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Mit der Gesetzesänderung dürften Geldtransporter auch zwölf Stunden am Tag unterwegs sein.

© picture alliance / dpa

Das Arbeitszeitgesetz wird gelockert: Länger arbeiten in der Krise

Die Regierung lockert das Arbeitszeitgesetz für einige Branchen und Berufe. Mehr als 60 Wochenstunden sind bis Ende Juli erlaubt.

In der Krise muss länger gearbeitet werden – jedenfalls in einigen Wirtschaftsbereichen. Die Bundesregierung will sich am Mittwoch mit einer Verordnung des Bundesarbeitsministers zu Abweichungen vom Arbeitszeitgesetz befassen. Im Kern der gesetzlichen Lockerung steht eine Verlängerung der täglich erlaubten Arbeitszeit auf bis zu zwölf Stunden sowie eine Verkürzung der vorgeschriebenen Ruhezeit um zwei auf neun Stunden. Schließlich kann die Wochenarbeitszeit „in dringenden Ausnahmefällen auch über 60 Stunden hinaus verlängert werden“, heißt es in dem Entwurf.

Die Arbeitgeber sind zufrieden

Die Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände begrüßte die Lockerung als einen „ersten Ansatz, Schwierigkeiten in der Anwendung von Arbeitszeitregelungen in den Griff zu bekommen“ und lobte, „dass weitergehende landesrechtliche Vorgaben unberührt bleiben“. Die Arbeitgeber hätten sich aber eine Aufteilung der Ruhezeiten in Blöcke gewünscht. DGB-Chef Reiner Hoffmann dagegen findet die Lockerung „überflüssig wie einen Kropf“. Gegenüber dem Tagesspiegel sagte Hoffmann, die Arbeitgeber seien verpflichtet, längere Arbeitszeiten zu vermeiden und dafür Neueinstellungen vorzunehmen. Ferner hätten die Arbeitgeber im Rahmen ihrer Fürsorgepflicht auch die Gesundheit der Beschäftigten zu beachten. Mit „ausufernden Arbeitszeiten“ sei das schwierig.

Die Lockerung gilt bis Ende Juli

Der Verdi-Vorsitzende Frank Werneke meinte, „gerade angesichts der enormen aktuellen Arbeitsbelastung im Gesundheitswesen, in der Pflege, bei der Bundesagentur für Arbeit und in vielen anderen systemrelevanten Bereichen bedürfen die dort Beschäftigten besonderen Schutzes“. Hoffmann und Werneke betonten, die Gewerkschaften hätten erfolgreich die Einbeziehung von Lebensmittelgeschäften und Lieferdiensten blockiert. Und wichtig ist ihnen die zeitliche Begrenzung bis Ende Juli.

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Bis dahin darf in folgenden Bereichen die tägliche Arbeitszeit zwölf Stunden betragen und auch an Sonn- und Feiertagen gearbeitet werde: Wenn „Waren des täglichen Bedarfs“ hergestellt, verpackt und geliefert werden; ferner in der medizinischen Behandlung und Pflege, bei Feuerwehr und Rettungsdiensten und überhaupt „zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung“. Dazu gehören die Energie- und Wasserversorgung sowie die Abfallwirtschaft, die Landwirtschaft, die Sicherheitsbranche (Geldtransporte, Bewachung von Betriebsanlagen), Apotheken und Sanitätshäuser sowie die Betreuung von Datennetzen und Rechnersystemen. Schließlich dürfen Unternehmen, die Produkte zur Bekämpfung der Pandemie herstellen, auch länger arbeiten.

Gegen den Mangel an Arbeitskräften

Als Begründung nennt das Arbeitsministerium die Sorge um „mögliche kritische Personalengpässe“. Durch den hohen Kranken- und Quarantänestand und durch die Verpflichtung zur Kinderbetreuung „könnten zusätzliche Fehlzeiten entstehen“, heißt es in dem Entwurf des Ministeriums. Schließlich könnte der Mangel an Arbeitskräften „auch durch die angeordneten Grenzschließungen sowie aufgrund von Maßnahmen in anderen Ländern“ verschärft werden.

Arbeiten am Limit

Die Gewerkschaften wiederum warnen gerade im Bereich der kritischen Infrastruktur vor einer Überlastung der Beschäftigten. „In der Lebensmittelindustrie wird seit Wochen auf Hochtouren gearbeitet. Trotz aller Hamsterkäufe war deshalb die Versorgung mit Lebensmitteln in Deutschland zu keiner Zeit gefährdet. Die Menschen arbeiten längst am Limit und gefährden tagtäglich ihre Gesundheit, um uns mit Lebensmitteln zu versorgen“, teilte die Gewerkschaft NGG mit. „Mit jeder zusätzlichen Stunde im Betrieb steigt das Risiko von Unfällen und die Gefahr, sich mit dem Virus zu infizieren.“

Arbeitgeber wollen mehr Flexibilität

Das deutsche Arbeitszeitgesetz wird von den Arbeitgebern seit Langem als nicht mehr zeitgemäß kritisiert. Vor allem die vorgeschriebene tägliche Höchstarbeitszeit von zehn und die am Stück zu gewährende Ruhezeit von elf Stunden sei wegen der Möglichkeiten der Digitalisierung zu restriktiv. „Jenseits aktueller Herausforderungen muss das Arbeitszeitgesetz entsprechend der Vorgaben der EU grundsätzlich modernisiert werden, damit es dem Wunsch nach mehr Flexibilität, den sowohl Arbeitgeber als auch Beschäftigte haben, gleichermaßen gerecht wird“, forderten die Arbeitgeberverbände am Dienstag eine Reform über die Coronakrise hinaus.

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