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Kira Grünberg, 25, hält Österreichs Rekord im Stabhochsprung (4,45 Meter). Seit ihrem Trainingsunfall 2015 ist sie querschnittsgelähmt. Nun arbeitet sie als Politikerin.

© picture alliance/dpa

Querschnittsgelähmte Politikerin: Kira Grünberg: "Als Sportlerin war ich unentspannter"

Die frühere österreichische Stabhochspringerin über die ebenfalls verunglückte Radrennfahrerin Kristina Vogel, neue Ziele - und ihre neue politische Karriere.

Von David Joram

Kira Grünberg, 25, hält seit August 2014 den österreichischen Rekord im Stabhochsprung. Seit einem schweren Trainingsunfall im Juli 2015 ist sie querschnittsgelähmt. Seitdem engagiert sie sich in der Politik, seit 2017 sitzt sie als Abgeordnete der konservativen ÖVP im Nationalrat.

Frau Grünberg, die Frage, wie es Ihnen geht, mögen Sie nicht, richtig?

Stimmt. Ich habe den Eindruck, dass sie oftmals nur eine Floskel ist. Ebenso wie die Antwort. Aber danke für die Nachfrage – mir geht’s gut!

Blicken wir also gleich nach vorne: Was ist Ihr nächstes großes Ziel?
Ach, ich habe viele Ziele noch offen – grundsätzlich ist es aber entscheidend, dass man sich überhaupt Ziele setzt. Das würde ich jetzt auch Kristina Vogel raten: Offen sein für alles. Vielleicht findet sie etwas, das sie genau so fasziniert wie das Bahnradfahren. Wobei das gar nicht so einfach ist, Ziele zu setzen – das muss man erst wieder neu lernen.

Wie haben Sie nach Ihrem Trainingsunfall den Kopf für neue Ziele freibekommen?

Bei mir ging das relativ schnell. Ich war nur zwei Wochen im Krankenhaus und dann sieben Monate in der Reha. Als ich wieder zuhause war, ist mir erstmal bewusst geworden, dass für Behinderte nicht alles perfekt ist. Ich musste mir für viele Dinge viel Zeit nehmen, geduldig sein. Da tut man sich als Sportler nicht so leicht. Aber man hat auch einen Vorteil.

Und zwar?

Es steckt in einem Sportler drin, dass man sich Ziele setzt, dass man versucht, besser als andere zu sein. Aber grundsätzlich ist das bei jedem ganz unterschiedlich. Manche brauchen zwei, drei Jahre, bis sie wieder offen für Neues sind.
Welchen Vorteil haben Spitzensportler nach einem derart harten Einschnitt noch?

Die Reha ist wie ein ewig langes Trainingslager, da geht man psychisch und physisch an seine Grenzen, man fühlt sich von Tag zu Tag unterschiedlich. Mal besser, mal schlechter. Mentale Stabilität ist da ganz entscheidend. Wie in Wettkämpfen gilt: Mit positiver Einstellung kommt man weiter. Ein Plus ist auch, dass Leistungssportler ihren Körper perfekt kennen. Jetzt kenne ich meinen Körper sogar noch besser – wenn auch auf eine ganz andere Art.

Sie gehen medial sehr offensiv mit ihrer Behinderung um, haben sogar ein Buch geschrieben. Um anderen damit einen Weg aufzuzeigen – oder vor allem um sich selbst zu helfen?

Beides! Wenn wir uns einsperren, wird niemand wissen, wie wir uns verhalten, was wir brauchen, was nicht. Das Buch hat aber auch mir geholfen, mich mit meinem Leben auseinander zu setzen, es war eine gute Therapie.

Als Sie den Unfall hatten, waren Sie 21 Jahre alt und ein großes Talent. Wie ist das, wenn man von 100 auf 0 fällt?

Anfangs habe ich mich gefragt: Warum ich? Warum an dem Tag? Warum habe ich meine Ziele nicht erreicht? Das macht einen fertig, weil es darauf keine Antworten gibt. Ich sagte mir: Das war eben Schicksal, du darfst dir nicht die Schuld geben, Unfälle passieren jeden Tag.

