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In Zeiten wie diesen... holt der Mensch sich die Idylle auf den Balkon.

© pa/dpa

Gartenlust: "Man ist stolz auf seine Blumen"

Peter Walschburger ist Biopsychologe und arbeitet an der Freien Universität Berlin. Mit dem Tagesspiegel spricht er über die neue Lust am Gärtnern.

Von Maris Hubschmid

Herr Walschburger, Deutschland gärtnert. Warum?

Im Frühling denken die Menschen an Blumen, grün, neues Leben. Wer kann, holt es sich ins Haus oder in den Garten.

Aber Deutschland gärtnert, so scheint es, mehr denn je. Zeitschriften wie „Landlust“ haben Nachrichtenmagazine in den Verkäufen überflügelt, in Schrebergärten und auf Balkonen erblüht auch Berlin. Wie ist die Landlust in die Stadt gekommen?

Studien haben gezeigt, dass die Bilder, die Menschen überall auf der Welt am liebsten sehen, Bilder von Landschaften sind. Die Landlust ist gewissermaßen immer schon da gewesen. Die Entwicklung unserer Gefühls- und Antriebswelt reicht ja in die Urgeschichte zurück, als unsere Vorfahren ein ganz naturnahes Leben führten. Vieles, was wir tun, wird von diesem Erbe beeinflusst. Durch die zunehmende Verstädterung kommt das natürliche Biotop mehr und mehr abhanden, und Menschen sehnen sich das zumindest partiell zurück.

Ist Gärtnern nicht mehr spießig?

Zumindest gab es lange einen gewissen Dünkel von Städtern gegenüber Landbewohnern. Eben weil das Leben in Metropolen besonders stark von unserer ursprünglichen Lebensform abweicht, halten sich Städter oft für weiter entwickelt als die Landbewohner. Heute, wo so viele in Räumen und an Bildschirmen arbeiten und wenig von der Natur sehen, gewinnen kleine Fluchten in die Natur an Bedeutung. Man ist wieder stolz auf seine Blumen, auch weil sie einen Kontrast zum Alltag darstellen. Und Ethnologen und Glücksforscher haben gezeigt: Nicht da, wo der Wohlstand am größten ist, wohnt das höchste Glück – sondern eher bei den naturnahen Völkern.

Peter Walschburger ist Biopsychologe.
Peter Walschburger ist Biopsychologe.

© privat

Nutzpflanzen werden immer beliebter. Zeigt sich da die prähistorische Prägung?

Auch in der Pflanzenwelt gibt es Moden, die zum Beispiel die Medien aufgreifen und dadurch wieder verstärken. Sicher haben auch immer mehr Konsumenten den Wunsch, sich biologisch zu ernähren, und lassen sich davon bei ihrer Kaufentscheidung im Gartencenter leiten. Und ja: Wenn man dann an der selbstgezogenen Tomate riecht, weckt das sicher auch etwas in unserem Inneren aus der Zeit der Selbstversorger. Kurzgefasst könnte man sagen: Menschen gärtnern, weil es beim Gärtnern menschelt!

Das gefällt zunehmend auch jüngeren Leuten, die ihren Balkon vormals nur als Abstellfläche für Altglas nutzten.

Die Sehnsucht nach dem Paradiesgarten steckt in uns allen. Übrigens drückt auch die exzessive Nutzung moderner Medien auf die Stimmung: Auf diesen Wegen erreichen uns täglich unzählige geschönte Bilder und setzen hohe Standards. Da kann sich der Einzelne schon mal elend fühlen, bei einer so strahlenden Außenwelt. Also holt er sich die Idylle auf den Balkon.

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