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Indonesien ist der größte Palmölproduzent weltweit und die tropischen Wälder, die den Plantagen weichen, gehören zu den artenreichsten Lebensräumen der Erde.

© picture alliance/dpa

Unsaubere Handelsbilanz: Europa exportiert Umweltprobleme in den globalen Süden

Umweltschutz ist mit dem Green Deal erklärtes EU-Ziel. Doch Lösungen für Umweltprobleme hier schaffen sie erst an anderer Stelle.

Vor einem Jahr, im Dezember 2019, hat die Kommission der Europäischen Union (EU) ein ehrgeiziges Maßnahmenpaket angekündigt. Das Ziel des „Green Deal“ genannten Vorhabens: Europa soll bis 2050 zum ersten klimaneutralen Kontinent werden, durch niedrigere Kohlenstoffemissionen, umweltfreundlichen Verkehr, erneuerbare Energie, Recycling und grünere Land- und Forstwirtschaft.

Angestrebt wird, den Einsatz von Düngemitteln um 20 Prozent und von Pestiziden um 50 Prozent zu reduzieren, bis 2030 ein Viertel der Agrarfläche ökologisch zu bewirtschaften und den Rückgang von Bestäubern, wie Bienen, zu stoppen. Geplant ist zudem, drei Milliarden Bäume zu pflanzen und 25 000 Kilometer Flüsse wieder frei fließen zu lassen.

Die EU will „dem Rest der Welt zeigen, wie man nachhaltig und wettbewerbsfähig sein kann“, so Ursula von der Leyen, Präsidentin der EU-Kommission.

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Ökologische Lebensversicherung

In einem Gastbeitrag für das Fachmagazin „Nature“ haben Geoökologen um Richard Fuchs vom Karlsruhe Institute of Technology dargelegt, wie sich Europa seine Umweltpolitik schönredet. Vor allem der Import landwirtschaftlicher Produkte in die EU trage anderenorts zur Zerstörung der Tropenwälder bei.

Damit verlagert die EU das Problem der Landnutzung auch in Sachen Biodiversität in die Länder des globalen Südens, wo weiterhin im rasanten Tempo die Artenvielfalt zerstört wird. Denn je mehr wir Europäer vor allem Palmölprodukte und Sojabohnen einführen, desto mehr zerstören wir auch weiterhin die Schatztruhen des biologischen Reichtums dieser Erde.

Vor allem in den Tropen wird der Wald gerodet. Während zwischen 1990 und 2014 in Europa die Bewaldung um fast 13 Millionen Hektar zunahm, immerhin eine Fläche vergleichbar mit Griechenland, gingen in Staaten wie Brasilien, Argentinien und Indonesien 11 Millionen Hektar ursprünglicher Wald verloren. Mehr als die Hälfte dieser Entwaldung stand im Zusammenhang mit der Ölsaatenproduktion in Brasilien und Indonesien. Die großen zusammenhängenden und artenreichen Urwälder dieser Erdregionen sind nicht nur als Kohlenstoffsenken für die Eindämmung des Klimawandels entscheidend, sondern beherbergen auch die höchste Biodiversität.

Wir aber vernichten diese ökologische Lebensversicherung der Menschheit seit Jahrzehnten ungebremst, auch aufgrund der steigenden Nachfrage nach Millionen Tonnen Feldfrüchten und Fleisch, die Jahr für Jahr nach Europa kommen.

Nur China importiert mehr Agrarprodukte. Allein im vergangenen Jahr kaufte Europa anderswo auf der Welt ein Fünftel der pflanzlichen Produkte (118 Megatonnen) und.immerhin noch vier*Megatonnen der Fleisch- und Milchprodukte ein, die innerhalb der Grenzen verbraucht werden.

[*Hinweis: Die Zahl wurde am 6.1.2020 geändert aufgrund einer nachträglichen Korrektur der Fachartikel-Quelle]

Soja und Palmöl machen zusammen die Hälfte aller Pflanzenimporte der EU aus. 30 Prozent des Palmöls und 47 Prozent des Sojas stammen aus Brasilien, gefolgt von Argentinien und Indonesien.

