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Die Fans waren bei der Leichtathletik-EM begeistert.

© picture alliance/dpa

Zukunft der Sportstadt Berlin: Was bewegt werden kann

Die Leichtathletik-EM sollte Anstoß sein für künftige Topereignisse – aber auch für Berlin und das Zusammenleben in der Stadt. Ein Gastbeitrag.

Berlin konnte mal richtig stolz sein. Nach der Europameisterschaft der Leichtathletik kam großes Lob von allen Seiten; nach dem Istaf am vergangenen Wochenende war es nicht anders: Alles war spitze – die Organisation, das Publikum, die Öffnung des EM-Events in die Stadt hinein, beim Istaf die große Emotion rund um Robert Hartings letzten Wurf. Berlin hat gezeigt: Großveranstaltungen werden von den Menschen angenommen, wenn kein arrogantes Weltkomitee dahintersteht. So strahlen sie eine Leichtigkeit und Lebenslust aus, die auf die Stimmung in der Stadt wirkt.

Eine erste – richtige – Konsequenz zog der Senat gleich nach dem Sportfest: Die Überlegungen zum Umbau des Olympiastadions in eine Fußballarena haben keine Chance mehr. Deutschlands attraktivste Multifunktionsarena bleibt erhalten. Noch ein zweiter, wichtigerer Impuls wird von der gelungenen EM gegeben: Berlins Umgang mit großen Sportveranstaltungen und deren Verhältnis zum Breitensport sollten neu durchdacht werden. Beide sind wichtig für die Stadt – aber dafür braucht man das richtige Konzept. Vorbildlich haben die Leichtathleten auf Impulse des Sports für die Gesellschaft gesetzt, mit Wirkungen bis in den Berliner Alltag hinein. Ein solches Großereignis strahlt aus auf Schule und Bildung, Stadtentwicklung und Kultur, Gesundheit, Wirtschaft und auf die Außendarstellung Berlins.

Drei weltweite Entwicklungen zeigen, wie wichtig der Sport für die Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft geworden ist.

Erstens: Spitzenleistungen und Großereignisse des Sports stehen im Zentrum öffentlicher Aufmerksamkeit. Große Sportevents bieten Gemeinschaftserlebnisse, wie sie sonst selten geworden sind. Sie geben den Menschen Freude daran, ihre Zusammengehörigkeit zu leben. Die räumliche Vorstellung von Heimat wird heute nachdrücklich durch sportliche Ereignisse, Vereine und Erfolge von Sportlerinnen und Sportlern aus dieser Heimat definiert. Ihnen kommt eine so starke sozialintegrative Funktion zu, dass sie einen substantiellen Gewinn an innerem Zusammenhalt und positivem Selbstbild darstellen. Der emotionale und symbolische Gewinn solcher Veranstaltungen geht weit über die Stadtrendite aus der Belegung von Hotelbetten und von Umsatzsteuer hinaus.

Zweitens: Vielfalt und Popularität des Sports stehen für gesellschaftliche Hoffnungen. Die große Popularität des Sports hat zur Folge, dass Gesellschaften ihre Vorbilder aus diesem Bereich gewinnen. Hier findet man Freude an hoher Leistung, an Einsatzbereitschaft und fairem Wettkampf. Große Persönlichkeiten des Sports sind Modelle für den Wert von Anstrengungen, für die Beachtung von Regeln, für den Umgang mit Misserfolgen und nicht zuletzt für die Eingliederung in den sozialen Zusammenhalt von Sportgruppen. In einer urbanen Ich-Gesellschaft bieten sie Gelegenheit zu vielfältigen körperlichen Erlebnissen.

Kitas und Schulen einbinden

Sportliche Vielfalt entwickelt sich im Breiten- und Gesundheitssport. Er ist zu fördern und auch mit inklusiven Sportangeboten weiterzuentwickeln. In einer wachsenden Stadt gewinnt er zunehmend an Bedeutung als integraler Bestandteil zur Daseinsvorsorge für alle Menschen. Für diese wertvollen Aufgaben braucht der Sport Räume in der Mitte der Gesellschaft, sei es in der unmittelbaren Nachbarschaft, sei es in Stadien für den Spitzensport. Zukünftige Sportangebote müssen bei allen Planungen für neue Infrastruktureinrichtungen – insbesondere für Kitas und Schulen – von Beginn an einen wichtigen Platz einnehmen.

Drittens: Kultur und Sport sind ideale Partner. Beide leisten wesentliche Beiträge zur sinnlichen Kultur, fördern die Talente junger Menschen und tragen wesentlich zu Lebensfreude und Gefühlsbildung der aktiv Beteiligten bei. Sie heben sie über den Alltag hinaus und bereichern ihre Lebensbilanz um bedeutende Beiträge. Beide sind international ausgerichtet und befördern die Begegnung und den Austausch von Menschen unterschiedlicher Herkunft. Ihre Fähigkeit, Gräben zu überwinden und Gemeinschaftserlebnisse zu ermöglichen, prädestiniert sie für eine enge Kooperation.

