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Antrittsrede. Anlässlich der Vorstellung der neuen Stipendiaten stellt sich der neue Präsident der American Academy, Terry McCarthy, auch Freunden und Förderern des Hauses vor. Es ist sein dritter Arbeitstag in Deutschland.

© Annette Hornischer

American Academy: Philosoph mit Kriegserfahrung

Terry McCarthy, der neue Präsident der American Academy, bringt seine Erfahrungen als Journalist mit.

Bei seinem ersten Berliner Interview lässt Terry McCarthy die Tür des Arbeitszimmers zum Flur nach guter amerikanischer Sitte offen, das Fenster zum Wannsee aber auch. Der neue Präsident der American Academy sitzt, während er von Schlüsselerlebnissen seines Lebens erzählt, mitten im Durchzug – und merkt es gar nicht. Prägende Erkenntnisse in seinem Leben verbindet der 57-Jährige, der neben der amerikanischen auch die irische und die englische Staatsbürgerschaft besitzt, mit Deutschland. Als er 14 Jahre alt war, schickten ihn die Benediktiner, bei denen er in Irland zur Schule ging, nach Münsterschwarzach in die renommierte Abtei der Mitbrüder. Dort merkte er zum ersten Mal, dass man Dinge ganz anders machen kann und dass sie deswegen trotzdem nicht falsch sein müssen. Zu Hause etwa aß man Wurst nur zum Frühstück, in Deutschland dagegen zum Lunch und zum Abendessen. Drei Jahre später besuchte er das Riemenschneider-Gymnasium in Würzburg und traf dort auf einen Lehrer, der die Liebe zur Philosophie in ihm entfachte. Angetrieben von der Frage, warum Menschen so handeln, wie sie handeln, entschloss er sich, Philosophie zu studieren, bekam 1981 auch ein Stipendium für die Universität Tübingen. Wie gut sein Deutsch immer noch ist, verblüfft. Inzwischen beherrscht er sechs Sprachen, darunter Japanisch und Chinesisch.

In Irland wurde es ihm rasch zu eng

In Irland wurde es dem in London geborenen Sohn einer Engländerin und eines Iren, die beide Ärzte waren, dann rasch zu eng. Dort war es zu seiner Studienzeit illegal, Kondome zu kaufen, Scheidungen waren undenkbar. Also ging er nach Kalifornien. Katholisch geprägt, ist für ihn organisierte Religion heute nicht so wichtig. Gott vermutet er irgendwo zwischen dem Sternbild Alpha Centaurus und der Musik von Mozart. Warum er von der Philosophie zum Journalismus gewechselt ist? „Man fragt andere Menschen, was sie machen, was Sinn macht in ihrem Leben. Und wird dafür bezahlt.“ Dass es ihn fortan an die Brennpunkte der Welt zog, schmückt er nicht unnötig aus. „Das interessiert die Leute, das verkauft sich gut.“

Am Ende hat sich für ihn alles gefügt. Die Philosophie vergleicht er mit den Wurzeln eines Baumes, die tief in die Erde treiben. Dann kommen die Wissenschaften und die Künste, Musik, Literatur als Stamm und Äste. Die Blätter kennzeichnen für ihn den Journalismus, aber sie fallen ab und kehren zurück zur Erde, zu den Wurzeln.

Leistung lohn sich - das hat er verinnerlicht

McCarthy hat unendlich viel Leid gesehen. Das hat ihn im Laufe der Jahre zu den ethischen Aspekten der Philosophie geführt. Vor seinem ersten Einsatz als Reporter in Nicaragua forderte ihn der zuständige Redakteur auf, zu zeigen, was er kann, einen wirklich guten Job zu machen. Diese Unterhaltung war noch so ein Schlüsselerlebnis. Das uramerikanische Prinzip, dass Leistung sich lohnt, hat er verinnerlicht. Der Antrieb reichte, um im Laufe der Zeit vier Emmys und andere renommierte Preise zu gewinnen. Von Zentralamerika zog es ihn nach Asien. Dort berichtete er für den „Independent“ aus Bangkok und Tokio, schrieb auch über den Krieg in Kambodscha. Für das Magazin „Time“ ging er nach Schanghai, wechselte später zum Fernsehen. Für eine ABC-Serie über das Leben im Irak nach der US-Invasion wurde er ebenso ausgezeichnet wie für „The Thundering Third“, eine Serie über seine vier Monate mit US-Marinesoldaten in Afghanistan.