Mit diesen Agrarimporten der EU sind mehr als ein Drittel der gesamten Entwaldung verknüpft, die seit 1990 im weltweiten Handel mit Nutzpflanzen stattgefunden hat. Dank dieser Importe aus Ländern mit weniger strengen Umweltgesetzen und kaum nachhaltiger Landwirtschaft können wir Europäer hierzulande weniger intensive Landwirtschaft betreiben. Dass Länder wie Deutschland Umweltpolitik zulasten anderer Länder betreiben, wurde unlängst eindrucksvoll im Spielfilm „Ökozid“ dargestellt.

Falsche Lorbeeren

Fuchs und Kollegen rechnen vor, wie wir unsere Umweltprobleme in den Bereichen Landwirtschaft und Artenschutz in den globalen Süden exportieren. Denn die EU-Handelsabkommen fordern nicht, dass die Importe nachhaltig produziert werden. In den vergangenen anderthalb Jahren hat die EU Abkommen mit Ländern wie Indonesien, Malaysia und den Vereinigten Staaten und auch dem südamerikanischen Handelsblock Mercosur unterzeichnet, der Brasilien, Argentinien, Paraguay und Uruguay umfasst. Die Abkommen decken fast die Hälfte aller eingeführten Feldfrüchte ab. Weitere Abkommen werden mit Australien und Neuseeland verhandelt. Nachhaltigkeit jedoch wird in jedem dieser Länder ganz unterschiedlich verstanden.

Während in der EU der Einsatz von Pestiziden und Herbiziden sowie genetisch veränderter Organismen streng reguliert oder gar verboten ist, verwenden allen voran Argentinien, Brasilien und Malaysia weiterhin ein Vielfaches an Giften und Dünger. Während die EU den Einsatz von Pestiziden – wie etwa Neonicotinoide, die auch bestäubende Insekten töten – jüngst limitiert hat, ist er bei acht ihrer zehn wichtigsten Handelspartner gestiegen: insbesondere in Brasilien, Argentinien und Malaysia auf mehr als vier, fünf und sechs Kilogramm pro Hektar gegenüber 3,5 Kilogramm in der EU.

Seit 2016 hat Brasilien 193 in der EU verbotene Pestizide zugelassen. Das Ausbringen von Herbiziden, darunter auch von in der EU mittlerweile beschränktem Glyphosat, hat sich bei einigen Kulturen in den USA im vergangenen Jahrzehnt verdoppelt. Ganz ähnlich ist auch der Einsatz von Düngemittel bei den Handelspartnern der EU gestiegen. In Brasilien etwa hat sich der Verbrauch seit 1990 auf fast 60 Kilogramm pro Tonne im Jahr 2014 verdoppelt.

Im Durchschnitt aller Exportländer sind es bei Sojabohnen 34 Kilogramm pro Tonne gegenüber 13 Kilogramm in der EU. Und während genmanipulierte Organismen in der EU-Landwirtschaft seit 1999 verboten sind, importiert Europa genetisch verändertes Soja und Mais aus Brasilien, Argentinien, den USA und Kanada.

Fleisch aus frisch gerodeten Waldgebieten

„Unterm Strich lagern die EU-Mitgliedstaaten Umweltschäden also in andere Länder aus, während sie gleichzeitig die Lorbeeren für grüne Politik im eigenen Land einheimsen“, so das Fazit der Geoökologen um Fuchs.

Daran wird auch der Green Deal nichts ändern, da er für den Außenhandel keine Ziele festlegt. Vielmehr bestimmt weiterhin ein Flickenteppich von Regeln und Standards – einige obligatorisch, andere freiwillig – die Nachhaltigkeit der Agrarimporte in die EU. So schreibt zum Beispiel eine erst 2018 überarbeitete Richtlinie vor, dass Ölsaaten wie Sojabohnen nicht von kürzlich abgeholzten Flächen stammen dürfen. Doch die Richtlinie ignoriert Flächen, die vor 2008 gerodet wurden. Damit gelten der EU auch landwirtschaftliche Betriebe als „nachhaltig“, die erst vor kaum mehr als einem Jahrzehnt auf Flächen einstiger Urwälder geschaffen wurden. Im brasilianischen Amazonasgebiet und im Cerrado gehören dazu neun Millionen Hektar Land, das zwischen 1990 und 2008 abgeholzt wurde. Der Grund: Die steigende Nachfrage der EU nach Soja für Tierfutter und Biodiesel, die sich über die vergangenen drei Jahrzehnte verdoppelt hat.

