zum Hauptinhalt
Kommunikation ohne Worte: Manche sagen's lieber mit Emoticons.

© Britta Pedersen/dpa

Facebook-Experiment: Mitleid für das Herzchenmonster

„Jeder sieht, was du scheinst. Nur wenige fühlen, wie du bist“: Unsere Kolumnistin hat eine Woche lang schwer erträgliche Sinnsprüche bei Facebook verschickt. Jetzt nimmt sie alles zurück.

Von Maris Hubschmid

Postkartenweisheiten und Emoticon-Feuerwerke sind mir ein Gräuel. Ich bin ein nüchterner Facebook-Akteur. Gewesen: Fünf Tage lang habe ich schnulzige Sinnsprüche verschickt. Es war eine Probe.

Schritt eins: Ich sende die Nachricht „Wahre Freunde sind wie Sterne. Du kannst sie nicht immer sehen, aber sie sind immer da“ an drei Freundinnen. Meine engste reagiert prompt: „Huch, wo kommt das plötzlich her?“ „Wieso?“, frage ich. Naja, schreibt sie, für derlei „Poesiealbum-Sprüche“ sei ich doch nicht der Typ. Rudert dann aber zurück: Sie freue sich natürlich trotzdem.

„Jeder Wunsch aus der Tiefe der Seele, aufgeladen mit der Liebe deines Herzens, hat die Kraft sich selbst zu verwirklichen!!!“ Ein Schulfreund fragt: „Verschickt der Tagesspiegel jetzt auch Kettenbriefe?“ „Wie meinst Du das?“, gebe ich mich gekränkt, rate ihm, er müsse mal negative Energie loslassen.

Ich rede von Erkenntnisgewinn und innerem Frieden

Als nächstes poste ich Sätze an die Pinnwand anderer Leute. Jetzt können auch Dritte die Botschaften sehen. „Erhebe deine Worte, nicht deine Stimme. Es ist der Regen, der Blumen wachsen lässt, nicht der Donner.“ „Stammt das aus der Bibel?“, erkundigt sich eine Kollegin.

Einen langjährigen Freund bedenke ich mit dem Satz: „Ein Freund ist, der deine Hand nimmt, aber dein Herz berührt.“ Fünf Minuten später klingelt mein Handy. Vielleicht komme das jetzt blöd rüber, sagt meine beste Freundin, aber sie habe das Gefühl, jemand habe meinen Facebook-Account gehackt. Ich könnte sie umarmen – sie kennt mich wirklich! Aber ich spiele mein Spiel weiter, rede von Erkenntnisgewinn und innerem Frieden. Der Freund vermutet einen „hormonellen Hintergrund“.

Maris Hubschmid traut sich was
Maris Hubschmid traut sich was.

© Doris Spiekermann-Klaas

Mein Bruder schämt sich für mich

Letzte Stufe: Ich setze Weisheiten als Status-Post ab – sichtbar für 452 Kontakte. Nur nicht dran denken, wer alles in dieser Liste ist! „Jeder sieht, was du scheinst. Nur wenige fühlen, wie du bist.“ Inzwischen habe ich eine ergiebige Quelle für Emoticons aufgetan. Sonnen, Rosen, Pärchen Hand in Hand, alles dabei. Mein Bruder weiß Bescheid. „Das ist ja so peinlich“, schreibt er, „ich glaube, ich hätte lieber in der U-Bahn gesungen.“

Die einen fragen, was es zu feiern gibt. Andere machen sich aufrichtig Sorgen. Auffällig ist, dass sich auch außerhalb von Facebook viele melden, von denen ich lange nichts gehört habe. Sie erwähnen meine Posts nicht, wollen aber „einfach mal hören, ob alles in Ordnung ist“.

Am irritierendsten sind die zwölf, die auf „Gefällt mir“ klicken. Erkennen sie die Ironie? Ist es Mitleid?

Am vorletzten Tag bekomme ich eine Mail aus der Chefetage. Der Kollege könne meinen Facebook-Jubel nicht recht einordnen. Ich hole tief Luft und antworte: „Muss es immer einen Anlass geben? Gefühle sollte man nicht investieren, Gefühle soll man verschenken. Haben Sie schon mal darüber nachgedacht: Leben Sie Ihr Leben oder lebt Ihr Leben Sie?“ Den Text garniere ich mit Herzchen und Hamstern. Er nimmt sich Zeit für seine Antwort: „Danke für diesen Blick in Ihre Beweggründe“, steht da.

Das Internet vergisst nicht

Ich ertrage es nicht länger und weihe ihn ein. Am liebsten würde ich jedem meiner 452 Kontakte eine persönliche Nachricht schicken: Ich nehme alles zurück! Das bin nicht ich! In mir steigt die ungute Ahnung auf, dass ich nicht alle aufklären kann. Welches Bild wird von mir bleiben?

„Dachte, dich muss irgendwas riesig Emotionales überrollt und halb verrückt gemacht haben“, schreibt eine Kollegin. Gewissermaßen war es so: Was habe ich gelitten, mich dermaßen zu verstellen! Obwohl: Drei Kontaktanfragen habe ich in diesen Tagen bekommen – und nicht beantwortet. Die bestätige ich erst, wenn die Posts aus meiner Chronik gelöscht sind.

Zur Startseite