Kristina Vogel sagte dem „Spiegel“ im Interview, ihr erster Höhepunkt nach der Operation sei es gewesen, eine Heidelbeere essen zu können. Wie war es bei Ihnen?

Man schätzt die kleinen Dinge, entschleunigt gewaltig. Wieder alleine Zähne putzen zu können, war zum Beispiel richtig toll. Die Ärzte diagnostizierten mir anfangs ja, dass ich künftig nur noch meinen Kopf würde bewegen können.

Vermutlich ein ziemlicher Schock.

Ich habe schon an der Unfallstelle an Querschnittslähmung gedacht. Schlucken musste ich trotzdem, als mir die Ärzte das dann so sagten. Die sind da ja ganz direkt. Das zu akzeptieren, war erst schwer. Ich habe dann viel probiert. Als ich merkte, dass ich auch die Arme wieder etwas bewegen kann, war der Kampfgeist geweckt, die Fortschritte nahmen zu. Irgendwann stellt man aber trotzdem fest, dass eine Grenze erreicht ist – trotz aller Bemühungen.

Wie hat sich ihr soziales Leben verändert?

Ich hatte das große Glück, dass mein Freundeskreis zu mir hielt. Das war für meine Freunde das Normalste der Welt.

Gab es auch Menschen, die sich von Ihnen abgewandt haben?

Nein, aber es war für manche natürlich schwer, als sie mich das erste Mal querschnittsgelähmt gesehen haben. Die stellten sich auch Fragen: Wie verhalte ich mich? Wie begrüße ich sie? Was ist, wenn ich etwas Falsches sage?

Wie haben Sie auf die Unsicherheit der anderen reagiert?

Ich habe ihnen gleich die Angst genommen. Auch wenn es nicht leicht ist, manche Sachen anzusprechen, muss man lernen zu sagen, was geht und was nicht. Mit meiner besten Freundin war ich im letzten Jahr zusammen im Urlaub – das hat trotz Rollstuhl gut funktioniert.

Schicksalsschlag. Die nach einem Unfall querschnittsgelähmte Bahnradfahrerin Kristina Vogel will an diesem Mittwoch in der Unfallklinik Berlin-Marzahn erklären, wie es für sie weitergeht. Finanziell ist sie vorerst abgesichert. Neben Spenden in Höhe von 120 000 Euro erhielt sie von einer Sportversicherung 150 000 Euro.
Schicksalsschlag. Die nach einem Unfall querschnittsgelähmte Bahnradfahrerin Kristina Vogel will an diesem Mittwoch in der Unfallklinik Berlin-Marzahn erklären, wie es für sie weitergeht. Finanziell ist sie vorerst abgesichert. Neben Spenden in Höhe von 120 000 Euro erhielt sie von einer Sportversicherung 150 000 Euro.

© imago/ZUMA Press

Kürzlich besuchten Sie die Leichtathletik-EM in Berlin. Was verspüren Sie, wenn die Stabhochspringerinnen dran sind?

Anfangs hatte ich schon Wehmut – aber in Berlin war’s einfach nur schön, mitzufiebern und die Leute zu treffen. Zu vielen habe ich noch ein gutes Verhältnis, zu Renaud Lavillenie etwa, dem Weltrekordler. Die Wettbewerbe genieße ich inzwischen. Als Sportlerin war ich unentspannter, man hat sich ja immer verglichen.

Sie haben sich unter anderem mit Samuel Koch getroffen, der seit seinem Unfall 2010 bei „Wetten, dass“ im Rollstuhl sitzt. Inwiefern helfen Ihnen solche Begegnungen?

