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Zauberwald. In Kvitfjell belästigen einen weder Jägermeister-selige Touristen, noch Schlagerbarden. Dafür schweigt der Wald, und der Schnee ist pulvriger als in den Alpen

© Kvitfjell Alpinanlegg

Reise nach Kvitfjell in Norwegen: Wer Ski fährt, ist immer glücklich

In den Spuren von Legenden wie Fridtjof Nansen und Markus Wasmeier im Mutterland des Skisports - Norwegen.

Während die Ski durch den norwegischen Schnee rauschen, rauscht's auch im Kopf. Da wedelt man dahin und denkt über dieses Wort nach: wedeln. Was für ein alpensonnendusliger Begriff, der neuerdings auch noch an Übergriffe im Bademantel erinnert.

Passt beides überhaupt nicht hier oben. Das Weiß des Nebels vermengt sich mit dem Weiß des Schnees, bis niemand mehr sagen kann, was Erde und was Luft ist. Weich wie Baumwolle schweben die Flocken aus den Wolken. Nein, wedeln passt nicht, aber die Norweger haben sowieso das schönere Wort fürs Dahinfliegen im Tiefschnee: silkeføre. Auf Seide gleiten.

Skifahren in den Alpen ist mühsam geworden. Gewinnmaximierer bauen Gondeln auf die schönsten Gipfel: längste Abfahrt, größtes zusammenhängendes Pistennetz, Super-Duper-Pistenverbund. Die Hänge sind mittags abgerutscht und eisig. Ab 14 Uhr fahren sich die Besoffenen gegenseitig über den Haufen. Und wem einmal ein Bergpanorama von Schlagersänger Ikke Hüftgold versaut wurde, „dicke Titten, Kartoffelsalat“, dem kann die Alpenwedelei gehörig auf die Nerven fallen.

Dabei war der Sport mal die schönste Hauptsache der Welt. Mütze auf, Jacke an, losfedern. Unten Wölkchen in die Luft atmen, wieder hoch. Tagelang, am Schlepplift. Damals, als es noch meterhoch geschneit hat und das Wort Ökobilanz nicht klang wie der nahende Untergang. Kann man der Magie dieses Sports noch einmal nachspüren? Vielleicht im Mutterland? Skiing is coming home?

Der Ski ist älter als das Rad

Halt, halt, halt, rufen schon die Finnen, die Schweden, die Russen, wir sind doch Mutterland! Immerhin stammen die ältesten Überreste eines Skis aus Vis, heutiges Russland, und sind 8000 Jahre alt. In Finnland haben sie 400 Jahre später einen Schlitten benutzt, dessen erhaltene Kufen glauben macht, die Finnen könnten die ersten Gleiter gewesen sein. Aus Schweden dagegen stammt der Kalvträskskidan, der älteste zur Gänze erhaltene Ski, 5300 Jahre alt.

Historiker dürften einwenden, dass diese Länder noch nicht existierten, als es der Ski schon tat. Der ist älter als das Rad und deswegen muss das Mutterland - zumindest nach hier vorgetragener Definition - das skiverrückteste Land der Welt sein. Norwegen.

Wo jedes Kind die Berserker Aksel Lund Svindal und Kjetil Jansrud kennt, die mit 150 Sachen die Pisten hinunterrasen und bei Olympia gerade Gold und Silber in der Königsdisziplin Abfahrt gewannen. Wo Kinder sommers in akuter Schneesucht auf Ski mit Rollen über Asphalt skaten. Wo sie sagen: Ut på ski, alltid blid. Also: Wer Ski fährt, ist immer glücklich.

Die Wasi-Festspiele in Lillehammer

Wo aber suchen? Man könnte auf die Lofoten fahren, auf einen dieser Felsen im Atlantik steigen und dann hinuntergleiten bis zum Strand aus Eis. Man könnte nach Trysil fahren, weil es das größte norwegische Skigebiet ist und so abgelegen liegt, dass Michael Schumacher dort einst eine Holzhütte besaß, um ungestört Ski zu fahren (Motorsportler sind nicht sehr bekannt in Norwegen). Man fährt aber besser nach Kvitfjell, weil es das anspruchsvollste Skigebiet Norwegens ist. Und gerade während Olympia das mit den besten Anekdoten.

Kvitfjell liegt im Süden Norwegens, von Oslo drei Stunden Zugfahrt und eine schneebedeckte Bergstraße entfernt. Am Wochenende kommen die Hauptstädter, unter der Woche fährt fast niemand, obwohl es schon seit Tagen schneit. Draußen sind es minus fünf Grad, selbst tagsüber wird es nicht ganz hell, Laternen strahlen orangefarben.

1994 fanden hier die Alpinwettbewerbe der olympischen Spiele von Lillehammer statt. Ein Bayer mit federndem Schopf erinnert sich besonders gern: Markus Wasmeier. Zwei Mal raste er auf der Olympiapiste von Kvitfjell zu Gold, die erst für die Rennen angelegt wurde, also rückblickend als Kulisse für die Wasi-Festspiele.

