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„avenidas“. Die Südfassade der Alice-Salomon-Hochschule.

© David von Becker/dpa

Update

Fassadenstreit in Berlin: Hochschule übermalt "avenidas" mit anderem Gedicht

Blumen und Frauen/Fassaden und Tafeln: Die Alice-Salomon-Hochschule fällt eine Entscheidung im Berliner Gedichtstreit. Dichter Eugen Gomringer reagiert mit einer lyrischen Pressemitteilung.

Im heftigen Streit um das Gedicht von Eugen Gomringer an der Fassade der Alice-Salomon-Hochschule (ASH) in Berlin-Hellersdorf ist eine Entscheidung gefallen. Der Akademische Senat der Hochschule beschloss auf seiner Sitzung am Dienstag, dass auf der Fassade im Zuge der sowieso anstehenden Sanierung im Herbst 2018 ein Gedicht der Lyrikerin Barbara Köhler angebracht wird. Köhler wurde im vergangenen Jahr mit dem Alice Salomon Poetikpreis ausgezeichnet. Alle fünf Jahre soll auf der Fassade dann ein Werk eines anderen Salomon-Preisträgers gezeigt werden.

Der Senat hatte die Wahl auf der Basis eines Online-Votums der Hochschulangehörigen getroffen. Bei der Abstimmung über mehrere Vorschläge waren auch ein Zitat von Alice Salomon und ein Gedicht der afro-deutschen Bügerrechtlerin May Ayim in die engere Wahl gekommen.

Das umstrittene Gedicht „avenidas“ von Gomringer soll auf einer Tafel in Spanisch, Deutsch und Englisch unterhalb von Köhlers Lyrik gezeigt werden. Die Tafel soll auch an die heftige Debatte über „avenidas“ erinnern. Uwe Bettig, der Rektor der ASH, erklärte: „An dieser Stelle möchten wir noch einmal betonen, dass wir größten Respekt vor Eugen Gomringer, seinem Schaffen und seinem Werk haben.“

Bettig habe den 93-Jährigen unmittelbar nach der Entscheidung angerufen, hieß es aus der ASH. Gomringer, dessen Gedicht „avenidas“ aus dem Jahr 1951 für die konkrete Poesie stilbildend wurde, hatte die Kritik daran zurückgewiesen. Der Künstler habe aber aufgeschlossen auf die Einladung der ASH reagiert, die Tafel mitzugestalten. Auch habe er sich offen für einen weiteren Besuch von ASH-Mitgliedern in seinem Kunsthaus in Rehau gezeigt.

"Unverständlich/und unverantwortlich"

Öffentlich reagierte Gomringer am Dienstag mit einer Pressemitteilung in Gedichtform: Das Gedicht „ciudad“ (Stadt)/von Eugen Gomringer,/das seit 2011/an der bestsichtbaren Außenwand /die Schönheit der Stadt/verkündet,/soll 2018/auf Beschluss der Gremien/der Alice Salomon-Hochschule/mit der Begründung/sexistisches Verhalten/zu fördern,/entfernt werden/vielen Bürgerinnen und Bürgern/Freundinnen und Freunden/der Dichtkunst/sind Begründung und/Eingriff in das/Verhältnis im sozialen Leben/zu Kunst und Poesie/unverständlich/und unverantwortlich/Vorbehaltlich eines Einspruchs wird deshalb gefordert, dass die ASH an dieser Außenwand im Format dreier Plakate nebeneinander anbringt: 1. Das Gedicht wird darauf präsentiert mit 2. einer klaren Begründung der Entfernung des Gedichts sowie 3. der Wiederholung der Begründung in englischer Sprache.

„Das ist ein Eingriff in die Freiheit von Kunst und Poesie“, sagte Gomringer außerdem der Deutschen Presse-Agentur. Er behalte sich rechtliche Schritte vor. Der Deutsche Kulturrat, Spitzenorganisation von 250 Bundeskulturverbänden, reagierte „erschüttert“.

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ASH-Prorektorin Völter sagte dem Tagesspiegel, es sei „unglücklich“, dass die Hochschule Gomringer in der Debatte „zu spät“ kontaktiert habe. Zwar hatte die ASH ihn ihrer Darstellung nach im Sommer 2016 über den Beschluss, sein Gedicht von der Fassade zu nehmen, zeitnah informiert. Doch erst im vergangenen September war die Hochschulleitung direkt auf ihn zugegangen, um ihn in das weitere Prozedere mit einzubeziehen. Gomringer habe dabei gesagt, die Studierenden sollten ihm ihre Kritik selbst erklären. Anfang November war daraufhin eine fünfköpfige Delegation der ASH nach Rehau gereist und hatte sich mit dem Ehepaar Gomringer ausgetauscht.

"Es erinnert unangenehm an sexuelle Belästigung"

Das Gedichtobjekt ist seit 2011 an der Fassade der Alice-Salomon-Hochschule in Berlin-Hellersdorf zu sehen. Gomringer hat sich damit bei der ASH für den Alice Salomon Poetik Preis bedankt. Die Übersetzung aus dem Spanischen lautet: Alleen/Alleen und Blumen/Blumen/Blumen und Frauen/Alleen/Alleen und Frauen/Alleen und Blumen und Frauen und/ein Bewunderer.

Der Akademische Senat hatte sich im Sommer 2016 für eine Neugestaltung der Fassade ausgesprochen, nachdem der Asta das Gedicht an diesem Platz in Frage gestellt hatte. Es reproduziere „nicht nur eine klassische patriarchale Kunsttradition, in der Frauen* ausschließlich die schönen Musen sind, die männliche Künstler zu kreativen Taten inspirieren, es erinnert zudem unangenehm an sexuelle Belästigung, der Frauen* alltäglich ausgesetzt sind“. Die Entscheidung der Hochschule, sich von dem Gedicht zu trennen, war in den Feuilletons massiv kritisiert worden.

Thomas Wohlfahrt vom Haus der Poesie, das den Poetikpreis der ASH bislang mitveranstaltet hat, sagte auf Anfrage, der Preis bleibe „in höchstem Maße denunziert“, da die Hochschulleitung sich nicht bei Gomringer für die „skandalöse“ Behauptung entschuldigt habe, das Gedicht sei sexistisch. Das Haus der Poesie werde sich an der Preisverleihung nicht mehr beteiligen. „Die ASH sollte in Zukunft lieber die Hände von der Kunst lassen“, sagte Wohlfahrt.

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