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Vincent Riou in voller Fahrt. Am Sonntag gab der Franzose nach einer Kollision mit einer Metallboje auf.

© Jean Marie Liot/DPPI

Extremregatta Vendée Globe: Harte Prüfung

Schon nach einem Sechstel der Strecke sind mehr als ein Drittel der Teilnehmer beim Vendée Globe ausgefallen. Vor allem wegen Schwächen des Materials. Und nun rammte Mitfavorit Vincent Riou auch noch eine Metallboje. Dabei liegt der wirklich anspruchsvolle Teil noch vor den Soloseglern - das Südpolarmeer.

Als es rummst, schreckt Vincent Riou hoch. Er sitzt unter Deck an seiner Navigationskonsole, während seine Jacht vom Autopilot gesteuert mit über zehn Knoten durchs Meer gleitet. Nach dem Knall eilt er nach draußen und sieht im Dämmerlicht des Morgens, wie er später erklärt, gerade noch eine alte Tonne verschwinden, die sich vor langer Zeit aus ihrer Verankerung in irgendeinem Hafen gerissen und ihre unberechenbare Reise mit den Meeresströmungen angetreten hatte. Nun ist Rious 18-Meter-Jacht PRB mit dem Treibgut kollidiert.

Der Franzose, Teilnehmer am Vendée-Globe-Rennen, hat am Samstagmorgen aussichtsreich an dritter Position gelegen. In einer kurz zuvor abgesetzten Videobotschaft vor seinem Computerbildschirm erklärte er die Route, die ihn möglichst schnell um das St. Helena-Hoch herumführen sollte. In diesem Teil des Südatlantiks fällt oft die Vorentscheidung über den weiteren Verlauf des Non-Stop-Rennens. Es gilt für die Solosegler, eines jener weit im Süden durchziehenden Tiefdruckgebiete zu fassen zu kriegen, die wie riesige Zahnräder um die Antarktis kreisen. Für den, der sich in sie hineinbegibt, muss alles ineinandergreifen. Das Schlupfloch öffnet sich nur kurz. So verbringen die einsamen Piloten auf ihrem Weg in den stürmischen, weltumspannenden Südozean ihre Zeit vor allem mit Berechnungen. In einer Woche müssen sie am richtigen Ort sein.

Schramme weg. Beim Aufprall wurde die Bootshülle auf der Länge von einem Mater aufgerissen. Diesen Schaden konnte Skipper Vincent Riou noch mit Bordmitteln beheben.

© Riou

Doch für Vincent Riou ist von einer Sekunde auf die andere nichts mehr berechenbar. Die alte Stahlboje hat den Rumpf der PRB im Frontbereich aufgeschlitzt, Wasser dringt zwar nicht ein, auch eine Reparatur auf See scheint möglich, aber sie ist aufwändig, kostet viel Zeit. Schlimmer ist, dass auch die Halterung der für viele Open-60-Boote eigentümlichen Mastspreize beschädigt ist. Das Karbonfasertau ist auf eine Belastung von 35 Tonnen ausgelegt – bei einem Bootsgewicht von acht Tonnen – und ist so etwas wie die Achillesverse. Denn diese Sehne, die den Mast hält, liegt frei, ein Stoß wie der jetzige ist fatal. Den Karbonstrang zu reparieren, das muss sich der Techniker Riou nach Stunden eingestehen, ist mit Bordmitteln unmöglich. So gibt der 40-Jährige am Sonntag seine Aufgabe bekannt.

Damit scheitert Riou ein weiteres Mal bei dem Versuch, seinen Vendée-Globe-Sieg von 2005 zu wiederholen. "Ich bin daran unschuldig", sagt er, "trotzdem fühle ich mich schuldig." Hätte er am Steuer gestanden, wie es die traditionelle Seemannschaft verlangt, wäre er vermutlich ausgewichen. Aber das kann ein Solosegler im Rennmodus heute nicht. Er überlässt sich dem Automaten, der sein Boot auf Kurs hält. Vor vier Jahren rettete Riou in einer spektakulären Aktion den in seiner gekenterten Jacht bei Kap Horn festsitzenden Landsmann Jean Le Cam, lädierte sich dabei allerdings das Rigg, so das der Mast kurz darauf umstürzte.