Zunächst verspotteten ihn die Journalisten, weil er, der Ehrgeizige, in der Abfahrt nur als 36. abschwang. Doch im Super-G raste er mit hoher Startnummer Richtung Ziel, da dirigierte der Amerikaner Tommy Moe den Fans schon ein Ständchen mit dem Skistock, weil er sich als Sieger wähnte. Bestzeit Wasmeier, Moe erstarrte. Als Wasi am nächsten Tag auch noch den Riesenslalom gewann, vor 50 000 Zuschauern, nannte ihn ein Konkurrent „Magier“ und die „Bild“-Zeitung „Wasi Wahnsinn“. Die Norweger feierten erst ihn, dann einen Dreifacherfolg ihrer Herren in der Kombinations-Disziplin (Abfahrt und Slalom). Weise Menschen sagen, dass alle Olympischen Winterspiele vorher und nachher sich an jenen in Lillehammer messen lassen müssen.

Diese Freude in der Brust!

Hüttenzauber. Nach drei Tagen Dauerberieselung wiegen die Dächer schwer.
Hüttenzauber. Nach drei Tagen Dauerberieselung wiegen die Dächer schwer.

© Marius Buhl

Also rauf da, im klapprigen Sessellift, zum alten Starthaus der Olympiapiste. Der Wind bläst den Schnee inzwischen quer über den Hang, gegen das holzgezimmerte Hüttchen. Man kann sich gut vorstellen, wie Wasmeier hier stand in der weiß-schwarzen Tigerjacke der deutschen Olympiamannschaft und auf bayerisch zu sich selbst sprach: „Hau' di oba, Wasi!“

Man will es ihm gleichtun, katapultiert sich aus dem Starthaus, erwartet eine Eisautobahn und findet - Pulverschnee, seidenweich. Er staubt bei jedem Schwung auf, die Ski graben sich vorn ein, bis sie stecken bleiben und man mit einem unfreiwilligen Vorwärtssalto über eine Geländekante fliegt und so weich landet wie in einem Bällebad. Eiskalt, das schon, aber diese Freude in der Brust! Die muss raus und schon hört man sich juchzen. Wie lange hat man sich selbst nicht mehr juchzen gehört?

Früher dienten die Ski immer einem Zweck

Wenn das Ausdruck absoluter Hingabe und Selbstvergessenheit ist, muss Sondre Norheim täglich gejuchzt haben. Seine Geschichte klingt nach Skifahrergarn, aber Hedda, Rentnerin und Jeden-Tag-Skifahrerin, die am Kaminfeuer des Gudbrandsgard Hotel direkt an der Piste sitzt, schwört, dass sie stimmt. Norheim, erzählt sie, wurde 1825 in der Provinz Telemark geboren, nicht weit von Kvitfjell, in einem Haus auf einem Hügel.

Natürlich gab es damals schon Skifahrer, aber immer dienten die Ski einem Zweck. Das Jagen fiel damit leichter und das Postaustragen auch. Niemand fuhr zum Spaß Ski, außer dem jungen Sondre, der munter den Hügel vor der elterlichen Hütte hinuntersauste. Bald sprang er über Schanzen und die Dächer der Holzhütten. So gut war niemand in ganz Südnorwegen.

Er vernachlässigte auch nach der Hochzeit die Arbeit im Haus und fuhr stattdessen Ski. Je älter er wurde, desto skiverrückter wurde er, ein Kind im Körper eines Mannes. Und getüftelt habe er, sagt Hedda. Weil ihm die übliche Weidenbindung zu instabil schien für seine Manöver, bastelte er sich eine neue, die auch die Ferse umschloss. Und weil ihm das Herumreißen der Ski zu unelegant vorkam, baute er sich kürzere und erfand eine neue Technik. In den Kurven schob er seinen äußeren Ski nach vorn zu einem Ausfallschritt, Telemarktechnik nannte er die Erfindung, sie eroberte die Welt. Die besten Skiläufer, sagt Hedda, seien Spielkinder mit Fantasie. Das sei bis heute so.

Das Kaminfeuer knistert, Hedda holt Luft. Ob man das wusste, fragt sie, dass die Ostjaken, ein sibirischer Stamm, die Milchstraße als Skispur Gottes interpretierten? Der habe einen Elch gejagt, der Elch sei aber vom Himmel gesprungen und Gott hinterher. Dabei sei ihm ein Ski gebrochen, weshalb die zwei Bahnen der Milchstraße plötzlich ineinander übergingen. Wie gern würde man jetzt die Sterne sehen. Draußen schneit es.

