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Den griechischen Hafen Piräus hat eine chinesische Staatsfirma übernommen.

© Panos Tomadakis/XinHua/dpa

Schluss mit der Blauäugigkeit: Wie China Europas Häfen und Containerschiffe kapert

Der maritime Welthandel ist geostrategisch entscheidend. Deshalb sollte der „alte Kontinent“ Pekings Einfluss eindämmen – auch in Asien. Ein Gastbeitrag.

Ein Gastbeitrag von Günther H. Oettinger

Günther H. Oettinger ist Vorsitzender von United Europe e.V. Er war Ministerpräsident von Baden-Württemberg und EU-Kommissar für Energie, Digitale Wirtschaft und Gesellschaft, Haushalt und Personal.   

Wir schreiben das Jahr 1961. Amerika hat  mit John F. Kennedy einen jungen, dynamischen Präsidenten gewählt. Die USA sind wirtschaftlich und politisch die Weltmacht Nummer eins, militärisch kann nur die Sowjet-Union mithalten.

China ist Entwicklungsland. In der Bundesrepublik landet Lale Andersen mit „Ein Schiff wird kommen“ einen Super-Hit. Das Lied handelt von einer  Prostituierten, die im Hafen von Piräus auf ihren Liebsten wartet. Von hier hatten die Athener vor 2500 Jahre Schiffe losgeschickt, um ihre Demokratie gegen Persiens Könige zu verteidigen.

Heute sind die USA noch immer eine Weltmacht, aber hart bedrängt von China. Von den 500 umsatzstärksten Konzernen der Welt hat jeder fünfte seinen Sitz im Reich der Mitte, nur in den USA sind es noch mehr. Russland ist nur noch militärisch stark. Und die Europäische Union?

Die EU ist abhängig von China

Die europäische Union ist wirtschaftlich stark – aber längst  abhängig vom chinesischen Markt. Die Pandemie hat gezeigt, dass deutsche Autokonzerne ohne ihre Werke und Absatzmärkte in China wohl Sanierungsfälle geworden wären.

Und das Regime in Peking setzt seine ökonomische Kraft auch politisch ein – etwa um Kritik am Umgang mit Minderheiten und Demokratiebewegungen zu unterbinden. Daimler-Manager wurden zur Unterwerfung gezwungen, als der Konzern es gewagt hatte, in einer Broschüre den Dalai Lama zu zitieren.  

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In Piräus, dem Stolz Griechenlands, haben inzwischen chinesische Staatsfirmen das Sagen. Im Stammland der Demokratie, erhebt der Rote Drache sein Haupt. Bevor die Europäische Union jüngst symbolische Sanktionen gegen China verhängte, gefiel sich Griechenland in der Rolle, Resolutionen gegen China zu verzögern und zu verwässern.  Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.

„Wir können die Chinesen nicht dafür verantwortlich machen, dass sie klug waren. Wir können uns nur selbst die Schuld dafür geben, dass wir derart dumm waren“, sagt Frankreichs Präsident Emmanuel Macron – tatsächlich haben die EU-Länder lange zugesehen, wie China auf dem „alten Kontinent“ auf Einkaufstour ging.

Stets im Blick: Technologie-Unternehmen, Banken und kritische Infrastruktur wie Häfen und Stromnetze. Erst als ein chinesischer  Konzern den Augsburger Industrieroboter-Spezialisten Kuka übernahm, wachte Deutschland auf, verschärfte das Außenwirtschaftsgesetz und verhinderte seither mehrfach weitere Übernahmen. 

Das Seidenstraßen-Projekt hielten viele für einen Marketing-Gag

Als Chinas Präsident Xi Jinping 2013 das Projekt der „Neuen Seidenstraße“ ausrief, glaubten viele an einen Marketing-Gag: Die Wiederbelebung der alten Seidenstraße, die im Mittelalter der Venezianer Marco Polo als erster Europäer bereist hatte. Jener Handelsweg, über den Seide und Gewürze quer durch Asien, durch  Wüsten und über Gebirge nach Europa transportiert worden waren. Heute geschieht das nicht mehr mit Kamelen, sondern mit  Bahn, Lkw oder Containerschiff.

Europas Regierungen hatten Ende der 1990er-Jahre internationale Schiffs-Verbünde erlaubt – Risiken und Nebenwirkungen dabei aber nicht bedacht. Heute dominieren wenige Allianzen mit starker chinesischer Beteiligung den Markt. Die chinesische Staatsreederei Cosco verfolgt das Ziel, alleine oder mit Kooperationen Weltmarktführer zu werden. Von deutscher Seite kann hier nur noch die Reederei  Hapag-Lloyd einigermaßen mithalten. Wettbewerb sieht anders aus.

