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Der Generalstab des Kaisers Wilhelm II. Anlass der Schmutzkampagne Hardens war dessen Sorge, Deutschland würde ,verweichlichen’.

© imago/Arkivi

Kaiser-Klatsch vor dem Ersten Weltkrieg: Wie ein Publizist Einfluss nehmen wollte

Der Autor Maximilian Harden begann 1906 eine homophob motivierte Kampagne gegen den Beraterkreis von Wilhelm II. So gelang es ihm, eine Karriere zu zerstören. Über einen Vorreiter der Boulevardpresse.

Von Sebastian Kretz

Im November 1906 entschließt sich Maximilian Harden, ein Feuer zu legen. Es wird in den höchsten Kreisen des Deutschen Reichs brennen, ganz nah am Kaiser lodern. Harden zündelt nicht mit Benzin oder Schwarzpulver. Harden zündelt mit seinem Wissen: Indem er in seiner Zeitschrift „Die Zukunft“ die engsten Berater des Kaisers als homosexuell outet, will er die Politik des mächtigsten Landes auf dem Kontinent drehen – gegen Frankreich und Großbritannien. Sein Plan ist größenwahnsinnig. Gleichzeitig ist er absolut realistisch.

Es ist eine Zeit des Aufbruchs – und der Ungewissheit. Das geeinigte Deutsche Reich wird regiert von Kaiser Wilhelm II., mit Mitte Vierzig eines der jüngeren Staatsoberhäupter Europas. Deutschland, Industrienation geworden, sieht sich als kommende Weltmacht. Seit Wilhelm 1890 den mächtigen Kanzler Bismarck entließ, bestimmt er den Kurs der Regierung zunehmend selbst, etwa in der Außenpolitik: Zwischen 1904 und 1906 bestätigt er mehrfach, in Marokko keine kolonialen Absichten zu verfolgen. Aus Sicht nationalistischer Kritiker hat er damit dem Rivalen Frankreich, der bereits große Teile Nordwestafrikas beherrscht, ein Geschenk gemacht.

Einer der Lautstärksten unter diesen Kritikern ist Maximilian Harden: 1861 in Berlin als Felix Ernst Witkowsky geboren, verkörpert er einen neuen Typ Journalist. Seine „Zukunft“ ist eine der modernsten, mutigsten und mächtigsten deutschen Zeitschriften. Während sich die Konkurrenz meist darauf beschränkt, der Regierung Recht zu geben, blickt Harden in die USA, nach Großbritannien und Frankreich.

Maximilian Harden war ein international bekannter Intellektueller des Kaiserreichs. War sein Vorbild der Investigativjournalismus in den USA, wurde er am Ende vielmehr zum Vorreiter der Boulevardpresse.

© imago/United Archives International

Dort recherchieren Zeitungsleute investigativ, decken Skandale auf, kritisieren die Mächtigen unverhohlen. Gleichzeitig entwickeln sie den Boulevardjournalismus, zieren sich nicht, Details aus dem Privatleben Prominenter zu veröffentlichen. Ihnen eifert Harden nach. Publizistisch flexibel, veröffentlicht er etwa Artikel der frühen Feministin Helene Stöcker, stürzt sich gern in feuilletonistische Streits um Literatur und Theater.

Maximilian Harden: ein Intellektueller und ein Machtmensch

Harden ist einer der bekanntesten Intellektuellen des Reichs. Wenn ausländische Zeitungen sich Deutschland erklären lassen wollen, befragen sie häufig ihn. Er lässt sich gern an seinem Schreibtisch vor einem Bücherregal fotografieren und starrt mit seinem stechenden, stets etwas vorwurfsvollen Blick in die Kamera. Der Machtmensch Harden, beinahe krankhaft arrogant, betreibt Journalismus nicht, um die Wahrheit ans Licht zu bringen, zumindest nicht allein deshalb. Er will die Politik beeinflussen, durchaus auch unter Druck setzen.

Wilhelm mag er nicht. Otto von Bismarck dagegen, der in den Jahren der Reichseinigung kühle Machtpolitik betrieb, verehrt er, wünscht sich ein entschlosseneres internationales Auftreten Deutschlands. Im Herbst 1906 beschließt er einzugreifen. Den Herrscher selbst darf er allerdings nicht zu beherzt kritisieren. Sonst läuft er Gefahr, wegen Majestätsbeleidigung zu jahrelanger Festungshaft verurteilt zu werden. Harden muss Wilhelm indirekt angreifen.

