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Streetart. Ein Wandgemälde in Paphos.

© picture alliance / Constantinos

Kulturhauptstadt 2017: Wie sich Paphos zur Welt öffnet

Die Stadt ist eigentlich nicht mehr als ein Strandbad. Jetzt werden die antiken Stätten zur Kulisse für moderne Kunst. Funktioniert das?

Eine Künstlerkolonie würde man hier nicht vermuten. Wie ausgestorben liegt das kleine Kissonerga in der nachmittäglichen Hitze da, vom Zirpen der Zikaden einmal abgesehen; entlang der Straße reiht sich ein Wohnhäuschen ans nächste. Katerina Foukara und Arsenty Lysenkov haben ihr Atelier neben dem Supermarkt. Das junge Paar kümmert sich gerade um einen 16-Jährigen, der an einem Gemälde arbeitet. Besucher seien willkommen, sagt Foukara: „Wir haben fast jeden Tag geöffnet.“ Kinder aus der Region lernen in ihrem „Art Studio“ zu zeichnen, junge Leute aus aller Welt belegen Vorbereitungskurse für die Uni – und jeder sonst, der interessiert ist, kann sich anmelden, um unter professioneller Anleitung künstlerisch zu arbeiten.

Foukara ist Malerin, mit zyprischen Wurzeln auf der väterlichen, russisch-armenischen auf der mütterlichen Seite, Lysenkov, der aus Russland stammt, arbeitet vor allem als Bildhauer. Kennengelernt haben sich die beiden beim Studium in Moskau. Seit sechs Jahren leben sie im Südwesten Zyperns, in Foukaras Heimatdorf, wo auch die Eltern – ebenfalls Künstler – zu Hause sind. Zwischen Meer und hohen Bergen, Zypressen, Bananenpflanzen und wilden Kräutern. „Wir mögen es, nah an der Natur zu sein, das gibt einem Kreativität“, sagt Katerina Foukara.

Außerdem hat sich dieses Jahr die Kunstwelt aufgemacht in ihre verschlafene Gegend. Denn Paphos (auch: Páfos), acht Kilometer entfernt, ist gemeinsam mit dem dänischen Aarhus Europäische Kulturhauptstadt 2017 – ein Titel, der seit 1985 von der EU vergeben wird und seinen Trägern mindestens für ein Jahr internationale Aufmerksamkeit sichert.

Arsenty Lysenkov und Katerina Foukara.
Arsenty Lysenkov und Katerina Foukara.

© Björn Rosen

Die Touristen bleiben lieber unten am Meer

Nur rund 50 000 Menschen leben in der viertgrößten Stadtregion der Mittelmeerinsel. Die Kunstszene ist entsprechend übersichtlich. Dabei hat Paphos eine reiche Geschichte. Es war mal Hauptstadt Zyperns, gilt als Geburtsort der Liebesgöttin Aphrodite und als Ausgangspunkt für die Christianisierung Europas: Der Apostel Paulus bekehrte hier den römischen Statthalter. Die alten Griechen, Kreuzritter, Osmanen und Briten haben ihre Spuren hinterlassen.

Am Ende kamen Touristen. Als sich mit Ankaras Invasion und der Teilung der Insel 1974 einige der beliebtesten Ferienorte im türkisch kontrollierten Nordzypern wiederfanden, wurde eben an der südlichen Küste ein Hotel nach dem anderen hochgezogen. Deshalb ist Paphos heute zweigeteilt. Nicht so sehr zwischen griechischen und türkischen Zyprern (letztere, die einst ein Drittel der Bevölkerung stellten, sind 1974, als es an verschiedenen Orten der Insel auch Angriffe auf Zyperntürken gab, fast alle in den Norden geflohen). Sondern zwischen den Einheimischen in der höher gelegenen Oberstadt Pano Paphos und den Gästen aus Russland, Deutschland, Großbritannien unten am Meer in Kato Paphos. Der touristische Teil ist inzwischen sogar größer. „Das Leben fand zunehmend dort statt, auf Kosten des alten Zentrums“, sagt Georgia Doetzer, Programmleiterin für Paphos 2017. „Die Leute haben gemerkt, dass sie mit dieser Entwicklung ihre Identität verlieren.“

