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Bei einer Sommerschule - hier zum Thema Ernährung - sitzen Kinder in einem Bus und blicken auf eine zartgrüne Pflanze in einem Blumentopf.

© Doris Spiekermann-Klaas

Private Nachhilfe-Institute in der Coronakrise: Abgehängte Schüler sind ihr Geschäft

Nachhilfe-Institute helfen, Versäumtes aufzuholen. Das tun sie verstärkt in der Coronakrise. Aber an der Berliner Sommerschule werden sie kaum beteiligt.

Die Republik ruft nach Sommerschulen. In Delmenhorst und Göttingen, Kaiserslautern und Hannover verlangen die Stadtparlamente danach. Der Stadtstaat Bremen zweifelt noch, Hamburg plant bereits „Lernferien“ für benachteiligte Schüler, Schleswig-Holstein bereitet den „Lernsommer.SH 2020“ vor. Berlin hat mit seiner flächendeckenden Sommerschule bislang bundesweit die Nase vorn. Es gibt ein Konzept und einen Träger, der das breit angelegte Lernen in den Ferien umsetzt – auch für die Herbstferien.

Aber so ausgefeilt die Berliner Ideen auch sein mögen: Es bleibt die Frage, warum Schulsenatorin Sandra Scheeres (SPD) nicht auch das tut, was sie von Anfang an angekündigt hatte – nichtstaatliche Anbieter stärker einzubeziehen. Denn Nachhilfeinstitute könnten Sommerschule aus dem Stand.

Die Berliner Sommerschule richtet sich an Schüler in wichtigen Lernphasen. Dazu gehören Erst- und Zweitklässler sowie die Jahrgangsstufen 7 bis 9, in denen Abschlüsse, Übergänge und Schulwechsel bevorstehen . Wer die Sommerschule besuchen soll, wird von Lehrkräften empfohlen, bindend ist das aber nicht. Umgekehrt können Eltern ihre Kinder auch ohne Lehrerempfehlung in die Sommerschule schicken.

[Lesen Sie auch unseren Überblick über die Pläne der Bildungsministerien für die Zeit vor, während und nach den großen Ferien]

„Das war der Schulsenatorin besonders wichtig“, erzählt Ulrike Becker, Grundschulreferentin im Senat und eine bundesweit angesehene Pädagogin.

Gleichwohl stehen den Eltern von potenziellen Kandidaten intensive Gespräche mit den Lehrkräften bevor. Sie sollen in die Schulen zitiert werden, um die Teilnahme ihrer Kinder dringend zu empfehlen. Insgesamt hatte Berlins Schulverwaltung dabei 12.000 Kinder und Jugendliche im Visier, angemeldet haben sich bis zum Stichtag am 12. Juni rund 10.000.

[Alle aktuellen Entwicklungen in Folge der Coronavirus-Pandemie finden Sie hier in unserem Newsblog. Über die Entwicklungen speziell in Berlin halten wir Sie an dieser Stelle auf dem Laufenden]

In den dreiwöchigen Kursen, die am Anfang oder am Ende der Sommerferien stattfinden, geht es dann vorrangig um Lücken in Mathematik, Deutsch und Englisch.

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Studien geben Scheeres Recht, das Konzept so entschlossen voranzutreiben. Über ein Drittel der teilnehmenden Schüler und Schülerinnen von Sommerschulen profitieren langfristig in ihren Leistungen. Das haben Begleitforschungen belegt, etwa bei Summercamps in Baden-Württemberg, die es punktuell seit einigen Jahren gibt. Die spektakulärste Untersuchung machte Pisa-Papst Jürgen Baumert von einer Sommerschule für benachteiligte Kinder in Bremen im Jahr 2004.

In drei Wochen Sommerschule so viel gelernt wie sonst in einem halben Jahr

Ergebnis: In drei Wochen Sommerschule lernen Kinder so viel wie einem halben Jahr Schulunterricht. Die damals vom Berliner Max-Planck-Institut für Bildungsforschung evaluierte Sommerschule der privaten Schweizer Jacobs-Stiftung war allerdings komplett freiwillig.

