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Berlin: Das friesische Nationalgericht in Berlin - Oldenburg lud zum 44. "Defftig Ollnborger Gröönkohl-Äten"

Alles drehte sich im Opernpalais Unter den Linden um Kohl. Der war buchstäblich in aller Munde und lag dann vielen schwer im Magen.

Alles drehte sich im Opernpalais Unter den Linden um Kohl. Der war buchstäblich in aller Munde und lag dann vielen schwer im Magen. Nachts hatten die meisten Kohl bis oben hin satt - bis zum 44. "Defftig Ollnborger Gröönkohl-Äten" im nächsten Jahr. "Kohl" sagen die Oldenburger zu dem krausköpfigen grünen Gewächs, das sie sich alljährlich in der kalten Jahreszeit auf die Teller häufen, umrahmt von schweinernen Kalorienbomben, deren eine "Pinkel" heißt.

Mit dem Nationalgericht Grünkohl erringt das "Land mit Weitblick" seit 1956 allerhöchste Aufmerksamkeit. Der damalige Bundespräsident Theodor Heuss brachte die Oldenburger auf die Idee, sich ihres Grafen Anton Günther zu besinnen, der die Region einst durch geschickte Pferdegeschenke aus den Wirren des 30-jährigen Krieges heraushielt und erblühen ließ. "Geht dorthin, wo entschieden wird, und bringt etwas mit", sagte Heuss den Niedersachsen. Vierzig Mal schleppten die Oldenburger danach ihren Kohl nach Bonn, krönten dort schlau auch alljährlich einen Grünkohlkönig - und kamen mächtig voran, ihr prächtiger Stadtautobahnring soll so ein königliches Wahl-Ergebnis sein.

Nach Berlin buckelten die Oldenburger ihren Grünkohl jetzt bereits zum dritten Mal und ließen ihn im Opernpalais vom niedersächsischen Ministerpräsidenten Sigmar Gabriel beschirmen. Bereden auch. Vor etwa 200 Gästen - unter anderen der frühere CDU-Minister Rudolf Seiters, die Bundesminister Edelgard Bulmahn und Reinhard Klimmt, Staatssekretäre wie Walther Stützle aus dem Verteidigungsminsterium, der SPD-Bundestagsfraktionsvorsitzende Peter Struck, die niedersächsischen Landesminister Heinrich Aller, Uwe Bartels, Heiner Bartling und Wolfgang Jüttner und der Berliner Parlamentspräsident Reinhard Führer - lobte er das heimische Nahrungsmittel über den grünen Kohl. Der Oldenburger Oberbürgermeister Jürgen Poeschel "kohlte" fünf Festredenseiten lang, und dann durften endlich alle über Kohl herfallen. Verrat am Kohl übte danach Bundesinnenminister Otto Schily. Dieser verabschiedete sich als amtierender Grünkohlkönig 1999 und philosophierte dabei nicht nur darüber, was Kohl eigentlich ist, sondern mutmaßte namentlich über seine majestätische Nachfolge. Und dies bevor dazu das "Kurfürsten-Kollegium" getagt hatte. Dabei musste sich das erlauchte Gremium schon 1999 niedersächsischen Wahlbetrug vorwerfen lassen - präsentierte es doch damals Schily den Kameras, bevor er "offiziell" gewählt war. Diesmal traf ein Mitesser das zur Grünkohlkönigs-Wahl abgeordnete "Kurfürsten-Kollegium" unter Leitung von Bundeslandwirtschaftsminister Karl-Heinz-Funke geschlossen auf der Männertoilette an. Bei einer eindeutig menschlichen, statt kohlpolitischen Handlung, woraus der Wackere schloss, dass auch die Wahl Michaele Schreyers zur Grünkohlkönigin 2000 nicht mit ehrlichem Kohl zuging. Die Proklamation des grünen Mitglieds der Europäischen Kommission zur Majestät beendete der Große Kurfürst alias Funke - mit dem Wunsch der Oldenburger an ihre neue Königin aus Brüssel: "Lassen Sie uns das, was wir haben. Geben Sie uns das, was wir wollen." Rhetorisch hatte Michaele Schreyer nach dem in seiner Heimat auch als Grabredner sehr beliebten Minister keine Chance - was ihre Regentschaft den Oldenburgern einbrachte, wird man 2001 hören.

Heidemarie Mazuhn

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