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© Lisa Rock für den Tagesspiegel

„Der Erbonkel“: Mütter haben immer ein Stück ihrer Kinder mit dabei

Wenn die Kinder ausziehen, verlassen sie ihre Eltern nicht ganz. Ein wenig ihrer selbst bleibt zurück – jedenfalls bei den Müttern.

Eine Kolumne von Sascha Karberg

Nun ist es also so weit: Das „Kind“, das schon viel länger keins mehr ist, als man es wahrhaben wollte, zieht aus. So sehr sich Eltern mit ihrem Nachwuchs über deren Selbstständigkeit freuen mögen, ein wenig schwingt wohl immer das Gefühl des Verlassenwerdens mit.

Zumindest den Müttern sei versichert: So ganz verlässt ein Kind seine Schöpferin nie. Nicht nur im psychologischen Sinne. Es lässt ein Stück von sich zurück: Zellen.

Eigentlich besteht der Mensch aus Milliarden Zellen, die äußerlich zwar sehr unterschiedlich, in einem aber identisch sind: Das Erbgut, die Abfolge der DNA-Bausteine ist immer gleich. Aber es gibt Ausnahmen, bestimmte Immunzellen etwa bauen Teile ihres Genoms um. Mit modernen Methoden haben Forscher aber mittlerweile auch Zellen in den Organen und Geweben von Müttern entdeckt, die „fremdes“ Erbgut tragen. Zellen ihrer Kinder.

Es ist ziemlich wahrscheinlich, dass jede Mutter eine Chimäre ist.

Linda Randolph, Kinderärztin und Expertin für Chimärismus vom Children’s Hospital in Los Angeles

Offenbar gelangen sie während der Schwangerschaft über die Plazenta in den Körper der Mutter. Je früher das passiert, umso „embryonaler“, unreifer sind die Zellen. Daher werden sie nicht als „fremd“ erkannt, das Immunsystem attackiert sie nicht. Die Zellen des Kindes reihen sich in die Zellverbände und Organe ein und werden Teil der Mutter.

Zwar weiß bislang niemand, ob jede Mutter Zellen ihrer Kinder mit sich trägt, also eine Chimäre ist. Aber es ist „ziemlich wahrscheinlich“, meint Linda Randolph, Kinderärztin und Expertin für Chimärismus vom Children’s Hospital in Los Angeles. Tatsächlich finden sich bei Gewebeproben oder Autopsien etwa in Gehirn- oder Brustgewebe bei mehr als der Hälfte der untersuchten Frauen männliche Zellen – von ihren Söhnen. Offenbar können sie dort jahrzehntelang weiterleben und mitwachsen.

So ganz ziehen die Kinder also nie aus. Und völlig verloren geht ihnen die Mutter ohnehin nicht: Wahrscheinlich haben einige von Geburt an ein paar mütterliche Zellen dabei. Aber das ist eine andere Erbonkel-Geschichte.

Was wir zum Leben mitbekommen und was wir weitergeben jeden Sonntag Geschichten rund um Gene und mehr in der „Erbonkel“-Kolumne von Genetiker und Wissenschaftsjournalist Sascha Karberg.

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