[Lesen Sie hier unser Interview mit dem Hamburger Bildungsforscher Rolf Strietholt, der eine Sommerschule wissenschaftliche begleitet hat. Bei Hilfen für abgehängte Schüler*innen setzt er heute eher auf Ganztagsschulen]

Das Problem der Kultusbürokratie ist indes, dass sie sich häufig schwertut, anspruchsvolle Konzepte von hoch droben im Ministerium bis nach unten in die Schulen durchzusetzen. In Hamburg etwa verweigerte sich die GEW genau wie Schulleiter, die von Schulsenator Ties Rabe (SPD) vorgeschlagenen Lernferien von regulären Lehrerinnen und Lehrern ausführen zu lassen.

In Berlin gerieten viele beteiligte Akteure ins Handgemenge

Auch in Berlin gerieten, kaum hatte die Schulsenatorin die Sommerschulen verkündet, die vielen beteiligten Akteure ins Handgemenge: Schulverwaltung, die ausführende „Technische Jugendfreizeit- und Bildungsgesellschaft“, die Schulen, diverse Nachhilfeinitiativen sowie die bunte Truppe von Ersatzlehrkräften, Pensionären und Masterstudierenden – sie alle wollten unter einen Hut gebracht werden.

In der kurzen Zeit zwischen Ankündigung der Sommerschule und dem Ablauf der Anmeldefrist am vergangenen Freitag etwa lehnte die Linke Sommerschulen ab – und forderte, stattdessen den Ferienhort zu stärken. Auch grüne Parlamentarier piesackten Scheeres’ Konzept mit kritischen Fragen.

Jungen und Mädchen sitzen in einem Klassenraum an einem großen Tisch und machen unter der Aufsicht von Lehrerinnen Schreibübungen.
An die Hand genommen. Deutsch-Sommerkurs in der Neuköllner Eduard-Mörike-Grundschule (2012).

© Kitty Kleist-Heinrich

Spricht man mit den Instituten, egal ob Präsenz-Einrichtungen oder Online-Anbietern, wird schnell klar: Während die Kultusminister etwa der in Bremen, Thüringen oder Sachsen-Anhalt noch laut über Corona-Nachhilfe im Sommer grübeln, sind Unternehmen wie „Lernwerk“, „Schülerhilfe“ oder „Sofatutor“ längst losgelaufen.

Ihr Vorteil: Sie können alle Akteure aus einer Hand anbieten, ihr Kursprogramm steht – inklusive Lernstandsdiagnosen, hybridem On- und Offline-Lernen und viel Erfahrung. Also allem, was Schüler brauchen, die in der Zeit der Schulschließungen zurückgefallen sind. Am 29. Juni beginnt die Sommerschule in der Hauptstadt. Mit an Bord wird dann unter anderen das kleine Berliner Institut Lernwerk sein. Die Vereinbarung kam aber nicht auf Initiative der Schulverwaltung zustande, sondern weil eine Reihe von Schulen die Dienste des Nachhilfeanbieters angefragt hatten.

Jugendliche Geflüchtete spielen und kommunizieren mit einem Erzieher im Lichthof eines Gebäudes.
Punktuelle Erfahrungen mit Sommerschulen gibt es in Berlin einige - hier ein Sommercamp für jugendliche Flüchtlinge 2017.

© Kitty Kleist-Heinrich

Das Konzept des Lernwerks richtet sich an die Zielgruppe von Schulvermeidern. „Der Unterricht einer Sommerschule ist dann gut, wenn die Lernenden spüren, dass sie selbst etwas machen“, sagt Swantje Goldbach, die Gründerin des Lernwerks. „Wir verstehen unsere Arbeit als Anleitung zum Selbsttun.“

Während der Schulschließungen 20.000 Kursstunden im Netz

Das Lernwerk unterrichtet in Berlin und Umgebung rund 2500 Schüler. Während der coronabedingten Schulschließung verlegte es sein Angebot komplett ins Netz – mit 20.000 Kursstunden. In den Osterferien öffnete das Unternehmen die Videokonferenzen seiner Lehrer für alle Schüler*innen – und zwar umsonst.

