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Berlin: Der schwule Domprediger hält morgen seinen letzten Gottesdienst

Vor kurzem war sogar Seine Königliche Hoheit wieder am Telefon. Der Prinz von Preußen erkundigte sich sich nach dem Befinden des "Herrn Domprediger" und tat ansonsten so, als sei nichts geschehen.

Von Markus Hesselmann

Vor kurzem war sogar Seine Königliche Hoheit wieder am Telefon. Der Prinz von Preußen erkundigte sich sich nach dem Befinden des "Herrn Domprediger" und tat ansonsten so, als sei nichts geschehen. Martin Beer freut sich über den Anruf des prominenten Bekannten - egal, was der Prinz über den jähen Fall des Kirchenmanns denken mag: vom "Prominentenprediger" ("Süddeutsche Zeitung") am Berliner Dom zum Altenseelsorger im St.-Elisabeth-Stift in Prenzlauer Berg. Denn an die Geschichte seines Niedergangs erinnert sich Pfarrer Beer nur ungern. Und sprechen will er darüber schon gar nicht. Er nicht und sein Anwalt auch nicht. Nur soviel: "Die letzten beiden Jahre waren furchtbar", sagt Beer, der für die Evangelische Kirche ein bisschen zu feuchtfröhlich feierte und ein bisschen zu schwul liebte. Jedenfalls meinten das einige Gemeindemitglieder, darunter einige sehr distinguierte Damen und Herren.

Und wie zufällig war die Information von den Lastern des Predigers zur Kenntnis der Kirchenoberen gelangt. Die Informanten hatten nicht versäumt anzufügen, dass sie allein die Sorge um die Gesundheit und den guten Ruf des Pfarrers umtreibt. Fast zeitgleich brachte ein anderer Bekannter des Predigers, der Rechtsanwalt B., Brisantes zu Papier. Beer soll den volljährigen Sohn dieses Rechtsanwaltes sexuell belästigt haben. Das reichte. Der Domprediger wurde beurlaubt, ein Disziplinarverfahren veranlasst. Der Pfarrer gestand die Liebesnacht mit dem jungen Mann, bestritt aber jede Nötigung.

Beer sitzt noch immer in seiner großzügigen Dienstwohnung in Sichtweite des Doms, darf an seinem alten Arbeitsplatz aber nicht mehr amtieren. "Ich will raus aus der Schmuddelecke", sagt er. Aus seiner homosexuellen Veranlagung macht er kein Geheimnis mehr. Mit dem Widerspruch, den ihm die Kirche in seinem Amt aufzwingt, kann und will er nicht leben. Die Ehe ist demnach das Leitbild für evangelische Pfarrer, doch homosexuelle Pfarrer werden ausdrücklich toleriert. Für Homosexuelle wiederum ist die Ehe tabu, homosexuelle Pfarrer können ihre Sexualität also nicht ausleben. Martin Beer will mit diesem Widerspruch jetzt offensiv umgehen. "Warum dürfen wir Schwulen nicht heiraten?", fragt er. "Warum gilt für uns nicht das gleiche Recht wie für alle anderen - vor der Kirche und vor dem Staat?" Der Seelsorger will für die Ehe unter homosexuellen Paaren kämpfen. In einer öffentlichen Zeremonie will er bald ein mit ihm befreundetes schwules Paar trauen und deren adoptiertes Kind taufen. Am liebsten im Berliner Dom.

Doch dieser Ort wird wohl nicht mehr in Frage kommen. Seit dem Frühjahr 1998 hat Beer um sein Amt an der ehemaligen preußischen Schlosskirche gekämpft. Er war Prediger mit Leib und Seele. Er war stolz darauf, 1989 aus einer kleinen mecklenburgischen Pfarrei an den Berliner Dom gewechselt zu sein. Dennoch hat er im kirchlichen Disziplinarverfahren im September letzten Jahres in einen Vergleich eingewilligt. Mit dem Ergebnis, dass er auf das begehrte Amt verzichten musste. Seine unscheinbare Stelle im St.-Elisabeth-Stift hatte er schon vorher angetreten. Beer sah damals ausgezehrt aus, konnte weder essen noch schlafen. Beim Sprechen verkrampften sich seine Gesichtszüge, ganz hinten aus der Kehle presste er jedes Wort hervor. Jede freimütige Äußerung oder Rechtfertigung in der Öffentlichkeit konnte ihm zum Verhängnis werden. Seine Gegner warteten auf weitere Fehler.

Und Fehler hatte Beer gemacht. Reichlich. Immer wieder hatte sich der streitbare Geistliche gegen die Kirchenleitung gestellt, wenn es um die Nutzung des Domes oder eine neue Domkirchenordnung ging. Beer war strikt dagegen, die zentrale Kirche des ehemaligen Preußen als Konzert- oder Ausstellungshalle zu nutzen, damit Geld in die leeren Kirchenkassen fließen kann. Auch darüber, wer im Dom das Sagen hat, hatte er eindeutige Vorstellungen: Eigentümer der Kirche sei die Domgemeinde, vertreten durch das Domkirchenkollegium oder den Pfarrer. Den Einfluss der Evangelischen Kirche der Union (EKU), ein eher kirchenrechtliches Fossil aus preußischen Zeiten, wollte Beer klein halten, den Einfluss mancher Mitarbeiter auch. Dabei geriet der Domprediger immer wieder mit Bediensteten über Kreuz. Kollegen, etwa vom Evangelischen Kunstdienst oder aus der Küsterei, fühlten sich von ihm gegängelt und bevormundet.

