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Personen mit Hämophilie fehlen spezielle Eiweiße im Blut, Wunden verschließen sich daher nicht richtig.

© imago images/Kateryna_Kon

Weltpremiere in Berlin: Klinik behandelt Bluterkrankheit erstmals mit Gentherapie

Mit neuen Genen für gerinnungsfähiges Blut hat das Vivantes-Klinikum einen Patienten mit Hämophilie behandelt: Ein Novum für den Klinik-Alltag.

Viren machen uns zwar häufig das Leben schwer. Doch richtig programmiert haben sie großes Potenzial, defekte Gene im Körper zu ersetzen, etwa bei lebensbedrohlichen Erbleiden wie der Bluterkrankheit. Bei den Betroffenen verschließen die Blutplättchen eine Wunde zwar, aber sie kann immer wieder aufbrechen. Bei schweren Formen kommt es zu spontanen Blutungen ohne sichtbare Wunden oder zu dauerhaften Einblutungen im Bereich der Gelenke.

Gegen eine solche schwere Form der „Hämophilie A“ genannten Krankheit wurde am Mittwoch weltweit erstmals im klinischen Regelbetrieb eine Gentherapie eingesetzt. Das Mittel wurde am Vivantes-Klinikum in Berlin-Friedrichshain einmalig als Infusion in die Vene verabreicht.

Es enthält das Gen für ein Eiweiß, das dem Betroffenen fehlte – der sogenannte Gerinnungsfaktor VIII, der zusammen mit anderen Molekülen die Wunde zusammenzieht und die Blutung stillt.

Das Erbmaterial ist in gentechnisch veränderte Viren verpackt, die nicht vermehrungsfähig sind. Die Partikel steuern gezielt die Leber an und schleusen das funktionsfähige Gen in einige ihrer Zellen. Dort wird fortan der Gerinnungsfaktor produziert und ins Blut abgegeben. Damit sinkt das Blutungsrisiko in vielen Patienten erheblich.

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Mal wöchentlich müssen sich Betroffene das fehlende Eiweiß normalerweise spritzen

„Um den Mangel an Faktor VIII auszugleichen, mussten sich Patienten mit Hämophilie A bislang regelmäßig spritzen, meist zwei- bis dreimal in der Woche“, sagt Robert Klamroth, Chefarzt am Hämophiliezentrum der Klinik. „Durch die Gentherapie kann das häufige Spritzen eine Zeitlang überflüssig werden.“

Da es manchmal wegen einer Immunreaktion gegen das Virus zu Leberschäden kommen kann, wird die Leberfunktion des Patienten in den nächsten sechs Monaten mit wöchentlichen Laborkontrollen überwacht, teilt das Klinikum auf Anfrage mit.

Erst dann könne der Erfolg der Therapie bewertet werden. Das Hämophiliezentrum sei bereits an mehreren Gentherapie-Studien zu der Erkrankung beteiligt gewesen.

Mit Gentechnik ans Ziel

Das Arzneimittel mit dem Namen „Roctavian“ stammt vom US-Unternehmen Biomarin und enthält als Gen-Vehikel adenoassoziierte Viren – also Viren, die nur dem Transport dienen. Im August 2022 wurde es EU-weit als das erste Gentherapeutikum zur Behandlung von schwerer Hämophilie A zugelassen, allerdings unter Vorbehalt: Als Arzneimittel für seltene Leiden („Orphan Drug“) ist seine Bewertung durch die Behörden noch nicht abgeschlossen.

Da die Gene nicht fest in das Erbmaterial der Behandelten eingebaut wird, könnten sie mit der Zeit verloren gehen. Studien zeigen jedoch positive Effekte über einen Zeitraum von zwei, in manchen Fällen sogar bis zu fünf Jahren. Langzeitbeobachtungen fehlen aber noch.

Hämophilie A ist die häufigste Form der Bluterkrankheit und betrifft als x-chromosomale Erbkrankheit vor allem Männer. Sie verfügen über nur eine Kopie des Chromosoms und können einen Verlust des Gens für den Gerinnungsfaktor VIII nicht ausgleichen. In Deutschland sind schätzungsweise 5000 Patienten betroffen. Frauen können die Erkrankung übertragen und an einer leichten Form erkranken.

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