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Mode und Skateboard: Roll-Brett-Spiele

Kein anderer Sport hat die Streetwear so beeinflusst wie das Skateboarding. Das bleibt immer jung und bewahrt trotz vielfältiger Vermarktung seinen egalitären Geist.

Titus Dittmann ist gereizt. „Hätte doch mal was sagen können“, grummelt er vor sich hin. Als der Urvater der deutschen Skateboard-Szene den „Titus“-Stand auf der Skate-Messe Bright begutachten will, ist der bereits wieder abgebaut. So sind die Kinder. Vor zehn Jahren hat der 70-Jährige die Firma an seinen Sohn Julius übergeben, er ist eigentlich raus aus dem Geschäft. Und eigentlich war er sowieso zur Berliner Fashion Week gereist, um bei Michalskys StyleNite Kontakte und Geld für seine Wohltätigkeitsorganisation Skate-aid zu sammeln.

Titus, wie ihn alle nennen, trägt Sneakers, Jeans und, trotz hochsommerlicher Temperaturen, eine Mütze – als Vorsorge gegen Hautkrebs, nicht aus Stilgründen. Außerdem natürlich ein T-Shirt mit dem „Titus“-Schriftzug. Später bei Michalsky wird auf seiner Brust „Skate-aid“ prangen. Er ist ein Werbeträger für die eigene gute Sache, dieser Titus, der niemals Unternehmer sein wollte und deshalb immer großzügig Ablass an die Skater-Gemeinde gezahlt hat.

Als von 1968 geprägter Sportlehrer entdeckte er im Münster der späten Siebziger seine Faszination fürs Rollbrett und führte es als AG in den Schulsport ein. Ohne Englischkenntnisse und auf eigene Rechnung begann er, für seine Schülergruppe Skateboards aus den USA mitzubringen, später vertrieb er sie in seiner 41-Quadratmeter-Wohnung. Den Gründungsmythos vom Skateboarding in Deutschland erzählt Titus im Dokumentarfilm „Brett vorm Kopp“ und der Autobiografie „Brett für die Welt“ als herrlich unterhaltsamen Rebellenschwank.

Die Marke Titus und ihr Namensgeber haben Höhen und Tiefen überstanden, von den riesigen „Münster Monster Masterships“ bis zur drohenden Pleite. Unter der Leitung von Julius Dittmann ist die Marke Titus heute Marktführer in Europa bei Skateboards und Streetwear.

Deren Aussehen hat kein anderer Sport so stark geprägt wie das Skateboardfahren, das die Straße und alle möglichen und unmöglichen urbanen Orte erobert. Da das Board potenziell immer in Gebrauch ist, wird die Grenze zwischen Sport- und Alltagskleidung aufgehoben. Mit der vom Skateboarding inspirierten Streetwear verbindet man heute Hoodie, Basecap, T-Shirt und Khaki-Shorts oder Baggy-Pants, gerne alles in bequemer Übergröße. Die Geschichte der Skateboarding-Bekleidung ist bunt und vielfältig, bei Mode-Revivals wird sich daraus immer gerne bedient. Trotzdem bleibt es diese Garderobe, anhand derer Skater von der Allgemeinheit identifiziert werden.

In Zeiten, in denen High Fashion versucht, für eine jüngere, zahlungskräftige Generation relevant zu bleiben, werden diese Kleidungsstücke in die hochpreisigen Kollektionen integriert. Doch was ist der emotionale Gehalt, der damit hergestellt werden soll? Nach drei Stunden Gespräch mit Titus Dittmann ist klar: Skateboarding hat einen rebellischen Geist und verhält sich vorurteilsfrei gegenüber jedem, der es ernst meint mit der Liebe zum Brett. Dafür muss man bereit sein, Opfer zu bringen – in Form von Schrammen, blauen Flecken und Brüchen. Erwachsene haben hier in der Regel nichts zu melden, Skateboarding ist immer jung und damit eine ideale Vorlage für jeden Marketingprofi.

Einen vorläufigen Höhepunkt bildete 2017 die Kooperation zwischen dem Kultlabel Supreme und Louis Vuitton

Wer diese Jugendkultur nur überstreift, um davon zu profitieren, wird allerdings schnell als Poser verachtet. Das Gegenmittel der Modeprofis sind Kooperationen von Modelabels mit etablierten, geschätzten Streetwear-Marken. Sie sollen alle Probleme mit der Glaubwürdigkeit ausräumen. Die Schuhmarke Vans zum Beispiel sorgt seit 1966 beständig für eine gute Verbindung zwischen Skater und Brett.

Einen vorläufigen Höhepunkt bildete 2017 die Kooperation zwischen dem Kultlabel Supreme und Louis Vuitton. Die Modewelt war sprachlos, als zwei so erfolgreich geschützte, gut vermarktete Logos sich bereitwillig kreuzen ließen. Fashionistas bekamen Schnappatmung beim Monogramm-Muster mit den Initialen LV im Rot-Weiß von Supreme und den knallroten Louis-Vuitton-Lederwaren mit Supreme-Schriftzug.