Ich habe mich mit vielen Menschen getroffen, die im Rollstuhl sitzen, unter anderem auch mit Alex Zanardi. Ein sehr lebensfroher Mensch, das Autofahren lässt er sich nicht nehmen! (lacht) Generell ist der Austausch untereinander sehr wichtig, ich habe viele Tipps bekommen, auch von sogenannten alten Hasen, die schon 30, 40 Jahre lang querschnittgelähmt sind. Das hat etwas Vertrautes, man geht anders miteinander um.

Alex Zanardi hat sich auch wieder in den Leistungssport gestürzt – als Handbiker. Sie machen dagegen nun im Parlament Politik für die Österreichische Volkspartei ÖVP. Warum?

Für mich war klar, dass ich nicht nochmal in den Leistungssport möchte – auch wenn ich mich sportlich an verschiedenen Dingen ausprobiert habe, Tischtennis, Ski oder Krafttraining zum Beispiel. In der Politik habe ich die Chance gesehen, Dinge verändern zu können. Da fängt’s ja an, da werden Rahmenbedingungen geschaffen. Wenn’s andere für einen entscheiden, kommt vielleicht nicht das raus, was man sich wünscht.

Eine Facebook-Nutzerin schrieb unter ein Foto, auf dem Sie mit Bundeskanzler Sebastian Kurz von der ÖVP posieren, sie fände es schade, dass Sie sich „von der Politik benutzen lassen“. Trifft Sie das?

Man kann nicht jedem alles recht machen.

Warum ÖVP? In Deutschland kommt die Partei – etwa wegen der Koalition mit der rechtspopulistischen FPÖ – nicht so gut an.

Für mich war klar, dass ich mich in einer Partei einbringe, in der etwas weitergeht. Das junge, frische Team hat mich überzeugt. Was die Popularität betrifft, habe ich einen anderen Blickwinkel: In Österreich scheinen die Menschen mit der Regierung zufrieden zu sein, die Umfragen sind gut. Und auch von Deutschen höre ich, dass sie auf so einen jungen Kanzler wie unseren neidisch sind.

Sie setzen sich für die Rechte einer Minderheit ein. Zählen Sie in der Migrationsfrage also zum liberalen ÖVP-Flügel?

Menschen mit Behinderung gehören für mich nicht zu einer Minderheit. Eine Behinderung haben viele, das geht schon beim Hörgerät los. Was die Flüchtlingspolitik betrifft: Da bin ich kein Experte – ich konzentriere mich auf meine Arbeit als Behindertensprecherin.

Wofür kämpfen Sie konkret?

Vieles hat sich für Behinderte in Österreich in den vergangenen Jahrzehnten verbessert. Aber wir haben je nach Bundesland noch unterschiedliche Standards. Was in Wien oder Tirol gut funktioniert, ist andernorts noch nicht etabliert. Die rechtlichen Ansprüche, etwa auf Unterstützung bei der Arbeit oder in der Freizeit, sollten für alle gleich sein. Ein weiteres wichtiges Ziel ist die Schaffung von unabhängigen Beratungsstellen für Menschen mit Behinderung.

Zurzeit stehen Sie unter Korruptionsverdacht, weil Sie 2017 – nach Ihrer Wahl ins Parlament – ein Auto geschenkt bekamen, das Ihnen schon 2015 in Aussicht gestellt wurde. Sind die Ermittlungen angemessen?

Das war ein kleiner Schock. Wie Sie richtig sagen, hat mir Opel 2015 nach meinem Unfall ein Auto geschenkt. Nur war da noch gar nicht klar, ob ich jemals wieder Auto fahren kann. Und falls ja, was dann alles umgestellt werden müsste und so weiter. Also habe ich Opel gebeten, mit der Lieferung zu warten. Und weil sich die dann auch noch verzögerte,...

… müssen Sie sich nun rechtfertigen.

Ich möchte, dass dies ein für alle mal geklärt wird. Deshalb habe ich auch zugestimmt, meine Immunität als Abgeordnete aufzuheben. Ich bin aber überzeugt, dass sich alles klärt. Dass ermittelt wird, ist in Ordnung. Ich will ja auch so behandelt werden wie jeder andere.

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