Ein paar Dutzend Kilometer nördlich von Berlin, in einer Seenlandschaft nahe der Havel, liegt Schloss Liebenberg, ein Herrenhaus mit verspielten Giebeln und Türmchen. Es gehört Philipp zu Eulenburg, einem Diplomaten Ende 50 aus preußischer Junkersfamilie. Regelmäßig lädt Eulenburg zur Jagd auf seinen Landsitz. Zu den Stammgästen gehören Kuno von Moltke, Stadtkommandant von Berlin, oder die Brüder Dietrich und Georg von Hülsen-Haeseler, der eine General, der andere Intendant der preußischen Staatstheater. Aber der wichtigste Gast heißt Friedrich Wilhelm Viktor Albert von Preußen: der Kaiser selbst. Eulenburg gilt als sein Vertrauter, gar Mentor.

Die Männer kommen nach Liebenberg, um Hirsche zu schießen. Sie sitzen aber auch beisammen, musizieren, lassen sich unterhalten. Sie verreisen sogar gemeinsam. Diese Nähe des so genannten Liebenberger Kreises zum Kaiser, sein möglicher Einfluss auf ihn, wirft Fragen auf: Bilden Eulenburg, Moltke und die anderen eine Kamarilla, eine mächtige nichtoffizielle Geheimpartei, die den Kurs der Reichsregierung bestimmt? Sind sie es, die Wilhelm einflüstern, etwa den Franzosen gegenüber so nachgiebig zu sein?

Die Ex-Frau von Moltke spielte ihm seine Briefe zu

Über Harden erzählt man sich, er besitze in seinem Haus im Berliner Südwesten, das er kaum je verlässt, einen Zettelkasten, in dem er vertrauliche Informationen sammle, die das Reich aus den Fugen heben könnten. Den Inhalt der Dokumente, die er nun in die Hände bekommen hat, hält er allerdings nicht lang geheim: Die frühere Frau des Stadtkommandanten Moltke hat Harden mehrere Briefe ihres Ex-Mannes an Eulenburg zugespielt. Aus diesen lässt sich wohl lesen, dass die beiden Männer eine Affäre miteinander pflegen. Und dass sie den Kaiser ihr „Liebchen“ nennen.

Anfang des 20. Jahrhunderts steht eine mehrjährige Gefängnisstrafe auf ausgelebte Homosexualität. Kein Mann in den so genannten besseren Kreisen könnte es sich erlauben, offen schwul zu leben. Harden erkennt sofort, welche Waffe er da in den Händen hält: Die in seinen Augen Verantwortlichen für eine verweichlichte, ‚unmännliche‘ Außenpolitik sollen auch noch homosexuell sein!

Am 17. November 1906 bringt Harden in der „Zukunft“ den ersten Text seiner Kampagne. Noch bleibt er vage, schreibt lediglich, die Männer aus Wilhelms Entourage würden „von sichtbaren und unsichtbaren Stellen aus Fädchen spinnen, die dem Deutschen Reich die Atmung erschweren“. Andere Blätter springen auf, echauffieren sich über die, so der Tonfall, ‚effeminierte‘ preußische Elite.

Mit einem Theaterstück will er der Kaiser-Entourage schaden

Harden legt nach, denkt sich die Miniatur eines Theaterstücks aus, in dem ein „Harfner“ und ein „Süßer“ – für Zeitgenossen leicht erkennbar als Eulenburg und Moltke – über das „Liebchen“, den Kaiser, sprechen. Den Verdacht, dass die Genannten homosexuell seien, führt er nicht aus; schon die Wahl der Namen genügt als Anspielung. Im selben Text droht er der Kamarilla unverhohlen, Details zu veröffentlichen.

Ich werde mich freuen, wenn das Grüppchen das politische Geschäft aufgibt.

Maximilian Harden im Dezember 1906

In den Salons des politischen Berlin, erst recht am kaiserlichen Hof, gibt es kaum ein anderes Gespräch als die Kampagne in der „Zukunft“. Harden erhöht den Druck. Im Dezember erhebt er unverblümt die Forderung nach Eulenburgs und Moltkes Rücktritt. Er werde sich freuen, schreibt Harden, „wenn das Grüppchen (…) das politische Geschäft aufgibt“.