Für die bevorstehenden Ferien bietet das Lernwerk auch eine eigene Sommerschule an, darunter so genannte Vorbereitungskurse. „In diesem Kurs beseitigen wir alle Coronalücken und machen in nur zwei Wochen fit für das neue Schuljahr“, verspricht der Werbeflyer. Der Kurs dauert 90 Minuten täglich. Das Tagespensum der Sommerschule des Landes ist doppelt so lang.

Unsere Berichte zu Schulschließungen und Homeschooling

Bereitstehen würde auch die „Schülerhilfe“, eine bundesweit agierende Firma, die 120.000 Nachhilfeschüler betreut. „Wir könnten aus dem Stand mit den Schulen zusammenarbeiten und 90 Prozent des Lehrplans abdecken, der in den Bundesländern gilt“, sagt Sprecherin Marion Lauterbach. Allerdings, so merkt sie an: „Wir sind ein Unternehmen, bei den Schulbehörden sind wir daher eher geduldet, als wohlgelitten.“ Auch die Schülerhilfe hätte dem Berliner Senat bei seiner Sommerschule helfen können. Eine offizielle Anfrage dazu aber gab es bisher nicht – obwohl Scheeres im April betont hatte, sie wolle auch freie Träger einbeziehen.

Stephan Bayer, Gründer von Sofatutor, ist hin- und hergerissen. Er findet es einerseits „eine richtig coole Idee von Frau Scheeres, eine Sommerschule anzubieten“. Andererseits sieht er mit Stirnrunzeln auf das bundesweite Hickhack um Schulöffnungen und Lernformen.

Ein Porträtbild von Stephan Bayer, der vor drei Bildschirmen an einem Schreibtisch sitzt.
Stephan Bayer, der Gründer und Geschäftsführer von sofatutor.

© Doris Spiekermann-Klaas

„Mir geht es darum, ein Konzept guten Lernens für die Schüler auf die Straße zu bringen, die beim Homeschooling hinten runter fielen“, sagt er. Das klingt so, als würde Bayer am liebsten gleich loslegen. Und er könnte es wohl auch. Sofatutor, ein Online-Lerninstitut, das es seit 2008 gibt, hat damit Erfahrung. 300.000 Familien greifen bundesweit auf die Kurse von Sofatutor zu.

Während der coronabedingten Schulschließung hat sich die Zahl der Zugriffe auf die Webseite von Sofatutor auf 1,5 Millionen vervierfacht – pro Woche.

In Bremen bestückt Sofatutor die offizielle Lernplattform

Sofatutor hat den Schritt vom Nachmittagsanbieter ins staatliche Schulsystem bereits vollzogen. In Bremen liefert das Berliner Unternehmen seit 2018 lehrplanorientierte Inhalte für das Lernmanagementsystem des Stadtstaats. Spricht man mit Stephan Bayer, so glaubt man eher den Streetworker zu hören, der er früher war, als den heutigen Gesellschafter eines Unternehmens mit 250 Mitarbeitern.

Bayer sprudelt nur so vor pädagogischen Ideen für die Zielgruppe der Abgehängten. Bei Sofatutor etwa gibt es nicht nur 11.000 Lernclips, die jeweils an Inhalte in Lehrplänen andocken. Der Online-Dienst bietet auch Sprechstunden an. „Unsere Schüler*innen können jederzeit einen unserer 60 Präsenzlehrer online fragen, wenn sie etwas nicht verstehen.“ Schüler, die nicht weiterwissen, das ist jene Klientel, die jetzt auch in der Berliner Sommerschule im Mittelpunkt steht.

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