ohne Turnierlizenz dürfen sie nicht starten. Da sollte konsequent gesagt werden: Wer straffällig wird, für den ist Feierabend mit der Turnierreiterei und mit der Zucht. Mag sein, dass solch eine Entscheidung später von einer höheren Instanz widerrufen wird, aber zumindest hätte der Verband dann ein Signal gesetzt, es den Betreffenden für ein paar Jahre schwer gemacht und sie gezwungen zu haben, durch die Instanzen zu gehen. Da sollte die FN mutiger agieren und auch mal Geld für mögliche Prozesse in die Hand nehmen. Es kann nicht sein, dass da in vorauseilendem Gehorsam gehandelt wird, zumal auch die Berufsfreiheit kein Freibrief für die Straftäter sein darf. Das ist Ängstlichkeit, die sich die FN nicht leisten kann.

Wie sollten die Landesverbände denn bei Verdachtsfällen reagieren? Bis jemand verurteilt ist, kann es lange dauern, bis dahin darf der Betroffene weiterhin bei Turnieren starten. Die Vorsitzende des Opferschutzvereins Zartbitter forderte, die Verbände müssten schon im Verdachtsfall die Jugendämter einschalten.

Ich halte es für ganz, ganz schwierig, aufgrund eines Verdachts Sanktionen zu verhängen oder das Jugendamt einzuschalten. Das kann auch für die Eltern unnötigen Druck bedeuten. Stattdessen sollte man Eltern und auch die Jugendlichen selbst sensibilisieren. Sensibilisierungsmaßnahmen und Anforderungen wie polizeiliche Führungszeugnisse sind bei der Trainerschulung der FN ja ohnehin Standard. Ein Schritt in die richtige Richtung wäre zum Beispiel, die Einrichtung von schweigepflichtsgebundenen Vertrauenspersonen in den jeweiligen Landesverbänden. Als ich kürzlich so einen Fall hatte, war es sogar für mich schwierig, einen Ansprechpartner beim Verband zu finden. Eine mehr oder weniger kaum sichtbare Person bei der FN in Warendorf reicht für 700.000 organisierte Reitsportler in Deutschland und eine noch größere Dunkelziffer längst nicht aus.

Das Gespräch führte Nantke Garrelts.

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