zum Hauptinhalt
Es muss nicht immer die schwierigste Übung sein. Yoga ist ein Reinigungsritual und kein Wettbewerb.

© imago/blickwinkel

Die Yogakolumne: Auch beim Yoga kann man sich verletzen

Zähne zusammengebissen, Adern treten hervor: Manche Kursteilnehmer strapazieren ihren Körper bis an die Grenzen – völlig unnötig.

Manche Teilnehmer fragen mich bereits nach der zweiten Yogastunde, wann sie endlich in die fortgeschrittenen Kurse dürfen. Ich verstehe das. Als ich mit Mitte 20 meine Yogalehrer-Ausbildung anfing, bin ich jeden Tag 100 Mal hintereinander fluchend und mit hochrotem Kopf gegen die Wand in einen wackeligen Handstand gehüpft. Ich glaubte damals ernsthaft, dass wenn ich die Übung beherrsche, ich auch alles andere in meinem Leben fest im Griff haben würde.

Es hat etwa zwei Jahrzehnte gedauert, bis es mir gelungen ist, das ständige Sich-Vergleichen, das Höher-Schneller-Weiter, das Wettbewerbsdenken aus dem Alltag draußen vor dem Yoga-Saal zu lassen. Ob ich diese Einsicht meiner regelmäßigen Praxis verdanke oder der Gelassenheit des Alters, weiß ich nicht.

Irgendwann hatte ich verinnerlicht, dass ich auf meiner Matte den Alltagsmüll loswerden kann und danach meine Sicht wieder frei sein wird. Yoga ist für mich inzwischen ein Reinigungsritual, vergleichbar mit täglichem Zähneputzen. Da käme doch auch niemand auf die Idee, dass es sauberer macht, wenn man sich die Zahnhälse blutig schrubbt.

Bloß keine Gurte und Blöcke

Immer wieder beobachte ich jedoch genau das: wie manche Teilnehmer ihr persönliches Drama mit in die Stunde tragen. Die Augen wandern unruhig im Raum umher, statt den Blick sanft nach innen zu richten, um sich auf sich selbst zu konzentrieren. Obwohl wir Lehrer sagen, man solle nicht vergleichen, passiert es ständig. Männer schauen, ob der Nebenmann den Handstand länger halten kann, Frauen lassen sich von der Mattennachbarin mit den langen Beinen verunsichern. Die Perfektion der anderen macht ihnen die eigenen Defizite bewusst.

Ganz besonders die ehrgeizigen Anfänger empfinden es als Demütigung, wenn ich ihnen Hilfsmittel wie Gurte oder Blöcke anbiete. Dabei könnten sie damit die Übung mit mehr Anmut und tieferem Atem ausführen. Bockig lehnen sie ab, solche Krückstöcke brauchen sie nicht!

Manch einer, dem ich rate, sein Knie zu betten, fühlt sich als Versager. Wem ich empfehle, seinen Kopf in Rückenlage auf einer gefalteten Decke abzulegen, der schaut mich an, als wolle ich ihm ein Lätzchen umbinden. Und wenn ich verschiedene Optionen für eine Übung anbiete (rechtwinklig stehend die Hand auf den Oberschenkel oder am Boden aufsetzen), wählen viele die schwierigste. Dann stehen sie da, platzen fast vor Anspannung, Adern treten hervor und schließlich klingelt ihr Handy, und sie stürmen sich selbst verfluchend aus dem Raum.

Eigene Belastungsgrenze kennen

Natürlich bringt es auch nichts – wie es in manchen Studios geschieht –, wenn wir alle dauerausatmend ohne Körperspannung durch die Übung dümpeln und danach gemeinsam über den Untergang der Welt lamentieren.

Doch ich erlebe immer wieder, dass einige den Unterschied zwischen gesunder Dehnung, die einem zu mehr Raum verhilft, und ihrer eigenen erreichten Belastungsgrenze nicht kennen. Wirklich wahr: Man kann sich auch beim Yoga verletzen. Bänder, Sehnen und Gelenke kompensieren, wo es an Muskeltonus fehlt. Nach zu viel Joggen geht einem die Puste aus, nach zu vielen unachtsam ausgeführten heraufschauenden Hunden kann der untere Rücken schmerzen.

Wie gern würde ich meinen übereifrigen Teilnehmern einen Spiegel vorhalten, damit sie ihre zusammengebissenen Zähne sehen. Die Einheit zwischen Körper, Geist und Seele lässt sich nicht erzwingen. Aber ich habe es am Ende ja auch geschafft.

Die Autorin ist Chefin von Spirit Yoga.

Patricia Thielemann

Zur Startseite