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Viele Mitarbeiter genießen die Arbeit zu Hause ohne Stau und Bürolärm. Für sie soll es diese Möglichkeit auch nach der Pandemie geben.

© imago

Homeoffice, kürzere Konferenzen, krank heißt krank: Für Mitarbeiter könnten dies Errungenschaften der Krise sein

Nicht nur gegen das Homeoffice gehen die Argumente aus. Welche Chancen sich gerade für eine neue Arbeitskultur ergeben.

Homeoffice wird zur Normalität

Dann macht ja keiner mehr was, fürchteten Skeptiker. Jetzt zeigt sich: Von zu Hause aus arbeiten, funktioniert besser als so mancher Chef glaubte. Bis zum Herbst will Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) deswegen ein Gesetz vorlegen, das jedem ein Recht auf Homeoffice zuspricht. Wer möchte, soll auch nach der Pandemie außerhalb des Büros arbeiten können – entweder ganz oder für ein, zwei Tage in der Woche. Heil möchte „positive Erfahrungen“ aus der Krise nutzen. Auch wenn ihm klar ist, dass nicht jeder dieses Angebot nutzen kann. „Man kann die Brötchen als Bäcker ja nicht von zuhause aus backen“, sagt er.

Aus Sicht der SPD muss künftig allerdings stärker darauf geachtet werden, wie von der Wohnung aus gearbeitet wird. „Eigentlich müssten alle Arbeitgeber zum Beispiel zuhause nachprüfen, ob der Stuhl überhaupt geeignet ist“, sagt SPD-Chefin Saskia Esken. Jetzt herrsche eine Art Ausnahmezustand, aber mittelfristig müsse es mehr Regeln geben. Auch hinsichtlich der Technik. Denn was ist, wenn das WLAN hakt? Grünen-Fraktionsvorsitzende Katrin Göring-Eckardt fordert, Heils Vorschlag müsse mit einem „Rechtsanspruch auf schnelles Internet“ ergänzt werden.

Klar ist: Homeoffice hat nicht allein gute Seiten. Wer nicht ausschließlich im Büro arbeitet, ist zwar zufriedener, produktiver und konzentrierter. Zu diesen Erkenntnissen gelangt eine Studie des Wissenschaftlichen Instituts der AOK aus dem Jahr 2019. Zugleich sind viele erschöpfter, weil sie im Schnitt mehr arbeiten – und nicht weniger. Und weil das Zuhause seine Funktion als Rückzugsort verliert. Homeoffice ist also nicht für jeden das Wahre. Deswegen dürfe es auch keinen Zwang geben, sagt Heil. Unternehmen könnten Homeoffice verstärkt anordnen, um Kosten zu senken. Solche Überlegungen will er verhindern. Ebenso, dass Beschäftigte daheim permanent erreichbar sind.

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Ergebnis statt Präsenz zählt

Warum so viele Menschen bis zur Corona-Krise nicht im Homeoffice arbeiteten, obwohl sie es gekonnt hätten? Ihren Chefinnen und Chefs sei ihre Anwesenheit sehr wichtig, heißt es in einer Umfrage des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung. Weder in Frankreich, noch in den Niederlanden, dem Vereinigten Königreich oder den skandinavischen Ländern ist der Wunsch nach Kontrolle in dieser Form so hoch wie hier.

Die deutsche Arbeitskultur basiert enorm stark auf der sichtbaren Präsenz. Wer möglichst lange am Schreibtisch sitzt, gilt als fleißig und produktiv. Wichtige Informationen werden häufig auf dem Flur oder an der Kaffeemaschine ausgetauscht, Ideen in Konferenzen und beim Mittagessen. Wer seltener im Büro oder Betrieb ist, wird weniger wahrgenommen.

Bei einer solchen Denkweise spüren Mitarbeiter, dass sie danach bewertet werden, ob sie viel Zeit bei der Arbeit verbringen, und weniger nach der Qualität ihrer Arbeit – unabhängig von der Zeit. Dabei weiß die Wissenschaft schon lange: Die Leistungsfähigkeit nimmt mit der Zeit ab. Selbst bei fleißigen Leuten kann die Produktivität geringer ausfallen, wenn sie zwölf Stunden im Büro waren statt sechs. Nach Einschätzung der Ludwigshafener Wirtschaftsexpertin Jutta Rump wird sich das ändern. Mobiles Arbeiten werde sich nach der Corona-Krise fest etablieren. „Eine Rückkehr in die alte Welt der Präsenzkultur ist eher unwahrscheinlich, wir werden mehr und mehr in Mischformen arbeiten“, sagt die Expertin für Personalmanagement und Organisationsentwicklung.

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Sie weist aber darauf hin, dass der Erfolg von Homeoffice – für Betriebe wie für Beschäftigte – von verschiedenen Faktoren abhängt. „Führungskräfte gelten als Schlüsselfaktor“, sagt sie. „Da Homeoffice mit Vertrauen einhergeht, müssen Vorgesetzte fortlaufend ein Vertrauensklima schaffen.“ Weil die Anwesenheit nicht mehr so leicht zu kontrollieren sei, sollte Führung in Zukunft über Motivation, Arbeitsinhalte und Ergebnisse erfolgen, sagt Rump. Ähnlich sieht das auch Karl Brenke vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). „Unternehmen sollten sich von einer Kontrolle der Anwesenheitszeit hin zu einer Kontrolle von Leistung entwickeln“, sagte er dem Tagesspiegel vor einiger Zeit. Viele Arbeitsschritte seien verzichtbar oder durch eine Entbürokratisierung in deutlich weniger Zeit machbar.

