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Per Knopfdruck zum Auto. Online-Anbieter von Gebrauchtwagen machen den etablierten Händlern Konkurrenz. Zugleich bieten die Plattformen dem Handel neue Vertriebskanäle. Der Markt hat ein Volumen von 80 Milliarden Euro.

© Getty Images/iStockphoto

Online-Portale aus Berlin: Wachsender Marktplatz für Gebrauchte

In der Hauptstadt arbeiten die größten und dynamischsten Portale für Gebrauchtwagen – auch deutsche Autohersteller steigen ein.

Berlin ist keine Autostadt. Auch wenn Radfahrer und Fußgänger oft einen anderen Eindruck gewinnen, zeigt die Statistik: Rein rechnerisch entfällt nicht einmal auf jeden dritten der 3,7 Millionen Stadtbewohner ein Auto.

Berlin ist eine Gebrauchtwagenstadt. Weil die Einkommen vergleichsweise niedrig sind und der öffentliche Nahverkehr gut ausgebaut ist, reicht vielen Haushalten ein älteres Fahrzeug. Und das finden sie häufiger nicht beim Autohändler um die Ecke, sondern im Internet. Berlin ist die Stadt der Online-Gebrauchtwagenhändler. Von denen gibt es in Deutschland etliche, doch in der Hauptstadt sitzen die größten und am schnellsten wachsenden – allen voran Auto1 mit der Plattform Wirkaufendeinauto.de und die Ebay-Tochter Mobile.de, die ihren Sitz in Dreilinden hat. Auch der neue Spieler auf dem Markt Heycar, hinter dem Volkswagen und Daimler stehen, ging vor einem Jahr in Berlin an den Start. Viel Aufmerksamkeit bei Investoren erregte zuletzt die in der Öffentlich kaum bekannte Frontier Car Group aus Berlin. Und aus der Rocket-Internet-Fabrik stammt Carmudi, eine Auto-Kleinanzeigen-Website, die sich auf Schwellenmärkte konzentriert.

Der Markt hat ein Volumen von 80 Milliarden Euro

Im größten deutschen Ballungsraum kommen aber natürlich auch die anderen Online-Autohändler ins Geschäft. Autoscout24 als größter etablierter Wettbewerber von Mobile.de zum Beispiel, aber auch jüngere Start-ups wie Abracar aus dem Allianz-Inkubator.

Alle zusammen wollen ein Stück von dem riesigen Markt. Der deutsche Gebrauchtwagenmarkt hat ein Volumen von mehr als 80 Milliarden Euro. Im vergangenen Jahr wechselten laut Kraftfahrt- Bundesamt (KBA) in Deutschland 7,3 Millionen Fahrzeuge den Besitzer. Zum Vergleich: Gleichzeitig wurden 3,4 Millionen Neuwagen verkauft. Bei rund 45 Millionen zugelassenen Pkw hierzulande versiegt die Quelle gebrauchter Autos nie. Doch es drängen auch immer mehr Anbieter und Dienstleister auf den Markt – vor allem im Internet.

Für die etablierten Autohändler, denen schon die Dieselkrise und der Druck der Hersteller zu schaffen machen, ist der Online-Boom Fluch und Segen zugleich. Einerseits ziehen die Portale Kunden ab, die einen weitaus besseren Angebots- und Preisüberblick haben als früher. 80 Prozent der Autokäufer haben sich zuvor im Internet umfassend informiert. Andererseits sind Anbieter wie Wirkaufendeinauto.de (WKDA) auf gute Geschäftsbeziehungen zum Kfz-Gewerbe angewiesen, weil sie ihre eingekauften Fahrzeuge wieder loswerden müssen.

Auto 1 hat 45.000 Handelspartner

Auto1 dreht inzwischen „das größte Rad“ auf dem Gebrauchtwagenmarkt, wie Martin Endlein sagt, Sprecher der Deutschen Automobil Treuhand (DAT). Die Berliner betreiben mit WKDA ihre größte C2B-Plattform: Private verkaufen über mehr als 350 Partnerfilialen ihr Auto, das der Anbieter dann wieder bei einem der 45 000 Handelspartner in ganz Europa anbietet. Im vergangenen Jahr waren es mehr als 300 000. Potenziellen Autoverkäufern verspricht WKDA eine einfache, reibungslose Dienstleistung zu besten Preisen. Und die Dachgesellschaft Auto1 bezeichnet sich selbst als „unabhängigen und markenübergreifenden Automobil-Großhändler“. Das Unternehmen habe eine „Nische erobert, die eigentlich seit 100 Jahren von den Autohändlern besetzt war“, sagt DAT-Sprecher Endlein. Auto1 bediene nun online, was Kunden, die ihr Auto verkaufen wollen, suchten: Bequemlichkeit, Tempo und einen festen Preis.