Ob es ihm nach solchen Einsätzen am Wannsee nicht zu ruhig ist? „Adrenalin ist wie eine starke Droge“, sagt er. Davon konnte er sich lösen, wenn man so will, durch eine Überdosis. In Afghanistan hatte er ein weiteres Schlüsselerlebnis. Taliban griffen die Soldaten an, mit denen er unterwegs war. Plötzlich überkam ihn eine riesige Furcht. Das war keine Todesangst. Ihm war nur plötzlich der Gedanke völlig unerträglich, nicht heil zurückzukönnen zu seinen Kindern.

Es gebe diesen Job in Berlin...

2012 übernahm er in Los Angeles die Leitung des World Affairs Council. Seine in 27 Jahren geflochtenen guten Netzwerke halfen ihm, herausragende Redner zu holen, neben Bill Clinton zum Beispiel Shinzo Abe und Elon Musk. Auch der frühere US-Botschafter John Emerson hielt dort gelegentlich Vorträge. Trotzdem war er überrascht, als sein alter Kollege Norman Pearlstine ihn bei einem Treffen im Frühjahr fragte, ob er Deutsch könne. Der Chefredakteur der „Los Angeles Times“ war eine Weile auf amerikanischer Seite Präsident der American Academy. Es gebe da diesen Job in Berlin … Den Spiritus Rector der Academy, Richard Holbrooke, hatte McCarthy früher mal in Afghanistan kennengelernt. Auf Anhieb sprach einiges für die Entscheidung, dem Ruf zu folgen, auch Privates. Seine aus Texas stammende Frau hat bislang noch nicht im Ausland gelebt, die vier Kinder im Alter zwischen 9 und 13 Jahren können ihre europäischen Wurzeln kennenlernen. McCarthys Mutter lebt noch in Limerick. Vor allem aber kann er hier zu seinen geistigen Wurzeln zurückkehren. Schließlich existiert die American Academy, um das Beste aus der amerikanischen Denkweise in das Land der großen Denker zu bringen.

Seine Agenda formiert sich gerade

Dass die Deutschen einer Umfrage zufolge derzeit mehr Angst vor Präsident Trump und seiner Politik haben als vor dem Klimawandel, sieht er gelassen. Man müsse den Kamerazoom etwas zurückfahren, um das ganze Bild zu sehen. Schließlich gebe es gerade überall in der Welt große Probleme. Die deutsch-amerikanischen Beziehungen würden getragen von gemeinsamen Interessen und Werten, von persönlichen Beziehungen auf vielen Ebenen. Nach seinem Eindruck ist die Welt allerdings immer schlechter geworden, wenn Amerika den Blick nach innen gerichtet und weggesehen hat von den Konflikten auf der Welt. Das Leid nicht wahrzunehmen, in seinem Angesicht nicht zu handeln, ist für ihn unethisch. Seine Agenda formiert sich gerade in vielen, intensiven Gesprächen. Auch im Hinblick auf die aktuellen Diskussionen in Deutschland, auf die Situation in Polen und Ungarn hält er es für wichtig, zu verstehen, warum viele Leute so frustriert sind, will herausfinden, was die Verzweifelten denken, die den Populisten folgen.

Für ihn sei es wichtig, mit allen zu sprechen, mit Linken, mit Rechten, mit Leuten, die keinem Flügel zuzuzählen sind, sagt er später am Dienstagabend bei der Vorstellung der neuen Stipendiaten. Dieses Ritual findet immerhin schon zum 21. Mal statt, betont die Kuratoriumsvorsitzende Gahl Burt. Dass der neue Präsident sympathisch ist, haben die meisten Mitarbeiter schon mitgekriegt. Wie viel frischer Wind demnächst durchs Haus fegen wird, bleibt abzuwarten.

Terry McCarthys früherer Erkenntnis, dass es nicht falsch sein muss, Dinge anders zu machen, ist auch das Kuratorium der Academy gefolgt. Nach zwei Kurzzeitversuchen mit renommierten Professoren hängt noch die Frage in der Luft, wie wagemutig es letztlich war, einen langjährigen Journalisten an die Spitze zu stellen. Dass Terry McCarthy ein Mensch ist, der im Elfenbeinturm schnell Klaustrophobie bekommen würde, merkt man rasch. Und dass die Zeit als Kriegsberichterstatter seine philosophischen Antennen für die grundlegenden Fragen des Lebens eher geschärft hat, ebenfalls. Für schwierige Zeiten sind das schon mal lauter maßgeschneiderte Tugenden.

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