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Am 11. Januar 1991 trat das erste Gesamtberliner Abgeordnetenhaus nach der Wiedervereinigung in der Nikolaikirche zusammen.

© dpa

Abgeordnetenhaus: Aus der Kirche in den Kampf

Vor 20 Jahren konstituierte sich das erste Gesamtberliner Parlament. Politiker erinnern sich an den schwierigen Neuanfang – vor allem mit der PDS.

Das fing ja gut an. Das erste gemeinsame Abgeordnetenhaus des wiedervereinigten Berlin saß am 11. Januar 1991 nicht mal eine halbe Stunde beisammen, da brach der erste Ost-West-Konflikt auf. CDU und FDP empörten sich über einen Antrag der PDS. Die Nachfolgepartei der SED hatte in der Überschrift etwas vom „Gesamtberliner Abgeordnetenhaus“ geschrieben. Unerhört, fand die CDU-Abgeordnete Barbara Saß-Viehweger: „Früher haben Sie bzw. Ihre Vorgänger uns davon zu überzeugen gesucht, dass ein Teil unserer Stadt „Westberlin“ – in einem Wort geschrieben – hieße, und nun wollen Sie uns offensichtlich auch kein großes B mehr gönnen, sondern uns zu „Gesamtberlinern“ machen.“ Das Protokoll vermerkt Beifall bei CDU, FDP und SPD. Kurz darauf kam die Entgegnung der PDS-Abgeordneten Elke Herer: Die Kritiker sollten doch bitte in Artikel 88 der West-Berliner Verfassung schauen. „Dort steht: Gesamtberliner Abgeordnetenhaus!“ Das Protokoll vermerkt Beifall nur von der eigenen Fraktion, „Zurufe von der CDU“ und „Gelächter“.

„Politisch gab es eine klare Abschottung uns gegenüber“, erinnert sich heute, 20 Jahre später, Wirtschaftssenator Harald Wolf, der damals einer der 23 PDS-Abgeordneten war. „Wir waren die ganze erste Legislaturperiode durch die Unberührbaren.“ 20 Jahre ist es her, dass die 241 Mitglieder des 12. Berliner Abgeordnetenhauses – fast 100 mehr als heute – sich zur konstituierenden Sitzung in der Nikolaikirche unweit des Roten Rathauses zusammenfanden und die Teilung der Stadt auch parlamentarisch überwanden. Am Dienstagvormittag will das Abgeordnetenhaus mit einer Sitzung in der Nikolaikirche daran erinnern, Gastredner ist der frühere Bundeskanzler Gerhard Schröder, was – wie berichtet – bei der Opposition auf Kritik stieß.

Nicht nur für Harald Wolf ist es bis heute eine prägende Erinnerung, wie schwer es damals den anderen Parteien fiel, einen Umgang mit den Nachfolgern der DDR-Staatspartei zu finden, die zu jener Zeit von Stasi-Enthüllungen erschüttert wurde. „Jetzt mit der PDS in einem Parlament zu sitzen, war eine Erfahrung, die man erst mal verarbeiten musste“, erinnert sich CDU-Politiker Uwe Lehmann-Brauns, der seit 1979 im Abgeordnetenhaus sitzt. Besonders stark ist die Erinnerung an sein Wiedersehen mit Thomas Flierl – dem späteren Kultursenator – im Parlament: „Den kannte ich noch von Besuchen in Ost-Berlin als Abteilungsleiter im DDR-Kulturministerium, wo er scharf auf Abgrenzung bedacht war – und plötzlich war der mein Kollege im Abgeordnetenhaus. Das hat gedauert, bis ich mich daran gewöhnt hatte.“

Walter Momper (SPD) empfand die Stimmung als äußerst gereizt: „Es war furchtbar, wie die PDS-Abgeordneten behandelt wurden – vor allem Klaus Landowsky und andere von der CDU haben auf den toten Balg Kommunismus eingeschlagen und dabei auch Abgeordnete persönlich attackiert – das war unsäglich und unwürdig“, erinnert sich der heutige Präsident des Abgeordnetenhauses, der im Wendejahr 1989/90 Regierender Bürgermeister war, aber nach dem Wahlsieg der CDU Ende 1990 sein Amt an Eberhard Diepgen abgeben musste, der bereits von 1984 bis 1989 Regierender Bürgermeister gewesen war. Dass die Nachfolger der Honecker-Partei eines Tages zusammen mit der SPD die Berliner Landesregierung stellen würden, war damals allerdings auch für Momper „unvorstellbar“.