Riou ist der siebte Einhandskipper, der dieses Vendée Globe abbrechen muss. 20 Prozent der Flotte haben es nicht mal über die Kapverdischen Inseln hinaus geschafft. Dort suchte zuletzt Jérémie Beyou Schutz, nachdem der Hydraulikzylinder seines Schwenkkiel abgerissen war.

Die „FAZ“ stellt angesichts der hohen Zahl an Ausfällen die Frage, ob das Rennen „durch die offenkundige Materialschwäche der Jachten gefährlicher denn je“ sei und die Skipper „beim Tuning ihrer Yachten zuviel Risiko eingegangen sind“. Es ist ein immer wieder erhobener Vorwurf: Die Extremisten der Meere wollten zu viel, ihre Boote seien überzüchtet.

Dabei ist es eine statistische Tatsache, dass seit 1989, als von Les Sables d’Olonne aus die erste Weltumsegelungsregatta startete, nur etwa die Hälfte der Teilnehmer das Ziel erreicht. Und die Gründe für das Ausscheiden sind so vielfältig, dass man vorab unmöglich jeden einzelnen ausschließen kann. Bei der 2008 mit 30 Startern besonders großen Open-60-Flotte vollendete sogar nur ein Drittel die Strecke.

Den ultimativen Materialtest stellt der „große Süden“ dar, wie die Franzosen das Südpolarmeer nennen. Doch zeigen die schnellen Ausfälle nach dem Start, dass für viele Segler die größte Herausforderung ist, es überhaupt an den Start geschafft zu haben. Für eingehende Materialüberprüfungen bietet das knappe Budget dann keinen Spielraum mehr.

Das musste wohl auch Zbigniew Gutkowski erleben. Der Pole gehört zu den Low-Budget-Teilnehmern, die es sympathischerweise immer noch gibt. Den davonstürmenden Ozeanassen aus Frankreich und England hatte der erfahrene  Mann nichts entgegenzusetzen. Seine Energa ist älteren Baujahrs und von ihm selbst erst einen Monat vor dem Vendée Globe gekauft worden. Schnell zeigte sich das Defizit. Die Selbststeueranlage, ohne die ein Einhandsegler nicht auskommt, ließ Gutkowski im Zickzack über das Meer gondeln. Entnervt gab er auf.

Derweil führt der 35-jährige Armel Le Cléac’h – gesprochen Kläak – das Feld in den Süden. Seine Banque Populaire zählt zu den fünf Neubauten des Designbüros VPLP-Verdier, das die Open-60-Szene derzeit dominiert. Auf den Rängen zwei, drei und fünf liegen ebenfalls Konstruktionen aus der Feder dieser französischen Konstrukteurswerkstatt.

Die anderen im Kielwasser gelassen. Armel Le Cléac'h galt schon vor dem Rennen als Favorit. Nun hält er die Konkurrenz mit Finesse und Energie auf Distanz.

© Le Cléac'h

Le Cléac’hs Vorsprung ist nicht groß, er beträgt etwa 60 Meilen. Aber der 35-Jährige gilt als bester Segler seiner Generation. Vor vier Jahren kam er als zweiter ins Ziel, seine Ambitionen sind enorm. Und er geht schonungslos zur Sache.

Eine Tagesreise zurück liegen Jean Le Cam, Mike Golding und Dominique Wavre,  die mit jeweils über 50 Jahren und etlichen Weltumrundungen zu den erfahrensten Teilnehmern zählen. Als ihre Positionen neulich nachts besonders nah beieinander lagen, beschwerte sich Le Cam: Er habe keine Auge zumachen können, weil Golding zu laut geschnarcht habe.

Das sind so die Späße alter Männer, die nichts zu verlieren haben.

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