Dass es auf beiden Seiten Berührungsängste gibt, liegt daran, dass Kultur als geistig und Sport als körperlich wahrgenommen wird. Das Eine ist so falsch wie das Andere. Der körperlich-sinnliche Anteil an kulturellen Werken und die ästhetische Qualität sportlicher Spitzenleistungen sprechen für eine Annäherung beider Bereiche. Beide können voneinander profitieren: die Kunst von der Popularität des Sports und der Sport vom öffentlichen Ansehen der Kunst. Bei der Leichtathletik-EM wurde der Anfang gemacht, Großveranstaltungen des Sports mit Kultur vernetzen. Dieser Versuch sollte – mit weiter entwickelten Konzepten – engagiert und professionell fortgesetzt werden.

Diese drei Punkte sprechen für mehr Mut zu einem breiten Ansatz, wenn es um die Planung von Top-Events im Sport geht. Aber es erfordert auch ein vernetztes Denken an der Basis, bei Organisation und Planung des Alltagssports. Hier ist Berlin erst am Anfang. Wir sollten die Begeisterung über Top-Ereignisse nutzen, um das Profil der Sportstadt Berlin weiter zu entwickeln.

Sport im Park

Sport und kulturelle Aktivitäten sind in den meisten Bildungsinstitutionen eher randständig. Umso mehr ist es notwendig, Schulen weiter zu öffnen, um Platz für Angebote von Vereinen oder anderen Institutionen des Sports und der Kultur zu schaffen. Hier ist es dringend geboten, die oft scharfe Trennung von Sport- und Kulturangeboten zu überdenken. Sie ist nicht mehr zeitgemäß. Nötig ist auch, neue Möglichkeiten zur Begegnung zwischen Spitzen- und Freizeitsportlern zu schaffen. In Schulen und Vereinen wie im Rahmen großer Sportevents.

Immer noch wird in Schablonen gedacht. Warum sollten innovative Tanz-Ereignisse allein zur Kultur gerechnet werden, wo sie doch akrobatische Fähigkeiten erfordern, die über die Anforderungen der meisten Sportarten hinausgehen? Kognitive Lernfortschritte werden von kreativen Bewegungen auf erstaunliche Weise befördert. Das sollte genutzt und nicht marginalisiert werden.

Neben den klassischen Sportarten, die auf standardisierte Sporthallen und Sportplätze angewiesen sind, besteht Bedarf an frei gestaltbaren Räumen – einschließlich Grünanlagen, etwa für Yoga oder Gymnastik. Idealerweise mit Umkleide- und Duschmöglichkeiten, verschließbaren Spinden sowie Unterstellmöglichkeiten für Sportgeräte. Ein ähnlicher Bedarf besteht an kulturellen, sozialen und außerschulischen Bildungsangeboten.

Bestimmte kulturelle Angebote, etwa Probenräume, haben eine dem Sport vergleichbare Lärmschutzproblematik. Es bietet sich an, die Nutzungsansprüche aus beiden Bereichen zu bündeln, in Form von Multifunktionsräumen in Schulen oder Quartierzentren mit einer entsprechenden Infrastruktur. Schulen müssten so gebaut werden, dass ein Teil der Räumlichkeiten abends und an Wochenenden unaufwändig genutzt werden kann: mit leichter Zugangsmöglichkeit und Lagerräumen, im räumlichen Kontext von Schulsporthallen (mit Umkleide und Duschen). Umgekehrt kann auch die Infrastruktur von Sportanlagen als Probenräume, für außerschulische Bildung und vieles mehr geöffnet werden. Unter freiem Himmel bieten sich Kooperationsvorteile durch eine multifunktionale Infrastruktur für „Sport im Park“ an – bis hin zu Angeboten der Umweltbildung oder Pflegeeinsätzen von aktiven Naturschützern.

All das sind Beispiele dafür, dass ein umfassenderer Ansatz dem Sport genauso hilft wie der Gesellschaft insgesamt. Eine Stadtstrategie, die in neuer Weise auf die realen Bedürfnisse eingeht, würde klarmachen: Sport ist mehr als Sport. Er kann helfen, die Gesellschaft zusammenzuhalten.

Richard Meng ist Präsident der Berliner Deutschen Olympischen Gesellschaft, Gunter Gebauer ist Professor für Philosophie und Sportsoziologie der Freien Universität Berlin. Sie haben den Artikel auf der Basis eines Konzepts der Initiative „Sport und Kultur“ der Stiftung Zukunft Berlin verfasst.

Richard Meng, Gunter Gebauer

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