Inhaltlich hatte das neue Abgeordnetenhaus von der ersten Sitzung an viel zu tun. So stand am Tag eins die Abstimmung über die Übernahme der Verfassung für ganz Berlin an – also die staatsrechtliche Wiedervereinigung, wie der Verfassungsrechtler und CDU-Abgeordnete Klaus Finkelnburg damals betonte. Finkelnburg wird am Dienstag neben Gerhard Schröder als Gastredner sprechen und an die verfassungsrechtliche Bedeutung jenes Tages erinnern. In den folgenden Jahren standen zahlreiche Entscheidungen an, die Berlin veränderten: Straßen und Schienen zwischen Ost und West mussten wieder verbunden werden und wie die gesamte Infrastruktur neu zusammenwachsen, heftig wurde über den Abriss des Lenindenkmals in Friedrichshain oder die Durchfahrt durchs Brandenburger Tor gestritten, die Zukunftspläne für den Potsdamer Platz, die Debatte um den Abriss des Palasts der Republik und andere Projekte mit hohem Symbolgehalt nahmen ihren Anfang, zugleich galt es, den öffentlichen Dienst neu zu organisieren. Und die Bankgesellschaft Berlin wurde gegründet – Keimzelle einer Entwicklung, die 2001 mit dem Bankenskandal zum Ende der großen Koalition unter Eberhard Diepgen und zum Beginn des rot-roten Jahrzehnts führen sollte.

Für einen kurzen Moment gab es damals sogar eine „Allparteienkoalition der Freude“, wie Brigitte Grunert, langjährige Parlamentsberichterstatterin beim Tagesspiegel, 2001 in ihrer Festrede zum zehnten Jahrestag des Gesamtberliner Parlaments sagte: Als am 20. Juni 1991 der Hauptstadtbeschluss des Bundestages fiel, waren Abgeordnetenhausmitglieder von CDU bis PDS ausnahmsweise einmal vereint in Feierstimmung.

Doch die Freude über die Einheit wurde auch von großen Problemen überschattet. „Die wegbrechenden Arbeitsplätze führten zu einer enormen Perspektivlosigkeit für viele Berliner im leistungsfähigsten Alter“, erinnert sich Momper. „Täglich kamen Meldungen über verlorene Arbeitsplätze. Wir fühlten uns gegenüber der ökonomischen Situation machtlos.“

Auch der Kampf um die Kultureinrichtungen der Stadt, die sich nach Jahrzehnten der Subventionierung plötzlich nicht mehr rechneten, war eine Herausforderung für das Abgeordnetenhaus, wie sich Uwe Lehmann- Brauns erinnert: „Wir haben damals für die Erhaltung von so viel Kultureinrichtungen wie möglich gekämpft.“ Dennoch blieben Einrichtungen auf der Strecke, so das Schillertheater. 1993 wurde es wegen der finanziellen Notlage der Stadt geschlossen. Was die politisch-kulturellen Relikte der DDR anging, waren Lehmann-Brauns und die Mehrheit der Abgeordneten allerdings froh, die Symbole der Teilung aus dem Stadtbild zu entfernen: „Damals wollte alle, dass die Reste der Mauer, die Wachtürme und die anderen Überbleibsel jener Zeit verschwinden“, erinnert sich der CDU-Politiker. „Aus heutiger Sicht sehe ich es als Fehler – wir hätten bei der Dokumentation der Diktatur gründlicher sein sollen und mehr Relikte als Anschauungsmaterial erhalten sollen.“

Für Harald Wolf dominieren zwei Themen die Erinnerung an diese Jahre: Zum einen überschattete die Debatte um die Stasi-Belastung vieler PDS-Abgeordneter alles andere. Eine Zeitlang weigerte sich Wolf, der vom West-Berliner Grünen-Vorläufer Alternative Liste zur PDS gekommen war, für die Partei zu sprechen, so lange die Stasi-Frage nicht geklärt war. „Das war eine Auseinandersetzung, die Kraft kostete. Damals drohte die Fraktion zu zerbrechen.“

Das zweite prägende Thema jener Jahre war nicht nur für Wolf die Olympiabewerbung Berlins für die Spiele 2000, die eine politische Kontroverse quer durch die Stadt provozierte: „Da ist es uns das erste Mal gelungen, in ein breites gesellschaftliches Bündnis zu kommen und politischen Druck auszuüben.“ Für Wolf war dies die erste große Chance der PDS, sich politisch zu profilieren und aus dem Schatten der Stasi-Debatte zu treten. Am Ende dieses langen Marschs, elf Jahre nach der ersten Gesamtberliner Abgeordnetenhaussitzung von 1991, sollten Wolf und seine Genossen dann zusammen mit der SPD den rot-roten Senat bilden. Lars von Törne

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