Der Skifahrer sollte sich vor Hybris hüten

Am nächsten Morgen liegt der Pulverschnee hüfthoch. Vom Himmel rieselt es einem direkt in den Kragen, Flocken schmelzen und rinnen als Wassertropfen den Rücken hinab. Die nächste Abfahrt durch den Wald, Slalom um junge Fichten, auf einem Ski fahren, über eine kleine Kiefer hüpfen. Stellt man sich vor, man sei Sondre Norheim, der durch ein norwegisches Wäldchen jagt und dem Ernst des Lebens davonfährt, sind Jägermeister und Ikke Hüftgold plötzlich weit weg. Zur Stärkung eine Rübentorte auf der Hütte. Aus den Boxen erklingt ein leises norwegisches Volkslied.

Zum leise erklingenden norwegischen Volkslied schmecken Kaffee und Rübentorte am Feuer
Zum leise erklingenden norwegischen Volkslied schmecken Kaffee und Rübentorte am Feuer.

© Marius Buhl

Beflügelt zurück an den Hang. In bester Wasi-Laune zur Speedstrecke, hier kann man seine Geschwindigkeit messen lassen. Tagesrekord, unsterblich?

Die Geschichte des zweiten großen Ski-Norwegers Fridtjof Nansen lehrt, dass der Skifahrer sich vor Hybris hüten sollte. Nansen begegnet einem im Buch „Two planks and a passion“ von Roland Huntford, das Hedda empfiehlt. Ein Standardwerk der philosophischen Skibetrachtung.

„Norweger des Jahrhunderts“ nannte die Zeitung „Aftenposten“ den Zoologen, Polarforscher, Ozeanografen, Diplomaten und späteren Friedensnobelpreisträger Nansen. Er durchquerte 1888 als erster Mensch der Welt Grönland auf Skiern und inspirierte eine ganze Nation: Überall stapften die Leute nach seiner Rückkehr auf Skiern durch die Gegend und spielten seine Heldenexpedition nach. Nur, dass Nansen nie ein Held sein wollte. In „Two Planks and a Passion“ beschreibt Huntford das so: „Trotz all der Verehrung und seiner heroischen Erscheinung war Nansen im Wesentlichen ein Anti-Held. Er bewunderte stille Meisterschaft und verabscheute die Glorifizierung des heldenhaften Kampfs. Als Skifahrer fühlte er sich einfach im Schnee wohl.“

Eine letzte Abfahrt, wieder zwischen den Bäumen durch. Als man sicher ist, nicht mehr rauszufinden, öffnet sich plötzlich eine Lichtung. Tännchen biegen sich unter der Schneelast, die Spuren der Elche sind frisch. Das Geheimnis des Skilaufs? Der Wald schweigt.

Reisetipps für Norwegen

Hinkommen

Von Berlin nach Oslo mit dem Flugzeug, von dort mit dem Zug der NSB, der Norge Statsbaner, über Lillehammer nach Ringebu. Von Ringebu über eine Bergstraße mit dem Taxi nach Kvitfjell. Der Flug kostet mit SAS ab Berlin um die 100 Euro hin und zurück und dauert eineinhalb Stunden. Der Zug kostet 249 NOK (26 Euro) für einen Weg und braucht zweieinhalb Stunden. Von dort liegt Kvitfjell rund 20 Minuten Fahrt über eine schneebedeckte Bergstraße entfernt. Wer ein Auto mietet, könnte hier im Winter Schneeketten benötigen. Das Taxi kostet 350 NOK (37 Euro).

Unterkommen

Direkt an der Piste liegt das "Gudbrandsgard Hotel", das extra für die Olympischen Spiele 1994 gebaut wurde, hier schliefen die Stars. Pool, Whirlpool und Sauna im Keller tun nach einem Skitag gut, das Kaminfeuer knistert in der Lobby, nur der berühmte norwegische Braunkäse "brunost" schmeckt zum Frühstück gewöhnungsbedürftig karamellig. Im Hotel gibt es zwei Restaurants, zwei Bars und 79 Zimmer, die alle im selben traditionell norwegischen Stil gehalten sind. Eine Nacht im Doppelzimmer kostet 123 Euro (kvitfjell.no/gudbrandsgard-hotell).

Alternativ bietet sich eine der Hütten im Skigebiet an, die viele norwegische Familien verleihen. (norskhytteudlejning.dk)

Rumkommen

Wer auf wilden Après-Ski steht, ist in Kvitfjell falsch. Ganz ruhig geht es in der "Koia Bar" direkt an der Piste aber auch nur unter der Woche zu. Glühwein und norwegische Bratwurst schmecken fantastisch. Vom 10. bis zum 11. März 2018 findet in Kvitfjell außerdem der Ski-Weltcup der Herren statt. Dann fahren die Besten der Welt auf der Olympiapiste um den Sieg in der Abfahrt und im Super-G. Auf der Westseite des Skigebiets hat in diesem Jahr die Gondel Varden eröffnet, das eher anspruchsvolle Kvitfjell sollte um eine anfängerfreundliche Piste erweitert werden. Außerdem probieren: Karottenkuchen im "Tyrihanstunet".

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