Das Geschäftsmodell ist dennoch umstritten, weil immer wieder Kunden über niedrige Ankaufspreise klagen (auch vor Gericht). Der Wert eines Gebrauchten wird kostenlos online geschätzt, vor Ort nimmt ein Mitarbeiter den Wagen unter die Lupe, es wird ein verbindliches Angebot erstellt und der Wagen sofort angekauft – wenn der Kunde einverstanden ist. Täglich kommen so nach Unternehmensangaben mehr als 3000 Fahrzeuge hinzu. Das Wachstum von Auto1 (Außenumsatz: zwei Milliarden Euro) beeindruckt die Investoren: Das 2012 gegründete Unternehmen wird mit rund drei Milliarden Euro bewertet. Vor einigen Monaten investierte der japanische Telekommunikations- und Medienkonzern Softbank 460 Millionen Euro in das Unternehmen.

Volkswagen und Daimler bauen Heycar aus

Der Erfolg der Berliner ist auch in der Automobilbranche nicht unentdeckt geblieben. Ende 2017 launchte Volkswagen über seine Finanztochter Financial Services die Plattform Heycar. Werbewirksam angeboten werden dort „Fast-wie- Neuwagen“ mit Garantie – vom Händler, Hersteller oder Versicherer und mindestens für Motor, Getriebe und Achsen. Keines der inzwischen 300 000 gelisteten Fahrzeuge, die ausschließlich von Händlern angeboten werden, ist älter als acht Jahre oder hat mehr als 150 000 Kilometer auf dem Zähler. Der Anspruch lautet: Premium statt Resterampe. Vor gut zwei Wochen stieg auch Daimler mit 20 Prozent bei Heycar ein. Noch dominieren zwar Modelle des VW-Konzerns die Plattform, DAT spricht von einer „sortenreinen Trefferliste“. Doch die beiden Autokonzerne wollen mehr. Aktuell sind schon mehr als 1000 Händlergruppen an rund 3000 Standorten angeschlossen, die nicht nur Fahrzeuge von Volkswagen oder Mercedes anbieten.

Im ersten Quartal 2019 soll die Zahl der Heycar-Offerten auf 500 000 Fahrzeuge steigen. Zum Vergleich: Mobile.de bietet 1,6 Millionen Pkw, Nutzfahrzeuge und Motorräder an. Für die VW-Tochter Financial Services ist die Online-Plattform nicht zuletzt ein Instrument, um die Zahl der Leasing-, Finanzierungs- und Versicherungsverträge zu steigern.

Investoren setzen auf Berliner Start-ups

Online-Autohandel sei keine „Raketen-Wissenschaft“, sagt Martin Endlein. Die Software, die hinterlegten Algorithmen, die Angebote – alles ähnlich. Dennoch sei jedes Portal anders in der Lage, individuelle Kundenwünsche zu erfüllen – „und seien es rosa Ledersitze unter einem braunen Dachhimmel“. Auf die Preise für Gebrauchtwagen hat das wachsende Angebot im Netz allerdings keinen Einfluss. Weil Neuwagen immer teurer werden (2017 im Schnitt 30 350 Euro), steigen auch die Durchschnittspreise für Gebrauchte (11 250 Euro).

Das wiederum freut Investoren, die sich in Berlin nach attraktiven Start-ups umschauen. Auf der Startrampe ins Online-Gebrauchtwagengeschäft wurden sie zuletzt gleich mehrfach bei der Frontier Car Group fündig. Sie kopiert das Auto1-Modell und transportiert es in Märkte wie Mexiko, Pakistan, Nigeria, Chile oder Indonesien. 170 Millionen Dollar haben Investoren bisher in das 2016 gegründete Unternehmen gesteckt. Dieses Jahr soll der Umsatz bei 250 Millionen Euro liegen, Mitte 2019 will Frontier profitabel sein. Nicht viele Berliner Mittelständler planen mit so ambitionierten Zielen. Der boomende Online-Markt „made in Berlin“ macht es möglich.

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