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Qualitätskontrolle fertiger Fahrzeuge im VW-Werk im russischen Kaluga, rund 170 Kilometer südlich von Moskau.

© dpa

Ökonomischer Winter: VW baut zweites Motorenwerk in Russland

Volkswagen baut ein zweites Motorenwerk in Russland und hofft auf bessere Zeiten in Russland.

In Jörn Kuchs Reich herrscht emsiges Treiben. Der 47-jährige Ingenieur leitet das erste Motorenwerk des VW-Konzerns in Russland. Getriebe zusammenschrauben gegen die Krise. „Drehen, fräsen, schleifen, bohren - hier könnte ich mich mein ganzes Leben austoben“, sagt Kuch. Wenn er durch das neue Werk in Kaluga rund 170 Kilometer südlich von Moskau führt und die vielen kleinen Arbeitsschritte präsentiert, versprüht er große Begeisterung.

Hochkonzentriert wirken die Arbeiter an ihren Werkständen und am Fließband. Ein zarter Hauch von Chemie hängt in der Luft, doch alles wirkt neu, hell und klinisch rein. Kuch beaufsichtigt rund 400 Mitarbeiter, seit die Fabrik im September an den Start gegangen ist. 600 Motoren am Tag will er hier zusammensetzen, 150 000 im Jahr - dem milliardenschweren Abgas-Skandal und der Wirtschaftskrise zum Trotz. „In Russland verkaufen wir sehr wenig Diesel“, sagt Marcus Osegowitsch, Chef von VW-Russland. Deswegen spiele „Dieselgate“ für sein Geschäft kaum eine Rolle. Der 48-jährige Österreicher empfängt in einem modernen Konferenzraum im Hauptwerk in Kaluga, auf dessen Gelände auch die Motorenfabrik angesiedelt ist. „Wir verkaufen im Durchschnitt weniger als fünf Prozent Dieselmotoren in Russland.“ Vom Abgas-Skandal sind Osegowitsch zufolge lediglich drei Prozent des Absatzes betroffen.

VW gehört zu den größten ausländischen Investoren

VW war einer der Hauptsponsoren der Olympischen Winterspiele in Sotschi 2014 und ist Partner der russischen Fußball-Nationalmannschaft. Der Konzern gehört in Russland zu den größten ausländischen Investoren im Automobilsektor. Die Fahrzeuge gelten als zuverlässig. Besonders beliebt sind wegen der oft schon am Rand von Großstädten schwierigen Straßenverhältnisse geländefähige Modelle. Am stärksten macht VW in Russland die desolate russische Wirtschaftslage zu schaffen. „Bei uns hat die Wirtschaftskrise Mitte 2013 angefangen“, schildert Osegowitsch.

Noch 2012 hatte VW-Russland mit mehr als 320 000 verkauften Autos einen Rekord eingefahren und sich damit auf Platz fünf der wichtigsten Konzern-Regionen katapultiert. Seit 2013 aber geht es nur noch bergab. Lag der Absatz 2014 noch bei 260 000 Fahrzeugen, sank er der Vereinigung Europäischer Unternehmer in Moskau zufolge in den Monaten Januar bis November 2015 um 38 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Der gesamte russische Automarkt steckt demnach mit rund 34 Prozent im Minus.

Russische Kaufkraft bricht ein

Schuld sind dem VW-Russland-Chef zufolge weniger die EU-Sanktionen wegen der Ukraine-Krise, als vielmehr der niedrige Ölpreis und der dadurch bedingte Währungsverfall. Gab es für einen Euro Anfang 2014 rund 45 Rubel, hat sich der Wechselkurs inzwischen bei mehr als 70 Rubel je Euro eingependelt. Gepaart mit einer Inflation von 15 Prozent ergibt sich ein Kaufkraftverlust, der den Konsum der Russen abwürgt. „Wir sind ganz hart auf die Kostenbremse gestiegen“, sagt der Top-Manager. Die „Effizienzsteigerung“ habe daher schon lange vor dem Sparkurs wegen des Abgas-Skandals begonnen. Dazu gehören Maßnahmen wie der Verzicht auf überflüssige Dienstreisen, aber auch Hunderte Arbeitsplätze fielen dem Rotstift zum Opfer.

Eine von drei Schichten musste VW in Kaluga im Frühjahr streichen. Inzwischen arbeiten noch rund 5100 Menschen für VW-Russland, die meisten in den beiden Fabriken in Kaluga. Für einige Hundert Mitarbeiter aus der Fahrzeugfertigung brachte das neue Motorenwerk in letzter Sekunde den rettenden neuen Arbeitsplatz. Mit der 250 Millionen Euro schweren Investition inmitten der Krise will Osegowitsch zeigen, dass sich VW mit dem Sparkurs nicht um die Zukunft bringen will. „Wir glauben an Russland“, sagt er. Fünfeinhalb Minuten dauert die Autofahrt von der Motorenschmiede ins Hauptwerk. Hier ist Werksleiter Andreas Klar für die Fertigung der VW-Modelle Polo und Tiguan sowie Skoda Rapid verantwortlich.

Ökonomischer Winter durchstehen

Der Parcours für Gäste führt über den „Putin-Weg“. Vor einigen Jahren hatte der russische Staatschef auf dieser Route die Zehntausende Quadratmeter große Halle besichtigt, in der Karosserien eindrucksvoll zusammengesetzt werden. Putin hatte erst Anfang des Jahres das Engagement deutscher Unternehmer gelobt, die zu Tausenden trotz Krisen und politischer Konflikte an Russland festhalten. Am Eingang präsentiert Klar eine Sammlung golden glänzender Pokale. Eine der Trophäen erinnert an das 700.000. Auto, das in Kaluga 2013 vom Band ging. „Wir überlegen, wie wir das 1.000.000. feiern können“, sagt er. Wann diese Marke erreicht werde, will er nicht verraten. Niemand solle sich von der Krise verrückt machen lassen, sagt auch Osegowitsch. „Wir werden den ökonomischen Winter die nächsten zwei bis drei Jahre durchstehen. Danach dürfte es wieder aufwärts gehen.“ (dpa)

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