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Gut gemacht. Der Bundestrainer war zufrieden mit Leon Goretzka und dem Spiel seiner Mannschaft – auch wenn es nicht für ein eigenes Tor reichte.

© Wolfgang Rattay/Reuters

Deutsche Fußball-Nationalmannschaft: Kein Neuanfang, aber ein Ende der Arroganz

Joachim Löw und die deutsche Nationalmannschaft besinnen sich im ersten Spiel nach dem WM-Debakel auf alte Tugenden - und wagen dadurch nicht viel.

Bleiben wir mal bei Joachim Löw. Als er nach dem 0:0 gegen Frankreich vor die internationale Presse trat, hatte er wieder keinen Espresso dabei. Und das lag nicht an der vorgerückten Stunde seiner Ausführungen, wenn andere schon schlafen. Das hatte Löw früher nichts anhaben können. Muss man sich jetzt Sorgen machen um den Bundestrainer? Schon während der beiden jüngsten öffentlichen Auftritte, bei der Präsentation seiner WM-Analyse vor einer Woche und zur Abschlusspressekonferenz vor dem aufgeladenen ersten Spiel seit dem WM-Debakel gegen den neuen Weltmeister in München, verzichtete Löw auf sein altes, liebgewonnenes Ritual – das genüssliche Nippen am kleinen Tässchen.

Löw, so viel ist sicher, will, nein, er muss andere Bilder aussenden. Bilder der Tatkraft, nicht die des Genießens. Er scheint kapiert zu haben, dass gerade auch er an der Außendarstellung arbeiten muss. Oft sind es ja Kleinigkeiten, die ein großes Bild ausmachen. „Ich bin zufrieden mit der Leistung“, sprach also Löw, aber das sei auch seine Erwartung gewesen, „das habe ich den Spielern auch so gesagt.“ Wenn man so will, darf das Unentschieden gegen Frankreich zwar nicht als Neuanfang verkauft, wohl aber mit „Das Ende der Arroganz“ überschrieben werden.

Defensivere Spielweise kommt DFB-Elf entgegen

Von einem Neuanfang zu sprechen, wäre vermessen. Es war doch mehr ein Zurück zu alten Tugenden wie Einsatz und Kampfeswille. Selbst das taktische Konzept entsprang einem alten Hut: dem der WM vor vier Jahren, dem streckenweise eine defensive Grundmelodie innewohnte. Gegen Frankreich griff der Bundestrainer auf eine Taktik zurück, die sich strikt von seiner übergeschnappten Spielidee abgrenzte, die bei der WM im Juni ins Debakel geführt hatte. Die deutlich defensivere Herangehensweise kam Löws Mannschaft, auf der nach der Schmach von Russland sehr viel Druck gelastet hatte, entgegen.

Wie bei der WM 2014 bot der Bundestrainer gleich vier gelernte Innenverteidiger auf: das alte Verteidigerehepaar Jerome Boateng und Mats Hummels im Zentrum, Matthias Ginter und Antonio Rüdiger auf den Flanken. Davor bildeten Toni Kroos, Joshua Kimmich und Leon Goretzka einen engmaschigen Trichter, der das gesamte Gebilde stabilisierte. Nur nicht zu viel wagen, erst einmal das eigene Tor verteidigen, lautete die Devise.

Frankreichs Trainer Didier Deschamps sprach hinterher von einer „vorsichtigen Spielweise“ der Deutschen, die den Seinen wenig Raum und Zeit gelassen hätte. Löw dagegen lobte sein Team. Es sei gut organisiert gewesen und nicht in Konter gelaufen. Überhaupt habe die Körpersprache wieder gestimmt. „Wir haben ein anderes Gesicht gezeigt, ein anderes Verhalten sowie eine andere Einstellung“, sagte der Bundestrainer. Früher hätte er nach einem solchen Satz am Espresso genippt. Dieses Mal faltete er die Hände. Seinen Gesichtszügen konnte man eine kleine Erleichterung entnehmen.

Das alles ging anfangs doch arg zu Lasten der eigenen Offensive und Durchschlagskraft. In der ersten Halbzeit wirkte die deutsche Mannschaft im Vorwärtsgang unsicher, fast schon gehemmt. Aber das ist sicherlich das kleinere Übel. Mit der Zeit, vielleicht schon am Sonntag beim nächsten Spiel gegen Peru, kann die alte Sicherheit und Überzeugung zurückkehren. „Es war sicherlich kein perfektes Spiel“, sagte Thomas Müller nach seinem 95. Länderspiel, „aber es ging darum, den Leuten zu zeigen, dass das Herz noch schlägt.“

Startelf ausschließlich mit WM-Fahrern

Es war also mehr ein Anfang ohne viel Neues. In der Startelf standen ausschließlich WM-Fahrer. Lediglich für ein paar lumpige Restminuten kam Leroy Sané zum Einsatz, den sich mancher früher gewünscht hätte. Doch eingedenk der individuellen Klasse und der Wucht des Gegners hätte es auch schlimmer kommen können. Löw verteidigte später die Tatsache, dass er an bewährten Kräften festgehalten hat. Man habe gesehen, dass Verteidiger wie Boateng und Hummels, aber auch Toni Kroos für das Team von Bedeutung seien: „Es ist wichtig, solche Spieler in der Mannschaft zu haben, die mit ihrer Klasse dagegen halten können.“

In der Schlussphase, als das Spiel etwas verwegener wurde, kam die deutsche Elf zu zwei, drei sehr guten Torchancen. Mit ein bisschen Fortune hätte sie das Spiel gegen den Weltmeister sogar gewinnen können. Oder wie Müller es ausdrückte: „Am Ende hat uns der Lucky Punch gefehlt.“

Joachim Löw unterließ es, nach dem Spiel alte Gewissheiten von sich zu geben, wie er es noch vor und während der WM in Russland gern tat. Vielmehr scheint eine neue Bescheidenheit eingekehrt zu sein, zumindest für den Moment. Lediglich Mats Hummels kratzte kurz mal die Linie zur alten Überheblichkeit, weil er vielleicht ein bisschen zu viel Genugtuung verspürte in dieser Münchner Nacht. „Wir wurden alle etwas schlechter geredet als wir sind“, sagte der 29-jährige Verteidiger. „Wir sind alle sehr heiß darauf, einigen Leuten zu zeigen, wie falsch sie damit liegen.“ Schreiben wir seine Gefühlsregung mal der vorgerückten Stunde zu.

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