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Vorläufer der heutigen Jeans? Die wohl älteste Hose der Welt gehörte einem Krieger, der vor mehr als 3000 Jahren in China lebte. Rechts die Rekonstruktion seiner sehr gut erhaltenen Kleidung.

© Deutsches Archäologisches Institut

Die Wurzeln der Haute Couture: „Kleider machen Leute“ galt auch vor 3000 Jahren

Ein deutsch-chinesisches Forschungsteam hat Reste von Kleidung entdeckt, die Aufschluss darüber geben, wie Menschen damals gelebt haben. Und welchen Stellenwert Mode schon damals hatte.

„Wenn sich die Kleidung erhalten hat, bekommen wir einen ganz anderen Zugang zum Menschen. Besucher empfinden das so im Museum: Die Präsenz der Persönlichkeit ist spürbar, Kleider machen Leute im wahrsten Sinn des Wortes“, sagt Mayke Wagner, Wissenschaftliche Direktorin der Eurasien-Abteilung und Leiterin der Außenstelle Peking des Deutschen Archäologischen Instituts (DAI).

Sie forscht seit 2013 zusammen mit deutschen und chinesischen Kollegen an dem interdisziplinären Projekt „Silk Road Fashion“. Dabei beschäftigt sie sich mit Wissenschaftlerinnen der Chinesischen Akademie für Kulturerbe und dem Denkmalamt der Autonomen Region der Uyguren, Xinjiang, mit dem Thema Kommunikation durch Kleidung im 1. Jahrtausend vor unserer Zeit. Von deutscher Seite sind unter anderem die Freie Universität und die Martin-Luther-Universität Halle beteiligt.

Normalerweise finden Archäologen bei ihren Grabungen keine Kleidung, da organische Materialien zuerst zerfallen. Doch in der Turfan-Oase am Nordost-Rand des Tarim-Beckens mit seiner extremen Trockenheit finden sich auf natürliche Weise mumifizierte Körper mit ihrer gesamten Kleidung.

Die Modearchäologie verfolgt die Kette zurück, vom vorgefundenen Kleidungsstück über Webtechniken, Herstellung und Rohmaterial. So können Rückschlüsse auf das damalige Leben gezogen werden. Da es keine schriftlichen Quellen gibt, helfen hier kriminalistische Methoden weiter. „Wir rekonstruieren den zweiten Körper“, sagt Wagner.

Das Kleidungsstück wird durch naturwissenschaftliche Methoden in Daten transferiert, die etwas über Fäden und Farben, Technik und Design verraten. Bei der Interpretation dieses Datensatzes untersucht die Textiltechnologie vor allem, welche Formen der Bindung damals benutzt wurden.

Wir sehen, dass damals Kleidung entwickelt wurde, die man noch tragen kann.

Mayke Wagner, Wissenschaftliche Direktorin der Eurasien-Abteilung und Leiterin der Außenstelle Peking des Deutschen Archäologischen Instituts (DAI)

Ziel des Projektes ist es, die gewonnenen Erkenntnisse experimentell zu überprüfen. Wenn man die Stücke nachbaue, lerne man die Funktionsweise und die Verwendung besser kennen. „Wir überbrücken mit dem Fachwissen der hinzugezogenen Handwerkerinnen die Lücken in der Überlieferung“, sagt Wagner. Daher arbeiten in dem Projekt auch eine Maßschneiderin und eine Textildesignerin mit.

Die wohl erste Hose der Welt

Erprobt wurden diese Methoden erstmals bei der 2003 entdeckten berühmten Hose des Turfan-Mannes, der eine der ersten Hosen der Welt getragen hat, ein formgewebtes Stück von großer Haltbarkeit, dem man heute seine 3000 Jahre nicht ansieht.

Vorläufer der heutigen Jeans? Die wohl älteste Hose der Welt gehörte einem Krieger, der vor mehr als 3000 Jahren in China lebte. Rechts die Rekonstruktion seiner sehr gut erhaltenen Kleidung.

© Deutsches Archäologisches Institut

Die Textilforscher haben diese Hose aus dem Grab 21 von Yanghai nachgearbeitet. Erste Erkenntnis: Sie wurde nicht geschneidert, sondern in drei Teilen nach Maß gewebt. Im Kniebereich gab es an der Hose einen verzierten, dickeren Streifen, der eingeflochten war. Die verwendete Technik kennt man nur noch aus Neuseeland oder Nord-Japan. Wie bei einer modernen Handwerkerhose verstärkt der Streifen die strapazierte Kniezone.

Das Muster ist das Gleiche wie auf einem viereckigen Bronzegefäß für Fleischopfer, das 2800 Kilometer entfernt im Grab eines Generals der Shang-Dynastie gefunden wurde. Die Weberin und der Bronzegießer müssen also in Kontakt gestanden haben.

Symbol der Seidenstraße

Da der Turfan-Mann ein Krieger zu Pferd war, musste die Hose stabil und elastisch sein. Der Stoff aus Köperbindung ist beides. Heute noch werden Jeans mit dieser Technik gewebt. Die Hose vereint alle vier in Ostasien bekannten Webtechniken, zwei davon kamen aus Westasien.  „Eine Innovation nützt die andere, um etwas Neues zu machen“, sagt Wagner. „Das ist die Stärke Eurasiens, das Wissen fließt hin und her.“

Ein Seidenkleid der Dame von Niya. Die Seide stammt aus dem Osten Chinas.

© Deutsches Archäologisches Institut

Noch deutlicher zu sehen ist das an der Dame von Niya, die 1995 entdeckt wurde und die mehrere Schichten von Kleidung übereinander trug. Spektakulär ist der auf 100 nach unserer Zeit datierte Seidenmantel, der wie eine Glocke zum Schwingen gebracht werden konnte. Dabei wurde der Volant aus 12,80 Meter langem cremefarbenem Seidenstoff mit Wollvlies gefüttert und auf eine Länge von 3,20 Meter wie eine Ziehharmonika gefaltet und vernäht.

Unter ihrem Seidenkleid trug die Dame aus Niya diese Wollhose. Charakteristisch für die Textiltechnik dieser Zeit sind fließenden Farbübergänge, die den Streifen wie gemalt erscheinen lassen.

© Deutsches Archäologisches Institut

Um Abfall zu vermeiden, wurde der ganze Mantel wie ein Puzzle zusammengenäht. Allein der Schalkragen mit Blende besteht aus 13 roséfarbenen Schnittteilen. Maßschneiderin Katrin Dilßner, die sonst für Filmproduktionen arbeitet, hat den Schnitt des Mantels mit den weiten und überlangen Ärmeln rekonstruiert.

Besonderheit dieses Mantels: Material und Modetrends werden zu etwas Neuem kombiniert. Die Seide stammt aus dem Osten Chinas, wurde jedoch vor Ort zu einer feinen Robe für eine zentralasiatische Dame verarbeitet. Er ist ein Symbol der Seidenstraße, die zu dieser Zeit florierte.

Unter diesem Mantel trug die Dame eine weite Wollhose, die oben weiß und rosa war und dann in jeansblaue Beine überging. Die Farbübergänge der Musterstreifen wirken wie gemalt. Große Webkunst für eine bequeme Reithose. „Wir sehen, dass damals Kleidung entwickelt wurde, die man noch tragen kann“, so Wagner.

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