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Titeljagd. Die Frankfurter Buchmesse wäre ein Ort, wo Literaturbegeisterte schon mal Praxiserfahrung sammeln können – als Vorbereitung für den Studiengang „Angewandte Literaturwissenschaft“, der Philologen zu Literaturagenten oder Lektoren ausbildet. Foto: dpa

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Wirtschaft: Für Bücherwürmer mit Berufserfahrung

Der Studiengang Angewandte Literaturwissenschaft an der FU wird zum Weiterbildungsmaster.

Bücher gelten als Hüter des Wissens. In meterhohen Regalen warten sie in Bibliotheken darauf, mit Bedacht entdeckt zu werden. Aber sind Bücher noch zeitgemäß? Hektisch werden sie nebenbei beim Online-Versandriesen bestellt, fast täglich lesen wir von schließenden Verlagshäusern und sinkenden Verkaufszahlen. Die Branche rund um Buch und Literatur kränkelt. Und wer heute Philologie studiert, der ahnt, dass er nach dem Studium beruflich umdenken muss.

Diesem Abwärtstrend hält die Freie Universität Berlin einen besonderen Studiengang entgegen: den Master Angewandte Literaturwissenschaft. Jetzt hat die FU sogar die Zugangsbedingungen geändert – für den Master bewerben kann sich nur noch, wer Berufserfahrungen von „in der Regel nicht unter einem Jahr“ vorweisen kann. Der Masterstudiengang Angewandte Literaturwissenschaft unterscheidet sich somit von konsekutiven Mastern, die üblicherweise von den Studierenden an den Bachelor „angehängt“ werden: Er ist zu einer universitären Weiterbildungsmaßnahme geworden.

Weg von der Uni, rein in den Beruf – und dann zurück in den Hörsaal? „Die Praxis steht im Vordergrund“, unterstreicht Dorothee Risse, Koordinatorin des Studiengangs. „Die Dozenten kommen aus der Berufspraxis und geben so Experteneinblicke in das jeweilige Berufsfeld.“ Der Master richtet sich an Personen, die ihr Philologie-Studium um praktische Erfahrungen ergänzen wollen. Man lernt von den Vorbildern aus den angestrebten Jobs: Lektoren, Journalisten, Literaturagenten leiten die Studierenden an, die Praxis zu reflektieren und eigene Projekte auf die Beine zu stellen: Nicht nur lernen – auch machen. 500 Euro Gebühren pro Semester zusätzlich zu den üblichen Semestergebühren kommen auf die Studierenden im Weiterbildungsstudiengang zu.

„Es ist gut, dass die Studierenden berufliche Erfahrungen mitbringen. Und ich denke, es ist auch gut, dass es eine Zulassungsbeschränkung gibt“, sagt Susan Bindermann, Dozentin in dem Studiengang, „nicht, weil ich Personen den Zugang verwehren möchte, sondern eher weil wir sehen möchten, dass die Studierenden wirklich überzeugt von der Sache sind.“ Denn eins steht fest: Wer lauwarm an den Studiengang geht, der wird nicht im Literaturbetrieb bestehen.

Laura Sonnefeld gehört bestimmt nicht zur Kategorie „lauwarm“. Drei Semestern Pause hat sie zwischen Bachelor und Master gemacht. Bei der Bewerbung für den Master hatte sie ausreichend Berufserfahrung vorzuweisen. Mittlerweile ist sie im zweiten Semester des Masters Angewandte Literaturwissenschaft und bereut den erneuten Schritt an die Uni nicht. „Philosophie – Künste – Medien" – so lautete der hehre Titel ihres Erststudiums. Die heute 24-Jährige absolvierte ihren Bachelor in Hildesheim und stürzte sich danach erst einmal in die übliche Ochsentour aus unbezahlten Praktika. „Ich finde es traurig, dass der Nachwuchs der Verlags- und Literaturbranche einen so schweren Weg hat“, erzählt sie. „Natürlich reiht man Praktikum an Praktikum, immer in der Hoffnung, dass es einem Türen öffnet und Möglichkeiten bereitet – aber irgendwann hoffe ich natürlich, einen bezahlten Job in Vollzeit zu bekommen.“

Sie durchbrach die Praktikumsreihe für einen Nebenjob in einer Kiez-Buchhandlung in Berlin, in der sie eine bis dahin unbekannte Leidenschaft entdeckte: Kinderbücher. „Ich habe das Kinderlesungsprogramm betreut und organisiert. Das hat mir sehr viel Spaß gemacht, denn Lesungen mit Kindern sind einfach anders. Da ist richtig was los, die Kleinen rufen dazwischen, sind gepackt und freuen sich total.“ Ihr Traum: In einem Verlag für Kinderbücher im Bereich Veranstaltungsmanagement oder Presse zu arbeiten. „Die Buchbranche ist sehr konservativ, doch es muss sich viel tun, sonst geht der Buchmarkt unter, wie der Musikmarkt in Zeiten von Downloads und Internet“, sagt die Studentin.