Menschen von unten nach oben zu locken und umgekehrt, sie bei Veranstaltungen zusammenzubringen – das war eine Idee bei der Bewerbung als Kulturhauptstadt. „Wir wollen Brücken bauen und Paphos stärker zur Welt öffnen.“ Einst war die Stadt Schnittstelle der Hochkulturen, heute ist sie europäische Peripherie. Kein Zufall wohl, dass Aarhus bisher mehr Aufmerksamkeit bekommen hat.

Beinah wären alle Pläne noch geplatzt

Eine Brücke wird tatsächlich gerade errichtet, eine für Fußgänger, aber sie hat Symbolwert, denn sie verbindet zwei archäologischen Stätten, die eine höher, die andere tiefer gelegen. Daneben hat die japanische Installationskünstlerin Chiharu Shiota in einer Höhle Kokons aus roten Fäden geschaffen.

Die meisten Veranstaltungen von Paphos 2017 finden draußen statt, das entspricht der Tradition. Nebenbei lässt sich so Geld sparen. Nach der Bankenkrise 2013 sah es aus, als müsse man sich von allen Plänen verabschieden, schließlich wurde der Programmetat um zwei Drittel gekürzt. Mit gemischten Gefühlen erinnert sich Leiterin Doetzer nur an den Auftritt von Sängerin Ute Lemper und Zyperns Symphonieorchester: „Zu viel Wind!“, sagt sie. Nächsten Monat sind zum Beispiel die Theatergruppe Rimini Protokoll und die zyprische Songwriterin Vakia Stavrou zu sehen.

Und dann ist da natürlich noch Aphrodite

Kunstwerk. Aphrodite am Meer.
Kunstwerk. Aphrodite am Meer.

© Art Studio

Im Viertel Mouttalos in der Oberstadt lebten vor 1974 vorwiegend türkische Zyprer. Manche der alten, zweistöckigen Häuser machen einen verlassenen Eindruck, in andere sind neue Geschäfte, Cafés und Restaurants eingezogen. Die Gassen sind zum Teil überdacht. „Heute wohnen hier meist griechische Zyprer, die aus dem Norden geflohen sind“, erzählt Fremdenführer Eugenios Neophytou. Eine politische Lösung des Zypernkonflikts scheiterte bisher, noch immer gibt es eine UN-gesicherte Pufferzone zwischen Nord und Süd. In dem Quartier in Paphos befindet sich auch eine Moschee, „ursprünglich eine griechisch-orthodoxe Kirche, die die Osmanen umgewandelt haben“. An anderer Stelle kann man Bäume sehen, deren Stämme bunt umhäkelt sind. Das ist Teil des Kunstprojekts „Peace2Peace“, es bringt türkische und griechische Zyprierinnen zusammen. Die Abschlussveranstaltung soll im Oktober in Mouttalos stattfinden.

Teilweise sind die Bauarbeiten für das Jahr als Kulturhauptstadt nicht abgeschlossen, Straßen sind aufgerissen, auch am neuen Theater wird noch gewerkelt. Eugenios Neophytou führt Gäste sowieso am liebsten zu den antiken Stätten, seit jeher Paphos’ Hauptattraktion, und in die Natur der Umgebung.

Der Archäologiepark, der sich neben dem Hafen befindet – er umfasst etwa ein Drittel der antiken Stadt „Nea Paphos“ –, zeigt die Ausgrabungen von Palästen aus der römischen Zeit, darunter das 10 000 Quadratmeter große Anwesen eines Statthalters. „Wer genau in diesen Villen gewohnt hat, weiß man nicht“, sagt Neophytou. Die Bodenmosaike, die polnische und einheimische Archäologen seit den 60er Jahren ausgegraben haben, sind prächtig. Im „Haus des Dionysos“ zeigen sie zum Beispiel den griechischen Gott des Weins auf einem Prunkwagen, gezogen von zwei schwarzen Panthern.

