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Breit aufgestellt. Kostüm aus Tomatenrotem Breitcord von Hien Le.

© Christopher Schaller

Stoff für den Herbst: Cord: Des Widerspenstigen Zähmung

Cord ordnet sich nicht unter und ist nicht einfach zu tragen. Aber ein Versuch ist es wert: Jetzt gibt es ihn in leuchtenden Farben von Sattgrün bis Rosa.

Wenn es nach den Modemagazinen ginge, hätte Cord schon im vergangenen Herbst seinen Wiederaufstieg in die erste Mode-Liga gefeiert. Vielleicht war den Trendvorschauen der eine oder andere Warnhinweis zu viel beigefügt: toll, aber schwierig. Das Material trägt auf, ist altbacken und kann kostümiert aussehen.

Auch die Händler waren skeptisch. Am Ende war Cord überall auf Bildern präsent, aber eben nicht in den Läden. In diesem Herbst dürfte es kein Problem sein, sich von Kopf bis Fuß in Cord zu hüllen, der Stoff ist Bestandteil fast jeder aktuellen Kollektion.

Dabei ist vielen Menschen das Material noch aus ihrer Kindheit vertraut, zumal, wenn diese in den siebziger Jahren stattfand. Damals trug man den Stoff überall, im Kindergarten, im Büro, im Lehrerzimmer. Hollywoodstars wie Robert Redford spielten in sandfarbenen Cordanzügen investigative Journalisten und Ali MacGraw und Ryan O’Neal kamen sich in „Lovestory“ in Cord näher.

Eigentlich ist der Stoff ja nur eine entspannte Spielart von Samt, der seit dem 16. Jahrhundert bevorzugt in Königshäusern zum Einsatz kam. Auch Cord trugen ursprünglich vor allem Adlige beim Sport, ab dem Ende des 19. Jahrhunderts wurde er als Massenware in Manchester vor allem für robuste Arbeitsbekleidung hergestellt. Und weil nicht nur Arbeiter, sondern auch Studierende und Professoren seit den 1920ern gern Cord trugen, bekam der Stoff auch noch eine intellektuelle Anmutung.

Die Designerin Miuccia Prada sorgte im vergangenen Jahr dafür, dass Cord nach längerer Zeit wieder Aufmerksamkeit auf sich zog. Ihre cognacfarbenen Anzüge waren so etwas wie der Startschuss für die Modeindustrie.

Der Professor mit der brennenden Pfeife im Cordsakko

Selbstverständlich kaufte sich auch Carl Tillessen, Trendanalyst fürs Deutsche Modeinstitut, sofort eine Cordhose, er findet Cord einfach toll. Trotzdem stellte er fest, dass diese nicht überall wohlwollend aufgenommen wird. Eine befreundete Designerin nennt sie die „Wellblechhose“. Tillessen hält Cord für ein typisches Modeparadoxon: „Das Material ist so uncool, dass es wieder cool ist. Sieht toll, aber nicht sexy aus, genau genommen ist es sogar extrem unsexy.“ Ihm ist das noch nicht genug, er findet sogar, dass jemand, der Cord trägt, seinen Sexualtrieb hinter sich lässt und eine „Ist-mir-doch-egal-Haltung“ an den Tag legt. Nicht umsonst gibt es das Klischee des Professors in Cord, der mit der brennenden Pfeife in der Sakko-Tasche herumläuft und das gar nicht merkt.

Tillessen ist sich sicher, dass die Zeit reif für Cord ist: „Trendarbeit fängt immer mit Farbe an. Und jetzt sind gerade die Herbsttöne dran, ein dunkles Violett, Grün und tiefes Rot. Mit keinem anderen Material kann man eine größere Leuchtkraft, so ein dunkles Glühen erreichen – diesen Effekt bekommt man nur mit Samt oder mit Cord hin.“ Und denkt man weiter, kommt man vom Cord schnell zu den Schlaghosen der siebziger Jahre, wie sie jetzt wieder angeboten werden.

Rosafarbener Anzug vom H&M-Ableger &Other Stories.
Rosafarbener Anzug vom H&M-Ableger &Other Stories.

© promo

Neu sind in diesem Herbst Cordanzüge komplett in Rosa, für Damen und Herren. Carl Tillessen findet, das ist eine Variante für all diejenigen, die nicht kostümiert herumlaufen wollen: „Weil diese Farbkombination eben kein Cordklassiker ist.“ Und dann ist die Entsexualisierung selbst ein Trend, der sich mit Cord gut ausleben lässt: „Die Steigerung der Latzhose ist die Cordlatzhose – wirklich nicht sexy und schon lange ein feministisches Statement.“

Der Berliner Designer Hien Le schwelgt diesen Herbst in Cord

Auch der Berliner Designer Hien Le hat ein wenig gebraucht, bis er sich entschloss, Cord in seine Kollektion aufzunehmen. Erst einmal musste er sein Kindheitstrauma überwinden. „Hätte mich vor sieben Jahren jemand gefragt, mit welchem Stoff ich auf keinen Fall arbeiten will, ich hätte Cord gesagt.“ Jetzt hängt sein Kreuzberger Atelier voll mit Kleidung aus Cord. Es gibt Jacken aus erstaunlich weichem, fast fließendem Breitcord, Anzüge mit feinen Rippen in Rosa – im Schnitt schlicht und kastig gehalten – weite Bundfaltenhosen in Tomatenrot und mit Teddyfell gefütterte Blousons und Mäntel.

Ihn hat die endlose Auswahl auf der Pariser Stoffmesse schlicht überwältigt. „Solche Rottöne habe ich noch nie gesehen. Und erst das Rosé!“ Das gehört sowieso zu seinen Lieblingsfarben, auch für Männer. Das ist deshalb wichtig, weil er für Männer und Frauen eine gemeinsame Kollektion entwirft: ein Thema, dieselben Farben und Materialien. Nur die Schnitte passt er an das jeweilige Geschlecht an. Wobei sich viele Händler nicht daran halten. Für diesen Herbst wurden ausschließlich die Bundfaltenhosen für Männer bestellt – vor allem für Frauen. „Die sitzen einfach lässiger, und das ist bei Cord wichtig“, sagt Hien Le. Auf allzu viel Details hat er verzichtet, dafür hat er mit dem Verlauf des Cords gespielt. Bei einem Rock mit Kellerfalte stoßen die Rippen an einer Schnittkante horizontal und vertikal aufeinander.

Spaß gemacht hat ihm die Verarbeitung nicht. Überall im Atelier flogen die roten Flocken herum, die sich aus dem Flor gelöst hatten. „Aber mit dem Ergebnis bin ich richtig happy.“

Mode von Hien Le gibt es ab September auf seiner Homepage, Ende September eröffnet ein Pop-up-Shop.

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