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Atemhilfe. Sinkt die Sauerstoffkonzentration im Blut von Covid-19-Patienten bedrohlich, bleibt Ärzten oft nicht anderes übrig, als sie zu intubieren und künstlich zu beatmen. Umstritten ist, wann dafür der richtige Zeitpunkt ist. Foto: Mauro Scrobogna/LaPresse/ZUMA Press/dpa

© dpa

Zu viel der gut gemeinten Beatmung?: Experten streiten, ab wann Covid-19-Kranke beatmet werden sollen

Bislang wurde eher frühzeitig intubiert, um Sauerstoffnot bei Covid-19-Patienten zu verhindern. Aber diese Behandlungspraxis steht in der Kritik.

Die Frage, wie schwerkranke Covid-19-Patienten beatmet werden sollten, ist für die aktuelle Pandemie von zentraler Bedeutung. Sowohl weil das für ihr Überleben mit entscheidend ist – aufgrund fehlender Wirkstoffe gegen das Sars-CoV-2 genannte Virus – als auch weil die Anzahl der benötigten Intensivbetten mit Atemgeräten eine der zentralen Orientierungsgrößen für die Justierung der Distanzierungsmaßnahmen ist, wie der Deutsche Ethikrat kürzlich in einer Stellungnahme betonte.

Bislang wurde die Kapazitätsgrenze in Deutschland, anders als lange in Wuhan, Norditalien oder im Elsass, nicht erreicht: Dem deutschen Intensivregister nach waren am Wochenende noch über 11.000 Intensivbetten frei.

Beatmet werden in den Kliniken etwa drei von vier Covid-19-Patienten. Doch nach Einschätzung vieler Experten ist der bislang verfolgte Ansatz falsch, er gefährde auch das Leben von Patienten.

Diskussion um den richtigen Zeitpunkt

Bislang vertraten insbesondere Verbände von Anästhesiologen, dass jene mit schwerer Lungenentzündung frühzeitig intubiert und invasiv beatmet werden sollten, da sich der Zustand der Patienten rasch verschlechtere. Die Intubation sollte durch nichtinvasive Beatmung etwa mit Masken „nicht verzögert werden“.

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Beim Einsatz der Masken sowie durch die Gabe von viel Sauerstoff würden „in einem hohen Maße“ Aerosole freigesetzt, über die Personal mit dem Virus infiziert werden kann.

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Doch aus der chinesischen Stadt Wuhan, aus Norditalien, Großbritannien und den USA wurden nur schlechte Überlebensraten nach invasiver Beatmung gemeldet: 30, 50 oder sogar 80 Prozent der intubierten Patienten verstarben demnach. Noch ist nicht genau genug untersucht, woran das liegt: Die invasiv beatmeten Patienten hatten oft auch vorher schon einen schlechteren Verlauf als andere, und in den Ländern kam es zu erheblichen Überlastungen des Gesundheitswesens.

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„Die meisten von uns glauben, dass Intubationen vermieden werden sollten, bis sie eindeutig nötig sind“, zitierte die „New York Times“ den Notarzt Reuben Strayer vom Maimonides Medical Center in New York.

Diese Art der Beatmung ist zwar teils notwendig, um Leben zu retten, doch sie hat auch erhebliche Nachteile: Patienten werden über viele Tage sediert, sie haben erhöhte Risiken für zusätzliche bakterielle Lungenentzündungen, die Beatmung kann die Lunge schädigen und nach einer Besserung müssen sie von dieser entwöhnt werden.

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Solange es die Stabilität der Patienten erlaubt, solle mittels nichtinvasiver Verfahren beatmet werden, erklärte der Verband Pneumologischer Kliniken bereits Mitte März. Es gebe keine Hinweise, dass virale Lungenentzündungen unter invasiver Beatmung einen besseren Verlauf nehmen.

„Vielmehr ist damit zu rechnen, dass in der aktuellen Phase und insbesondere unter Berücksichtigung etablierter Regeln der Notfall- und Intensivmedizin zu viele Patienten zu früh intubierten werden“, erklärte der Verband. Nichtinvasive Verfahren seien „die primär zu bevorzugende Beatmungsform“.

Die Deutsche Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP) stellte nun am Freitag Empfehlungen vor, die in dieselbe Richtung gehen: Patienten sollten zunächst vermehrt Sauerstoff erhalten oder mittels einer Maske beatmet werden, bevor sie, falls nötig, intubiert werden.

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Dieser Schritt solle weder zu früh noch zu spät erfolgen. Um dies sicherzustellen, müssen nach Einschätzung der DGP Patienten gut überwacht werden, um kritische Verschlechterungen rechtzeitig zu erkennen.

Kritik an der WHO: "Ärztlich nicht gut unterwegs"

„Die Kliniken sollten sich die Erkrankten in Ruhe anschauen: Covid-19 führt in der Regel nicht zum sofortigen Versagen der Lunge“, sagt Torsten Bauer, Vizepräsident der DGP und Chefarzt der Klinik für Pneumologie der Berliner Lungenklinik Heckeshorn.

Im Erkrankungsverlauf gebe es einen Bereich von wenigen Stunden, in dem die Patienten die Anreicherung des Bluts mit Sauerstoff nicht mehr ausreichend aufrechterhalten könnten.