[Alle aktuellen Entwicklungen in Folge der Coronavirus-Pandemie finden Sie hier in unserem Newsblog.]

Weniger und kürzere Konferenzen

Niemand hat gerade Nerven für unnötige Meetings. Virtuell fehlt außerdem der persönliche Austausch. Hakt das Bild, rauscht es, wird die Gruppendiskussion über Zoom zur Zumutung. Sie sollen deswegen recht schnell enden. Das ist ein Glück. Vielleicht werden Konferenzen auf Dauer kürzer bleiben. Bislang war es oft so: Irgendwann schweift der Blick zum Fenster oder aufs Smartphone. Die Gedanken sind woanders, dreht sich die Diskussion doch schon seit einer halben Stunde im Kreis. Geführt von den immer gleichen Redenden.

Mehr als 16 Stunden im Monat verbringt der durchschnittliche Büroangestellte in Meetings, hat eine Studie des Unternehmens Sharp ergeben. Vorstandsvorsitzende verbringen damit 72 Prozent ihrer Arbeitszeit, hat die Harvard Business School ermittelt. Viele Konferenzen sind ineffizient, nicht gut vorbereitet, ohne klare Zielvorgaben. Schlimmstenfalls geht jeder ohne Ergebnis zurück an den Schreibtisch und ärgert sich, was nun alles nachzuholen ist.

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Dass Konferenzen enorme Zeitfresser sind, erwähnen auch Unternehmen, die sich kürzere Arbeitstage schaffen wollen. Der schwedische App-Entwickler Filimundus führte einen Sechsstundentag ein und strich gleichzeitig Unterbrechungen wie nicht wirklich wichtige Meetings. Die Angestellten sollten immerhin so viel wie möglich vom Tag zur Verfügung haben, um sich ihren Aufgaben zu widmen. Lasse Rheingans, Chef einer Bielefelder Digitalagentur, plädiert für den Fünf-Stunden-Tag bei vollem Lohnausgleich. Seine Idee: Ist der Arbeitstag von vornherein kürzer, aber dafür mit strafferen Konferenzen, ohne Kaffeepausen und ohne Gedaddel am Smartphone, schaffen die Mitarbeiter das gleiche Pensum. Sie würden außerdem eine bessere Arbeit machen.

Mehr ausprobieren, Fehler machen

Schon länger wird deutschen Managern eine neue Fehlerkultur gepredigt: schnelle Entscheidungen treffen, Fehler machen, diese zugeben und daraus lernen. Gerade in großen, börsennotierten Konzernen sind Fehler noch immer etwas Verwerfliches, das jeder tunlichst vermeiden sollte. Die Grundeinstellung im Silicon Valley lautet hingegen: Mitarbeiter müssen Fehler machen, um erfolgreich zu werden. Wer innovativ sein möchte, braucht einen konstruktiven Umgang damit. Die Menschen sollen experimentieren, mutig sein. Irgendwann ist schon was Geniales dabei.

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Im Moment muss überall improvisiert, neu überlegt, ausprobiert werden. Birgit Wahmes ist Geschäftsführerin der Unternehmensberatung offstandards und sieht in der Krise enorme Chancen für einen anderen Führungsstil. „Das ist gerade ein Booster für eine neue Kultur. Die Art des Arbeitens wird digitaler, agiler“, sagt sie. Im besten Fall vertraue man einander mehr, lerne sich persönlich besser kennen. „Wer sich als Führungskraft aber nicht umstellt, weiter strenge Ansagen von oben macht, schafft es nicht“, mahnt sie.

Krank sein heißt daheim bleiben

Der Kopf brummt, die Nase trieft, aber trotzdem quält man sich zur Arbeit. Einer Umfrage des Deutschen Gewerkschaftsbunds zufolge waren im vergangenen Jahr zwei Drittel aller Arbeitnehmer im Büro oder auf der Baustelle, obwohl sie krank waren. Oft aus schlechtem Gewissen gegenüber den Kolleginnen und Kollegen. Oder aus Angst, man glaube ihnen nicht. Die Arbeitswelt misstraute der Erkrankung lange, nahm sie nicht ernst. Heute ist das kaum noch vorstellbar.

Für die Rückkehr der Beschäftigten an ihren Arbeitsplatz gelten allerorts einheitliche Regeln, um sich gegenseitig vor dem Virus so gut wie möglich zu schützen. Das Bundeskabinett hat dafür verbindliche Standards beschlossen. Für Beschäftigte gelte der Grundsatz: Niemals krank zur Arbeit! Wer sich unwohl fühle oder leichtes Fieber habe, solle den Arbeitsplatz verlassen oder gleich zu Hause bleiben, bis der Verdacht vom Arzt aufgeklärt ist. Ein Kollege, der den ganzen Tag niest und hustet? Wer weiß, ob es das jemals wieder geben wird.

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