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Colourful silhouettes of Virus Cells

© Getty Images / smartboy10

Zwei mögliche Szenarien: Ist Sars-Cov-2 anders als andere Viren?

Eine Studie zeigt, dass Menschen mit wiederholten Infektionen häufiger ins Krankenhaus kommen. Das ist beunruhigend, aber eigentlich nicht überraschend. Ein Gastbeitrag.

Der Winter ist da, die Zeit des Schniefens, Hustens und Fieberns ist gekommen. Jetzt haben es die Atemwegsviren besonders leicht: Rhinoviren, Metapneumoviren, Parainfluenzaviren, Bocaviren, Coronaviren, Grippeviren, Adenoviren und das respiratorische Synzytialvirus (RSV) belagern uns regelrecht und sorgen für „Erkältungen“ oder „grippale Infekte“.

Vor der Pandemie gab es darüber kein Aufsehen, vielleicht noch mit Ausnahme von Grippe und RSV: Beide können für ältere Menschen, RSV auch für Kleinkinder und Babys gefährlich werden.

Wissenschaftlicher Konsens war aber auch hier, dass gesunde Menschen unter 70 wenig Grund zur Sorge haben. Mit den meisten der Atemwegsviren infizierte man sich alle ein bis fünf Jahre, und bemerkt es kaum oder gar nicht. Wissenschaftlicher Konsens war auch, dass die wiederholten Infektionen den Immunschutz „aktualisieren“ und so vor künftigen schweren Krankheitsverläufen oder Langzeitschäden schützen.

Für SARS-Cov-2 stellt sich der Wissenschaft nun die Frage: Ist das mit diesem Virus so, oder verhält es sich hier anders? Tragen wiederholte Infektionen zu einer zunehmenden Immunität bei oder schwächen sie im Gegenteil das Immunsystem? Steigt womöglich mit jeder Infektion das Risiko für schwere Verläufe oder Long Covid und wird man sogar anfälliger für andere Viren?

Neuen Stoff für diese Hypothese lieferte kürzlich eine Studie, für die die Gesundheitsdaten von Millionen US-amerikanischen Veteranen ausgewertet wurden.

Das Ergebnis: Menschen mit zwei oder drei SARS-CoV-2-Infektionen haben höheres Risiko, im Krankenhaus zu landen, zu sterben oder später an Long Covid zu leiden. Das ist beunruhigend, aber eigentlich nicht überraschend: Die Studie besagt, dass eine Infektion allein weniger belastend und gefährlich ist als zwei oder drei.

Zudem war die Bevölkerungsgruppe im Durchschnitt über 60 Jahre alt und bei eher schlechter Gesundheit. Die Studie beweist also einmal mehr, dass sich Risikogruppen trotz Omikron und Impfungen vor Infektionen schützen sollten. Auf jüngere gesunde Menschen lassen sich die Resultate nicht ohne weiteres übertragen.

Kaum noch schwere Verläufe in deutschen Krankenhäusern

Beruhigen kann immerhin, dass kaum noch Menschen mit schwerem Covid-19 in deutschen Krankenhäusern liegen. Wer mit dem Virus ins Krankenhaus kommt, gilt als „mit dem Virus“, aber nicht „wegen des Virus“ krank.

Was bei dieser einfachen Sichtweise allerdings nicht bedacht wird: Eine Infektion mit dem Virus kann beispielsweise Herz-Kreislauf-Beschwerden so verschlimmern, dass eine Krankenhauseinweisung notwendig wird – als deren Grund dann Herz-Kreislauf „mit Corona“ angegeben wird, aber nicht Corona als verschlimmernder Faktor.

Die Studie beweist also einmal mehr, dass sich Risikogruppen trotz Omikron und Impfungen vor Infektionen schützen sollten. 

Emanuel Wyler, Molekularbiologe

Doch wie große Sorgen müssen sich junge, gesunde Menschen machen, die sich immer wieder infizieren, vor allem im Hinblick auf Long Covid?

Einen wichtigen Hinweis geben die hervorragenden Gesundheitsdaten aus Großbritannien, die Erhebungen des britischen Statistikbüros: Von Januar bis Mai dieses Jahres stieg die Zahl der Menschen mit Long Covid-Symptomen um 600.000 – eine Folge der vorangegangenen Omikron-Wellen mit 12 Millionen Ansteckungen und sehr vielen Reinfektionen.  

25.000
Menschen sind schätzungsweise in der Wintersaison 2017/2018 in Deutschland gesorben.

Allerdings: Schon vor den Omikron-Wellen litten 1,3 Millionen Menschen in Großbritannien unter Long Covid-Symptomen - obwohl sich bis dahin weniger, nämlich 10 Millionen angesteckt hatten. Relativ gesehen ging die Zahl der Betroffenen also zurück, und sie sank auch weiter - im Juli gaben 200.000 Menschen weniger Symptome an.

Trotz mehr Infektionen, darunter auch viele Reinfektionen, gab es also weniger Long Covid. Das spricht nicht dafür, dass das Coronavirus große Teile der Bevölkerung chronisch krank machen wird  – aber auch nicht dafür, dass Sars-Cov-2 ein harmloses Erkältungsvirus ist.

Zwei Szenarien

Wie man sieht, lässt sich die Ausgangsfrage (noch) nicht eindeutig beantworten. Zwei Szenarien sind noch offen: Entweder bleibt SARS-CoV-2 ein besonders gefährliches Atemwegsvirus, das aber für den Großteil der Bevölkerung keine Gefahr darstellt und vor dem sich Risikogruppen mit angepassten und weiterentwickelten Impfstoffen gut schützen können.

Vergleichbar wäre das mit dem Grippevirus, das in der Saison 2017/2018 eine schwere Welle mit geschätzt 25.000 Toten in Deutschland verursachte. Oder, und ausschließen kann man es derzeit noch nicht: SARS-CoV-2 ist und bleibt ein Ausnahmevirus, und jede zusätzliche Infektion ist eine anhaltende Gefahr für die Gesundheit.

Was aber wohl sicher ist: Die bisherige Nonchalance gegenüber Atemwegsviren ist vorbei, auch weil wir jetzt wissen, wie viel Unbill man sich mit einfachen Schutzmaßnahmen wie Masken oder Homeoffice ersparen kann.

Schon jetzt ist Covid-19 eine der am besten erforschten Krankheiten, und die andauernde weltweite Forschung wird nicht nur unser Wissen umd Sars-Cov-2 noch deutlich erweitern, sondern uns auch über das jährliche Schniefen, Husten und Fiebern viel lehren.

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