China kontrolliert weltweit jedes vierte Hafen-Terminal

Die chinesische Staats-Reederei Cosco und ihre Schwesterfirma China Merchant besitzen bereits in 14 europäischen Häfen –  von Rotterdam und Antwerpen über Le Havre, Bilbao, Valencia, Marseille und Malta  –  eigene Terminals oder Anteile an Hafengesellschaften. Weltweit kontrolliert Peking mittlerweile jedes vierte Container-Terminal. „Damit verliert Europa ein Stück Souveränität“, sagt Frankreichs Ex-Premier Jean-Pierre Raffarin über den Ausverkauf der Häfen.

Anfang des Jahrtausends, also 40 Jahre nach dem Lale-Andersen-Hit, waren kaum noch Schiffe nach Piräus gekommen, die Perle am Mittelmeer drohte zu einem abgewirtschafteten Provinzhafen zu verkommen. Da kam Cosco gerade recht mit der Offerte, für gut 500 Millionen Euro  die Lizenz zweier Containerterminals zu erwerben. Das war 2008, fünf Jahre bevor Peking seine Vision der „Neuen Seidenstraße“ präsentierte.

2016 erzwang die EU mittels der ungeliebten „Troika“ die Privatisierung des gesamten Hafens. Ohne ernsthafte Mitwerber übernahm Cosco zum Schnäppchenpreis von 280 Millionen Euro die komplette Kontrolle des Hafens – obwohl  gleichzeitig der Kämmerer in Uelzen die Erweiterung einer Turnhalle europaweit ausschreiben muss.

Heute ist Piräus schon die Nummer vier in Europa, hinter Rotterdam, Antwerpen und Hamburg. „Hier geht kein Schiff raus oder rein, das die Chinesen nicht wollen“, sagt ein früherer griechischer Marine-Minister. Tatsächlich ist Piräus der Endpunkt der maritimen Seidenstraße – von China über den Indischen Ozean ins Rote Meer. Dessen Eingang zur Weiterfahrt durch das Nadelöhr Suez-Kanal kontrolliert China bereits mit einer Marinebasis in Dschibuti am Horn von Afrika.

Die havarierte "Ever Given" hatte eine Woche den Suezkanal versperrt.
Die havarierte "Ever Given" hatte eine Woche den Suezkanal versperrt.

© imago images/UPI Photo

Als jetzt ein Container-Riese im Suez-Kanal auf Grund lief, stauten sich hunderte Schiffe im Roten Meer, Lieferketten gerieten in Gefahr. 20.000 Schiffe passieren jedes Jahr den Kanal. Was beweist, wie geostrategisch wichtig die Kontrolle über den Zugang zum Suez-Kanal ist.

Sonst müssten Schiffe aus Asien einen Umweg über 6.000 Kilometer machen und einmal rund um Afrika fahren, um nach Europa zu gelangen. Entlang der maritimen Seidenstraße von China durch den Indischen Ozean baut und kauft Peking weitere Häfen. Manche machen, sagen Experten der Weltbank, wirtschaftlich  keinen Sinn. Es sei denn, man nutzt sie für militärische Zwecke.

Vom Roten Meer geht es weiter durch den Suez-Kanal mit chinesischen Hafenanlagen nach Piräus. Dort weht, anders als in Dschibuti, keine rote Fahne über dem Hafen – nur ein paar rote Lampions leuchten dezent in der Hafenzentrale. Aber die kennen wir ja aus unseren China-Restaurants.

Die EU muss aus in Asien Infrastruktur mitgestalten

Und was ist die Antwort der EU auf die Billionen-Offensive  „Neue Seidenstraße-Straße“? Die Antwort  heißt „EU-Asien-Konnektivitätsstrategie“ und kommt bescheidener daher. Ziel ist es, Infrastrukturen zwischen Europa und Asien gemeinsam zu entwickeln: Straßen, Schienen, Pipelines und digitale Netze. Länder in Zentralasien wie Kasachstan, Usbekistan, Kirgisistan oder Tadschikistan wollen ihren eigenen Weg gehen und sich gegenüber ihren großen Nachbarn China und Russland behaupten.

Hier kann die EU ihre geopolitische Handlungsfähigkeit beweisen. Trotz der Pandemie muss die Europäische Union die Kraft haben, die Infrastruktur zumindest in Teilen Asiens mitzugestalten. Hier spielen Investitionsprogramme eine wichtige Rolle. Aber: Fairer Wettbewerb und transparente Bedingungen, internationale Standards und Rechtssicherheit für private Investoren sind ebenso wichtig. Denn es geht um einen Kampf der Systeme.

Mut macht, dass sich Anfang des Jahres die Hamburger Hafengesellschaft HHLA in den italienischen Hafen Triest einkaufte. Die Hafenbeteiligung stand auch auf Pekings Wunschzettel. Die Hamburger erhielten den Zuschlag auf Druck der Regierung in Rom. Ein Stück europäischer Geopolitik. Immerhin.

Günther H. Oettinger

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