Hier dürfe es nicht zu Einbrüchen kommen. „Unsere Strategie ist es, zunächst alles auszuschöpfen und dann immer wieder sehr zeitig zu prüfen, ob es funktioniert“, sagte Bauer dem Tagesspiegel.

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Er halte es nicht für zielführend, dass schwere Verläufe von Covid-19 generell als Akutes progressives Lungenversagen (ARDS) oder die sogenannte „Schocklunge“ beschrieben werden. „Wir haben viel Wert darauf gelegt, dass die Diagnose ARDS sehr differenziert verwendet wird“, sagt Bauer.

Er kritisiert die Weltgesundheitsorganisation (WHO), die ihre Behandlungsempfehlungen auf ARDS ausrichtet. „Das ist ein Fehler, weil es falsch verstanden wird“, sagt der Lungenspezialist. „Die WHO ist ärztlich nicht gut unterwegs.“

So habe sie auch Falschinformationen mitverbreitet: Ein Sprecher hatte von der Einnahme von Ibuprofen abgeraten, nachdem Aussagen über eine angeblich erhöhte Sterblichkeit unter Covid-19 veröffentlicht worden waren. Die UN-Organisation ruderte später zurück.

Nichtinvasive Beatmung aufwendiger als Intubieren

Doch manchen Experten gehen die Empfehlungen der DGP noch nicht weit genug. So hatte DGP-Präsident Michael Pfeifer erklärt, es sei ein „großer Fehler“, Intubationen nur als „Ultima Ratio“ zu sehen.

Bauer verwies darauf, dass nichtinvasive Verfahren aufwendiger sind als das Intubieren. „Was wir verhindern wollen, ist, dass Ärzte Patienten nichtinvasiv beatmen, die es bisher nicht gemacht haben“, sagte er.

„Natürlich können Erfahrene das besser“, sagte der Lungenarzt Gerhard Laier-Groeneveld, einer der führenden Experten in Deutschland auf diesem Gebiet, dem Tagesspiegel. Doch beginnen könne jede Klinik hiermit. Einige Häuser würden praktisch nie Patienten mit Covid-19 invasiv beatmen.

Für die sogenannte Chronisch obstruktive Lungenerkrankung (COPD) wurde gezeigt, dass Patienten mit nichtinvasiven Beatmungsverfahren im Durchschnitt länger leben. Doch die Ergebnisse lassen sich nicht direkt auf Patienten mit Covid-19 übertragen.

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Er selbst habe die Klinik gewechselt, da die im Harz gelegene Lungenklinik Neustadt bereit war, einige Patienten mit Covid-19 aus Frankreich aufzunehmen, sagt Laier-Groeneveld. Sie kamen intubiert, konnten aber teils nach wenigen Tagen wieder extubiert werden. Auch andere schwer kranke Patienten hätten bislang nicht invasiv beatmet werden müssen.

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Seiner Einschätzung nach könnten Patienten in Wuhan oder New York, die kein Atemgerät erhalten haben, so vielleicht sogar teils Glück gehabt haben.

Und intubierte Patienten sollten nicht nach den üblichen Standards für Patienten mit ARDS beatmet werden, sagt Laier-Groeneveld – stattdessen sollten sie etwa ein hohes Luftvolumen erhalten. Jeden Tag sollten Ärzte Spontanatmungsversuche machen und nach drei bis sieben Tagen extubieren, wenn sie wieder atmen können.

Bei Besuchen mit Mundschutz und Handschuhen besteht „überhaupt keine Gefahr“

Infektionen bei Ärzten und Pflegern könnten mit ausreichend Material vermieden werden, erklärt der Mediziner. „Wir haben einen Mundschutz hergestellt, der virendicht ist“, sagt Laier-Groeneveld – hinzu kämen Handschuhe und Schutzkittel.

Bislang habe es beim Personal in seiner Klinik noch keine Infektionen gegeben. Bei umsichtigem Umgang könnten auch andere Regeln gelockert werden: Wenn Besucher einen Mundschutz aus virusdichtem Vlies und Handschuhe tragen, bestünde „überhaupt keine Gefahr“, sagt er.

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Wichtig ist, dass die Behandlungsverläufe möglichst bald untersucht werden, um eine optimale Therapie der Patienten zu gewährleisten. In Europa wird zu diesem Zweck derzeit ein Register aufgebaut.

Ein Grund für die vielen Intubationen in den Gegenden mit den stärksten Ausbrüchen von Covid-19 war wohl, dass Ärzte die invasive Beatmung in der hektischen Lage standardmäßig schnell eingesetzt haben.

Auch in Deutschland wurde dies befürchtet: „Wir haben über mehr als vier Wochen massiven Druck gehabt, dass eine Welle von Patienten auf uns zukommt“, sagt Torsten Bauer von der DPG. Dies hat sich aufgrund der Kontaktreduzierungen und anderer Schritte zum Glück bislang nicht bewahrheitet.

Sofern es durch die derzeitigen Lockerungen nicht zu erheblichen Zunahmen der Infektionen kommt, werden die frei gehaltenen Intensivkapazitäten wohl zunächst nicht für Patienten mit Covid-19 gebraucht werden.

Laier-Groeneveld zufolge sind sie ohnehin kaum nötig: Solange Patienten möglichst lange ohne Intubation stabil gehalten werden können, sollte ein größerer Teil der schwer erkrankten Patienten auf normalen Stationen behandelt werden.

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