Zuweilen hat sich Beer überschätzt, etwa als er locker in der Öffentlichkeit von Neid und Missgunst der anderen sprach. Jahrelang sonnte sich der Domprediger im Licht der Prominenz. Ging es um den Dom, war er der Ansprechpartner. Wo Sektgläser klirrten oder Reden gehalten wurden, fehlte auch Beer nicht. Papst Johannes Paul II. bat zweimal zur Privataudienz, der damalige Bundespräsident Roman Herzog lauschte regelmäßig den Predigten Beers und lud den Seelsorger auf offizielle Empfänge ein, der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl klopfte ihm jovial auf die Schulter, und nicht selten speiste Beer bei Mitgliedern des Hauses Hohenzollern. Ende 1997 stand der damals 47-Jährige auf dem Gipfel seiner Laufbahn. Der Junge aus der Provinz war in der Mitte der Metropole angekommen. Umso tiefer dann der Fall.

Ein Stasi-IM? Alles widerlegt

Doch viele Mitglieder der Gemeinde hielten zu ihrem Seelsorger. Einige Gemeindebeiratsmitglieder hatten ein paar Fragen an den EKU-Präsidenten Wilhelm Hüffmeier: Warum hatte man sich zuerst an die Kirchenoberen gewandt und nicht an Beer selbst? War das Ganze ein Komplott? Hüffmeier habe geantwortet: "Wenn Sie das herausfinden, bin ich sofort auf Ihrer Seite." Öffentlich ließ die EKU nur verlauten, dass es bei dem Verfahren um "Amtspflichtsverletzungen" gehe. Auch die Masse der Gemeindemitglieder ließ die Kirche im Ungewissen. Wilde, letztlich widerlegte Gerüchte über den Domprediger als Stasi-IM sowie über Alkoholexzesse und Sex mit Minderjährigen machten die Runde.

Andere Gemeindemitglieder glaubten, dem Domprediger sei eine Falle gestellt worden. Beer sei den Kirchenoberen zu mächtig und zu populär geworden. "Uns war egal, ob Martin Beer schwul ist oder nicht", sagt Hans-Joachim Schuber, damaliger Vorsitzender des Gemeindebeirates. "Er ist ein guter Seelsorger und hat die Domgemeinde zu etwas gemacht." In Beers Amtszeit war die Gemeinde, die aus Mitgliedern aus dem gesamten Berliner Einzugsbereich besteht, um mehr als das Doppelte gewachsen. Die Gottesdienste waren gut besucht, Beer galt als guter Prediger.

Doch der Entschluss des Domkirchenkollegiums, ihn jetzt noch einmal auf die Kanzel zu lassen, ist in der Gemeinde "nicht unumstritten". Das sagt Pfarrer Friedrich Wilhelm Hünerbein, Beers Vertreter als Domprediger und inzwischen auch Bewerber um seine Nachfolge. "Einige Gemeindemitglieder hielten die Entscheidung für problematisch." Zumal Beer noch als "Domprediger" angekündigt wird. Ein bisschen mulmig ist auch Hünerbein vor dem großen Ereignis. "Das reißt einige Gräben wieder auf. Dabei hatte sich die Gemeinde gerade wieder zusammengefunden." Im Grunde sei das ganze "Für und Wider" um Pfarrer Beer aber völlig normal. Auch, dass nun einige Gemeindemitglieder mit dem Pfarrer in seine neue Kirche im St.-Elisabeth-Stift abwandern.

Hünerbein jedenfalls will wie Hüffmeier ("Jeder Abschied ist eine Geste der Versöhnung") am morgigen Sonntag dabei sein. Dann nämlich findet der Abschiedsgottesdienst für Beer im Berliner Dom statt. Danach geht es zum Empfang im Opernpalais - einem ganz besonderen Ort. Denn unter anderem hier soll das ausschweifende Leben des Martin Beer sich manifestiert haben. Oberkirchenrat Jürgen Rhode, zuständig bei der EKU für Disziplinarangelegenheiten, betätigte sich unter anderem hier als Detektiv. Der eifrige Ermittler befragte die Kellner von Lokalen, die Beer regelmäßig besucht hatte. Zeugen, die keine Auskunft gaben, wurden offenbar zuweilen beschimpft und unter Druck gesetzt, wie der Geschäftsführer eines Restaurants im Beisein seines Anwalts berichtete. Der Vorwurf des unsteten Lebenswandels - Alkohol und öffentliche Anmache junger Männer - sollte erhärtet werden, nachdem die Verdachtsmomente wegen finanzieller Untreue in sich zusammengefallen waren.

Dass das Verfahren in einem Vergleich endete, lag wohl im Interesse beider Seiten. Beer hätte ein jahrelanges Verfahren nicht durchgehalten. "Der ist schon vor dem Prozess nervlich am Ende", hatte sein Anwalt Jürgen Waldheim damals gesagt. Die Kirche wollte das Verfahren abkürzen, um die Stelle des Dompredigers möglichst schnell wieder zu besetzen, verlautete aus EKU-Kreisen. In die Domgemeinde sollte schließlich wieder Ruhe einkehren. Offiziell will sich aus der EKU heute niemand mehr zu dem Fall äußern.

Um des lieben Friedens willen wurde Beer sogar zugestanden, zwischenzeitlich an seiner ehemaligen Wirkungsstätte Trauungen vorzunehmen. "Das geschah auf den Wunsch von Gemeindemitgliedern", sagt er. Man sieht ihm die Genugtuung an. "Wieder einmal im Talar im Dom zu stehen - wie lange habe ich mir das gewünscht", sagt er. Auch einige Freunde haben sich wieder gemeldet. Oder Beer ruft sie an und lädt sie ein zu seiner Abschiedsfeier. "Das soll nochmal ein richtiges Fest werden." Helmut Kohl ist am Sonntag zwar nicht dabei. Doch immerhin hat der den ehemaligen Domprediger für Montag zum Kaffee eingeladen.

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