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Die verhasste Fahne! Dem Publikum, ausschließlich Serben, stockte der Atem.

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Willmanns Kolumne: Fußballkrieg in Belgrad – über Problembeschaffungsmaßnahmen

Am Wochenende trat der 1. FC Magdeburg in Zwickau an. Es ging um nichts weniger als Alles. Unser Kolumnist Frank Willmann war dabei - und zieht Parallelen zu den Ausschreitungen in Serbien.

Laut Hegel traten bereits die ersten Menschen bei ihrer primären Begegnung mit ihren Artgenossen in einen Kampf um Leben und Tod. Es ging dabei nicht um Besitz oder Nahrung, sondern um reine Anerkennung. Das Verhalten von Menschen bei einem Fußballspiel ist ein gutes Beispiel, um die Aktualität des deutschen Philosophen zu belegen. Der Fußball als Fortsetzung des Krieges mit andern Mitteln. Am Wochenende trat der 1. FC Magdeburg in Zwickau an. Es ging um nichts weniger als Alles.

Den vorweggenommen Staffelsieg, die letzten Tage der Menschheit (soweit sie Zwickau oder FCM-Fans sind) usw. Doch statt sich in den modischen Beleidigungen zu ergehen und dem gemeinen FSV-Zwickauer dies und das vorzuhalten, erspähten plötzlich einige 1. FC Magdeburger in der Zwickauer Puppenstube alias Sportforum "Sojus 31" den Todfeind. Zwei Hallenser. Noch schlimmer! Zwei vermeintliche Mitglieder der halleschen Fanformation Saalefront.

Die bösen Schelme in den Farben Halles brachten die ehrbaren FCMlinge binnen Sekunden auf die Palme. Taten sie doch etwas, was unter aufrechten Fans als schlimme Beleidigung galt. Sie zeigten ihr rotweißes Fanzeug und neckten die Blauweißen. Ja, ihr hochwohlgeborenen Leser, was soll ich euch verkünden? Blauweiß gegen Rotweiß. Kommt gleich nach Atomkrieg. Fürchterliche Umstände erzeugen fürchterliche Gemetzel. Anstatt über das hilflose Getrampel und Gestammel der armen Wichte zu lachen, sich auf die Schenkel zu klopfen und sie mit nackten Fingern manierlich zu verspotten, gerieten die Blauweißen in grotesken Zorn und rüttelten an ihren Gitterstäben. Ihr müsst wissen, Zwickauer Gitterstäbe sind aus Lebkuchen geformt. Der Zwickauer denkt halt immer ein bissel praktisch. Schwupps das Gitter kaputt, zogen die Blauweißen ihre Versteckmichmützen auf und zeigten Faust. Nun kam die flinke Polizei und schob das Rudel pikierter Leberwürste wieder in den Stall. Dieses war nicht die allerschlechteste Idee zu Zwickau am verwichnem Wochenende.

Oh merkwürdige Bewandtnis des Fußballs! Was bringt uns der Herbst ansonsten? Hooligans versus Salafisten! Klingt nach Ballerspiel. Ist aber die Idee einiger Ganzhirnblondierter. Am 26.10. wollen in Köln die vereinigten deutschen  Hooligans ihr Fachwissen über optimalen Nationalismus und künstliche Problemerschaffung in die weite Welt pusten. Hooligans sind nicht dafür bekannt, neue Anhänger in den Nischen linker Protestkultur zu finden. Deshalb dürfte Jedem die Richtung klar sein. Deutsches Bier für Deutsche Mütter.

Auch der Balkan mag in diesem Zusammenhang immer wieder gern ein Wörtchen mitreden. Nationalen Tand wie Fähnchen von Gernegroßalbanien und Gernegroßserbien schwenken und so. Seltsamer Balkan. Gerade gestern erlebte die schöne Stadt Belgrad ein Fußballspektakel der Marke Merkwürden. Serbien gegen Albanien. Wenn die Stimmen im Kopf nach Rache schreien, kann das Sehnsuchtsziel ein kleiner Genozid sein. Dabei immer niedlich aussehen. Haare gekämmt, Sonnenbrille im Haar, Foto der Mutter im Brustbeutel. Menschen sind nicht süß. Nicht einmal in einem großserbischen oder großalbanischen Fellkostüm.

In der 41. Minute senkte sich eine ferngesteuerte Drohne ins Stadion. Darin kickten Serbien und Albanien um die Qualifikation zur EM. Fucking Europa. Die Drohne transportierte eine Fahne, das Banner Großalbaniens. Dem Publikum, ausschließlich Serben, stockte der Atem. Die verhasste Fahne! Für die Serben ist der Kosovo eine serbische Provinz. Für die Albaner ein Teil Großalbaniens. Albaner wie Serben ging es um den Nationalstolz. Um Anerkennung (siehe Hegel).

Laut albanischer Geschichtsschreibung war der albanische Staat vor 1912 viel größer. Die aktuellen Grenzen wurden durch die Londoner Friedenskonferenz von 1912 festgelegt und schließen heute diverse albanisch besiedelten Gebiete wie den Kosovo und Teile von Südserbien, Mazedonien, Montenegro und Griechenland aus. Für die große Mehrheit der Kosovaren und Albaner sind der Kosovo und Albanien trotzdem ein Land. Der EU-Beitritt liegt wie der Wohlstand in weiter Ferne. Trotzdem sehnt sich das albanische Volk nach einer Bestätigung seiner Bedeutung. Das ist in Serbien nicht anders. In beiden Ländern wird dieses Bedürfnis durch den Nationalismus gestillt. Dabei verwechseln die Menschen Nationalismus mit Patriotismus, wie viele auf dem Balkan. In keinem dieser Staaten funktioniert die Zivilgesellschaft. Ein Bürgerstaat ist unbekannt. Aus diesem Grund gibt es nur wenig öffentlichen Widerstand gegen nationalistische oder gar faschistische Äußerungen. Das führt wiederum zu einer breit gefächerten Akzeptanz solcher Ideen.

Albaner waren gestern nur inkognito im Stadion. Auf einen Ausschluss der Auswärtsfans hatte man sich vorher geeinigt. Wahrscheinlich, um Tote zu vermeiden. Der serbische Spieler Stefan Mitrovic sprang und riss die Fahne von der Drohne. Als er das für die Albaner heilige Stoffstück zu Boden warf, stürmten wütende albanische Spieler auf ihn zu. Handgemenge auf dem Platz, auch den Zuschauern kochte das Blut, einige wenige sprangen über die Balustraden und machten Jagd auf albanische Spieler und Funktionäre. Letztlich gelang den Albanern die Flucht in den Spielertunnel, wo sie sich verschanzt hielten. Das Spiel wurde abgebrochen. Ein trauriges Spektakel, das so gar nichts mit dem europäischem Gedanken zu tun hat.

Unser Fußball darf niemals zum Objekt einer Minderheit degradiert werden. Die Interessen Einzelner nicht die der Masse bestimmen. Schenkt eurem Verstand mehr Beachtung. Allein um euren Mitbürgern weniger auf den Keks zu gehen. Macht euch unabhängig, feiert die Party mit Würde.

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