Die spätbyzantinische Kirche Agia Kyriaki Chrysopolitissa.
Die spätbyzantinische Kirche Agia Kyriaki Chrysopolitissa.

© mauritius images

Auf der Akamas-Halbinsel soll Aphrodite dem Meer entstiegen sein

Und dann ist da natürlich noch Aphrodite, die im Meer vor Zypern geboren worden sein soll und anschließend an Land ging. Östlich des heutigen Paphos – dort, wo sich der Ort ganz früher befand – liegt das Aphrodite-Heiligtum, in vorchristlicher Zeit ein Wallfahrtsort, zu dem die Leute aus dem Mittelmeerraum pilgerten. Wenig mehr als ein paar Mauern und Bodenplatten sind davon geblieben, aber es gibt ein Museum. Nördlich von Paphos, auf der Akamas-Halbinsel, befindet sich das Bad der Aphrodite, ein Tümpel in einer Grotte. An diesem Ort soll die Göttin jene Affäre mit dem Prinzen Akamas begonnen haben, wegen der sie auf den Olymp zurückkehren musste.

Katerina Foukara und Arsenty Lysenkov haben im vergangenen Jahr eine Reminiszenz an die Liebesgöttin und an die Mosaike von Paphos geschaffen. Sie sammelten unterschiedlich farbige Natursteine, die nach einem vorher ausgetüftelten Plan am Strand von Freiwilligen zu einem Aphrodite-Bild gelegt wurden. Erkennen konnte man das Mosaik erst auf den Fotos, die eine Drohne schoss. „Die Historie hier ist inspirierend“, sagt Foukara. Die Brücke in die Vergangenheit – für die Künstler von Paphos offenbar selbstverständlich.

"Es gibt so viele Veranstaltungen, man weiß kaum, wohin"

Andreas Charalambides, Jahrgang 1939, Paphos’ großer alter Maler, sieht es jedenfalls genauso. Er hat mal Zeit in England verbracht, aber auch für ihn war klar, dass er zurückkehren würde. „Woanders könnte ich nicht leben, Sie sollten mal das Licht im November sehen!“ Charalambides’ Gemälde erinnern an Ikonen aus orthodoxen Kirchen, und sie greifen Themen der griechischen Mythologie auf, allerdings verfremdet, ohne bloße Illustration zu sein. „Damit bin ich aufgewachsen, das prägt mich nur noch stärker, je älter ich werde.“

Wie seine jungen Kollegen gefällt ihm das Jahr als Kulturhauptstadt. „Momentan gibt es so viele Veranstaltungen, man weiß kaum, wohin“, sagt er. Aber ob sich dadurch dauerhaft etwas verändern könne in Paphos, sei fraglich: „Die Wurzeln sind da, jetzt warten wir darauf, dass die Pflanze wächst.“

Reisetipps für Paphos

HINKOMMEN

Germania bietet mittwochs und sonntags Direktflüge ab Schönefeld, hin und zurück im September für rund 350 Euro. flygermania.com

UNTERKOMMEN

Im Dorf Kissonerga bei Paphos zum Beispiel im Drei-Sterne-Hotel Queens Bay Hotel, die Nacht im Doppelzimmer für rund 100 Euro. Die Kette „Constantinou Brothers“ betreibt luxuriöse Hotels in Kato Paphos, etwa Asimina Suites, rund 350 Euro pro Nacht.cbh-cyprus.com

RUMKOMMEN

Der deutschsprachige Reiseführer Eugenios Neophytou kann erreicht werden unter eugenios.neo@gmail.com. Weitere Infos: pafos2017.eu, visitpafos.org.cy

VORBEREITEN

Das Dumont-Reisetaschenbuch „Zypern“ (17,99 Euro) ist ein guter Begleiter. Im kleinen Achter Verlag ist der Reiseführer „Páfos – Europäische Kulturhauptstadt“ (16,80 Euro) von Andreas Salewski erschienen.

Das „Art Studio“ in Kissonerga: facebook.com/ArtStudioPafos

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