Während wir in Europa mit sieben Prozent der Anbaufläche für Raps, Sonnenblumen und Oliven nur vergleichsweise wenige Ölsaaten produzieren, stammen 90 Prozent unserer Importe aus acht Ländern, hauptsächlich aber aus Brasilien. Zertifikate, wie sie etwa vom Europäischen Verband der Mischfutterhersteller FEFAC herausgegeben werden, finden sich nur bei 22 Prozent der in Europa verwendeten Sojabohnen. Nur 13 Prozent wurden als entwaldungsfrei zertifiziert, so Fuchs und Kollegen in ihrem Bericht.

Zudem wird jährlich Rindfleisch im Wert von 500 Millionen US-Dollar aus Brasilien in die EU importiert, geliefert größtenteils von Agrarunternehmen, die Fleisch aus frisch gerodeten Waldgebieten beziehen. „Landwirtschaftliche Praktiken, die in Europa eingeschränkt sind, sind bei Importen ausdrücklich erlaubt und werden nicht einfach übersehen“, so die Forscher.

Einschränkungen des Konsums

Sie empfehlen der EU Maßnahmen, damit der „Green Deal“ seinem Namen gerecht wird. Dazu zählen eine bessere Abschätzung der globalen Auswirkungen des Agrarhandels im Sinn der Nachhaltigkeit einschließlich einer Reduzierung von Entwaldung und des Einsatzes von Pestiziden und Düngemitteln. Zudem gelte es, die Umwelt- und Nachhaltigkeitsstandards für Importe und einheimische Produkte anzugleichen sowie ein klares Zertifizierungs- und Kennzeichnungssystem zu fördern.

Kritisch sieht das Team um Fuchs auch die Produktion von Biodiesel. Unter anderem die Einbeziehung von zehn Prozent Biokraftstoff bei Diesel bis Ende 2020 war eine der wichtigsten Triebkräfte für einen Anstieg der Sojaimporte aus Brasilien, um zwei Prozent im letzten Jahr.

Vor allem aber würden Importe zurückgehen, wenn wir Europäer weniger Fleisch und Milchprodukte konsumierten. Gerade im Agrarbereich ist die Kopplung von Konsum und Umweltzerstörung eine gesellschaftliche Herausforderung, da die EU-Agrarpolitik jahrzehntelang zu einer immer größeren Abhängigkeit von Importen aus Ländern wie Brasilien und Indonesien geführt hat.

Auch deshalb fordern die Autoren des Berichts, die eine nachhaltige Intensivierung und neue landwirtschaftliche Technologien in der EU befürworten, dass ein Teil der in Europa aufgegebenen Flächen, etwa Gebiete mit geringerer Artenvielfalt oder nicht landwirtschaftlicher Nutzung, nun wieder der Landwirtschaft zugeführt werden. So könne der Druck auf die Tropen verringert werden.

Damit zeichnet sich jedoch ein Konflikt mit Forderungen von Natur- und Artenschützern ab, die mehr Flächen renaturieren und unter Schutz stellen wollen. Denn auch das gehört zu den Zielen des Green Deal: bis zum Jahr 2030 die Fläche geschützter Natur in Europa auf 30 Prozent zu verdoppeln, um die Biodiversität des Kontinents zu erhalten.

Der Evolutionsbiologe Matthias Glaubrecht ist Professor für Biodiversität der Tiere am Centrum für Naturkunde der Universität Hamburg. In seinem mit dem Salus-Medienpreis ausgezeichneten Buch „Das Ende der Evolution. Der Mensch und die Vernichtung der Arten“ beschreibt er ausführlich die Fakten und Befunde des Artenschwundes.

Matthias Glaubrecht

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