Die Skater dagegen spuckten Gift und Galle. Ein normaler Skater kann einen Skateboardkoffer für 50 000 Dollar weder bezahlen noch gebrauchen. Auch die anderen Stücke waren unerschwinglich oder ihres Streetwear-Kontexts beraubt wie die Gürteltasche auf unserem Foto. Verrat! Authentisch ist, was erschwinglich bleibt für diejenigen, die sich dem Skaten widmen und nicht der Vermögensbildung. Vor den Läden campierten dessen ungeachtet Schlangen von Sammlern und eBay-Spekulanten.

Die friedliche Koexistenz der beiden Marken auf feinstem Leder ist ein gutes Beispiel für die aktuelle Annäherung zwischen Streetwear und High Fashion. Noch im Jahr 2000 hatte Louis Vuitton mit einer Klage gedroht, als Supreme Skateboards mit einem Muster bedruckt hatte, das auf das berühmte Vorbild anspielte.

Was wird das nächste große Ding in der Vermarktung der Skate-Kultur? Wer wird profitieren von der Aufmerksamkeit der Medien? „Mädchen!“, sagt Julius Dittmann bestimmt. Gerade hat er den Pionierinnen eine ganze Sonderausgabe seines Firmenmagazins gewidmet. Aus „Brettkollegen“ wurde „Brettkollegin“, sogar die Anzeigenkunden zogen mit.

Das war nicht immer so. Mädchen wurden vom Skateboardfahren ausgeschlossen, als die Tricks anspruchsvoller wurden und das Verletzungsrisiko höher. Heute gilt Skateboardfahren als typischer Jungssport. Und wer als marketingrelevante Gruppe nicht existiert, wird in aller Regel auch nicht unterstützt. Doch die Zeit scheint reif für Girlpower. Dabei wird den künftigen Skaterinnen das Feld medial aus zwei gegensätzlichen Richtungen bereitet.

Titus Dittmann engagiert sich mit Skate-aid weltweit für Kinder in Krisengebieten. Er glaubt an die charakterbildende Kraft vom Hinfallen und wieder Aufstehen, an das Gefühl von Stolz nach einer durchgestandenen Fahrt, einem geglückten Trick. Dieses positive Lebensgefühl brachte er 2009 zusammen mit der NGO Skateistan und Cap Anamur-Gründer Rupert Neudeck auch zu den traumatisierten Kindern Afghanistans. Insbesondere den Mädchen wollte man einen Schutzraum schaffen, in dem sie einfach Kind sein können. Skateboardfahren war in Afghanistan so unbekannt, dass es nicht als Sport verstanden wurde, der Mädchen verboten wäre. Als Spiel, das sie glücklich macht, ist es gesellschaftlich akzeptiert. Die Bilder von befreit lachenden Mädchen mit dem Schutzhelm über dem Kopftuch gingen um die Welt und erinnerten daran, dass es kein Naturgesetz ist, dass Mädchen kaum skaten.

Das findet auch Regisseurin Crystal Moselle. Vor zwei Jahren drehte sie für das italienische Modelabel Miu Miu den Kurzfilm „That One Day“ über Skaterinnen in New York, die den Machos im Skatepark die Stirn bieten. Tatsächlich erzählen Skateboarderinnen immer wieder von Diskriminierungen. Gleichzeitig sagen sie, dass sie lieber mit Jungs trainieren, weil sie das stärker herausfordert. Gar nicht so leicht, da den richtigen Ton zu treffen. In einer traumartigen Sequenz, die das Stadium zwischen Mädchen und Frau symbolisieren soll, skaten die Laiendarstellerinnen in den edlen Kleidern des Modelabels. In Zeitlupe wehen Abendkleider und Seidenmäntel durch den nächtlichen Skatepark.

Aus den Darstellerinnen formierte sich im Verlauf der Dreharbeiten das Kollektiv „Skate Kitchen“, das Crystal Moselle weiter auf ihrem Weg durch die Skateparks und die Sozialen Netzwerke begleitete. Dort finden sich heute die vereinzelten Skaterinnen und begeistern eine Anhängerschaft, die rasant wächst. Im Januar feierte die Langfassung von „That One Day“ als dokumentarischer Spielfilm „Skate Kitchen“ auf dem Sundance Filmfestival im US-Bundesstaat Utah eine erfolgreiche Premiere.

Dass die Mädels im Film top gestylt sind und wie eine perfekt gecastete Girlgroup wirken, gefällt nicht jedem. Aber vielleicht bildet das die Realität von Mädchen und jungen Frauen von heute ab, die sich in ihrer Pubertät dem Einfluss von Influencerinnen und Youtuberinnen ausgesetzt sehen. Solange sie im Skatepark und auf der Straße lernen können, dass sie nicht perfekt sein müssen, sondern öffentlich Fehler machen, stürzen und sich dabei Schrammen holen dürfen, ist es eigentlich egal, was für Klamotten dabei Löcher bekommen.

Ingolf Patz

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