Welche Gefahr der Vorwurf der Homosexualität in dieser Zeit darstellt, zeigt das Tempo, in dem Harden seinen Willen bekommt: Noch im Dezember verlässt Eulenburg Berlin, kehrt allerdings schon einige Wochen darauf wieder zurück. Prompt nimmt Harden seine Kampagne wieder auf, wird nun – mit Bezug auf die deutsche Außenpolitik – explizit: „Die träumten nicht von Weltbränden; haben’s schon warm genug“, raunt er in der „Zukunft“. Bald darauf unterstellt er Eulenburg offen eine „nicht gesunde vita sexualis“.

Wohl erst am 2. Mai erfährt Wilhelm von dem Aufruhr, in dem sich die politische Klasse seines Reichs seit Monaten befindet. Er fordert Eulenburg und Moltke auf, sich zu erklären. Diskretion ist nun nicht mehr möglich, die Juristen betreten das Feld: Moltke verklagt Harden wegen Beleidigung und übler Nachrede, es folgen drei Prozesse, die sich bis ins Frühjahr 1909 hinziehen. Eulenburg schwört zweifach unter Eid, keine homosexuellen Handlungen begangen zu haben.

Mit einem Trick gelingt es ihm, Eulenburg zu vernichten

Wie trickreich Harden vorgeht, zeigt eine List, mit der er Eulenburg daraufhin vor ein Gericht außerhalb der kaisernahen preußischen Justiz zerrt. Er beauftragt einen Münchner Journalisten, ihn – Harden – gezielt zu verleumden. So kann er den Komplizen, den er später entschädigt, vor einem bayerischen Gericht verklagen. Den Prozess nutzt Harden, um einen Starnberger Fischer, der mit Eulenburg bekannt war, als Zeugen laden zu lassen. Dieser wiederum schwört unter Eid: „Wenn wir wo hingefahren sind, haben wir die ,Lumperei’ gemacht.“

Eulenburg ist vernichtet. Sogleich beginnen gegen ihn Verhandlungen wegen Meineids. Dem Urteil entgeht er nur, weil er so schwer krank ist, dass er sich kaum noch fortbewegen kann. Auf ein ärztliches Gutachten hin wird der Prozess abgebrochen. Den Rest seines Lebens verbringt er zurückgezogen in Liebenberg, seine adligen Freunde werden dort kaum noch gesehen.

Moltke Homosexualität nachzuweisen, gelingt Harden dagegen nicht. Im April 1909 wird er zu einer Geldstrafe verurteilt, soll die Prozesskosten tragen. Als er androht, in Revision zu gehen, zeigt sich, welche Macht inzwischen sein bloßes Wort hat. Einflussreiche Persönlichkeiten wie Reichskanzler Bernhard von Bülow schalten sich ein, um Harden von einem weiteren Rechtsstreit abzuhalten. Dieser erhält die Prozesskosten von 40.000 Reichsmark – zu dieser Zeit eine enorme Summe – aus der Staatskasse erstattet und bekommt schriftlich bestätigt, er habe aus patriotischen Motiven gehandelt.

Die Affäre ist beendet. Aber ihre Wirkung hat erst begonnen. Nicht nur hat sich der Kaiser von seiner Kamarilla abgewandt. Noch im Sommer 1909 entlässt er auch Bülow, der als Freund Eulenburgs gilt. Der neue Kanzler, Theobald von Bethmann Hollweg, ist zwar selbst kein Kriegstreiber. Aber unter seiner Regierung wird die deutsche Außenpolitik aggressiver (freilich ist Hardens Kampagne nur einer von vielen Auslösern für diesen Wandel). Als es 1911 erneut zu einer Krise in Marokko kommt, befiehlt Wilhelm persönlich, das deutsche Kanonenboot „Panther“ nach Agadir zu schicken. Drei Jahre später stürzt sich das Deutsche Reich begeistert in den Ersten Weltkrieg.

Der berüchtigte Paragraf 175 übrigens, der Homosexualität unter Strafe stellt, hat noch erschreckend lange Bestand: Nachdem die Nationalsozialisten ihn verschärften, bleibt er in beiden deutschen Nachkriegsstaaten – wenn auch in immer weniger drastischer Form – in Kraft. Die DDR schaffte den Paragrafen 1968 ab, führte aber höhere Schutzaltersgrenzen für homosexuelle Kontakte ein, die erst einige Monate vor dem Mauerfall aufgehoben wurden. Die Bundesrepublik, das Land der unantastbaren Menschenwürde, lässt sich mit der Abschaffung des Paragrafen 175 noch bis 1994 Zeit.

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