Dozentin Susan Bindermann wirft einen nicht ganz so negativen Blick auf den Betrieb. „Der Buchmarkt ist nicht in der Krise, die Leute lesen einfach anders“, sagt sie. „Es ist ein weitverbreitetes Stereotyp zu sagen: Das Buch stirbt aus. Aber die jungen Leute lesen einfach anders. Kürzere Texte stehen im Vordergrund, das sehen wir schon an beliebten Textsorten wie Blogs. Und auch Lesen mit Bildern – nicht nur in Form von Comics – verbreitet sich.“ E-Books und das Lesen in sozialen Netzwerken liefern neue Strategien, um Text zu erfassen.

Der Markt reagiere bereits auf die veränderten Lesegewohnheiten, doch frische Ideen werden gesucht. „Daher ist ein Studiengang wie die Angewandte Literaturwissenschaft so wichtig. Wir brauchen neue Köpfe.“ So sieht es auch Lina Kokaly, Absolventin des Studiengangs. „Die Branche wird hart fallen, wenn man nicht die Zeichen der Zeit erkennt“, sagt sie. Die Veränderungen im Verlagswesen werden durch Studiengänge wie dem an der FU Berlin aufgefangen: Man müsse umdenken. „Meine Mitstudierenden sind voller Ideen rund um den kreativen Umgang mit dem Buch.“ Insbesondere im Bereich Social Media würden die Buchverlage nicht ihre Möglichkeiten ausschöpfen, betont sie. Vielleicht ist hierfür eine neue Generation des Literaturbetriebs nötig, die mit der Digitalisierung der Welt aufgewachsen ist. „Es ist nur wichtig, dass sich die Branche diesen Ideen öffnet und den Nachwuchs auch angemessen bezahlt.“ Auch ihre Kritik zielt auf den schwierigen Einstieg in den Arbeitsmarkt. Jedoch ist der Weg zu einer gut bezahlten Position nicht nur für Philologen schwierig, alle Absolventen der Geisteswissenschaften seien mit diesem Problem konfrontiert.

Susan Bindermann plädiert dafür, dass Orchideenfächer und ungewöhnliche Studienkombinationen dennoch unbedingt erhalten bleiben. „Wenn alle nur einen vermeintlich sicheren Studiengang wählen, dann verfallen wir in Konformität. Doch gerade bei der Literatur brauchen wir Querdenker, besondere Ideen und ungewöhnliche Wege“, sagt Bindermann.

Klassischer Traumjob für viele der Masterstudierenden: Lektor. Dabei verändert sich der Literaturbetrieb genau wie seine Produkte, die Bücher, sagt Susan Bindermann. Sie selbst hat 10 Jahre lang als Lektorin gearbeitet, mittlerweile ist sie selbstständige Literaturagentin und bezeichnet sich als eine Mischung aus Talent-Scout, Lektor und Marketingexperte. „Wir halten Ausschau nach neuen Autoren, aber auch nach aktuellen Themen, die im Kommen sind.“ Der Literaturagent übernimmt immer mehr Aufgaben aus diversen Bereichen, während ein Lektor im Verlag stärker zum Produktmanager werde. Die Bereiche verschieben, die Anforderungen ändern sich. Und darauf gilt es die Masterstudierenden vorzubereiten.

Lina Kokaly gehört zu den Absolventen, die vorab kein konkretes Berufsziel vor Augen hatten. Ihr Beispiel zeigt, dass der Weg sich während des Studiums noch verändern kann. Startete Kokaly mit den diffusen Vorstellungen „irgendetwas mit Literatur“ machen zu wollen, steckt sie heute im journalistischen Volontariat bei Radio Bremen. Sie fand die Stelle direkt im Anschluss an den Masterabschluss. Hilfreich war für sie, dass sie schon während des Masterstudiums als freie Journalistin gearbeitet hat. „Ich habe durch meine Dozenten den Kulturjournalismus kennen- und schätzen gelernt und hatte daher nach dem Master keine Probleme das Volontariat zu finden.“ Ein Jahr hat sie noch vor sich und die Zusage der Übernahme in der Tasche. „Ich habe im Studium gelernt, mich besser selbst zu vermarkten“, sagt sie. So schlug sie das Thema einer Semesteraufgabe kurzerhand einer Zeitung vor.

Ein wichtiger Faktor im Studiengang ist der Netzwerkgedanke: „Ich sage immer wieder zu den Teilnehmern: Helft euch gegenseitig. Wenn ihr eine Idee habt, dann tut euch zusammen. Wer im Job steht, der informiert die anderen über Projekte und Stellen“, sagt Dozentin Susan Bindermann. Die Kontakte, die die Studierenden hier knüpfen, ob untereinander oder mit den Dozenten, helfen beim späteren Alltag in der Branche.

Ein weiterer Vorteil des Masterstudiengangs Angewandte Literaturwissenschaft ist für Dorothee Risse der Standort Berlin. „In dieser Stadt spielt sich im Literaturbetrieb so viel ab, hier leben viele Autoren, es gibt zahlreiche Verlage, Literaturagenturen, Literaturhäuser und Lesebühnen.“ Der Studiengang verfügt über vielfältige Kontakte zu diesen Institutionen des literarischen Lebens.

Wer sich für den Masterstudiengang Angewandte Literaturwissenschaft interessiert, kann sich bis zum 30. April bewerben. Ein abgeschlossenes Bachelor-Studium der Philologie ist Voraussetzung. Informationen unter www.fu-berlin.de/agwlit oder Tel. 030-83872329.

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