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Schauplatz BERLIN (Rätsel 15): Frau zwischen den Fronten

Fast an jeder Ecke in Berlin hängt eine Gedenktafel, 2820 sind es insgesamt. Der Tagesspiegel bietet jede Woche ein Gedenktafel-Rätsel. Sie, liebe Leserinnen und Leser, dürfen jeweils herausfinden, ob Sie den Ort, die Person beziehungsweise das Ereignis kennen. Rätseln Sie mit bei Folge 15!

Von ihren glücklichsten Jahren wohnte sie die zweite Hälfte, frisch verheiratet, in der jetzt mit ihrem Namen und ihrer Gedenktafel bezeichneten Fachwerkvilla aus gelben Ziegeln, die heute zwischen einer Mietskaserne und einem Döner-Bistro steht. Ihr Geburtsort lag in Sachsen; widersprüchliche Angaben zur Vita mag jener Roman befördert haben, der ihr Heldenschicksal 14 Jahre nach ihrem Tod verarbeiten wird. Ob der Vater Architekt war, Steinmetz oder Lampenhändler: Ihre exotischen Ausbildungsträume finanziert er, sie darf Bildhauerei in Schweden studieren, erhält Preise für erste Werke. Sie begeistert sich fürs Hochsee-Segeln, kehrt nach drei Jahren heim mit Kisten voller Plastiken. Am Polytechnikum der Landeshauptstadt hospitiert sie bei Mathematikern, Flugmechanikern und Schiffskonstrukteuren. Erobert in Berlin, als erste Deutsche, eine Männerdomäne. Setzt sich durch gegen Tricks missgünstiger Kollegen, erwirbt Lizenzen, fasziniert das Publikum als waghalsige Pionierin, gründet eine Schule, eine Firma, meldet Patente an. Heiratet im Januar 1913 nicht den befreundeten Siemens-Enkel, sondern einen ausländischen Kollegen. Ihren Morphiumkonsum zur Linderung jobbedingter Verletzungen hat sie da noch im Griff. Als ihr Projekt unternehmerisch durchstarten soll, bricht Krieg aus.

Eigentlich ist sie hart im Nehmen. „Nur ein Schlüsselbeinbruch, nächst dem Ehebruch der leichteste“, kommentiert sie einen Unfall im Alltag der technischen Testläufe. Doch ihre berufliche Zerstörung verwindet sie nicht: Der Betrieb des Ehepaares war 1914 geschlossen worden. Sie seien als „feindliche Ausländer“ interniert worden, resümiert die Verbitterte 1923, ihr Mann sei schwer erkrankt, Firma und Wohnungsinventar seien verhackstückt worden. Interniert in der Prignitz habe sie „eine Hölle kleinlichster Nadelstichpolitik“ erfahren. „Wir standen vor einem zertrümmerten Leben … man hat uns buchstäblich zugrunde gehetzt … Erst im kommenden Herbst … wird die Handlungsweise der deutschen Behörden in unserem Falle vor dem Pariser Schiedsgericht ihre Sühne finden, uns damit das Geld für neue Tätigkeit wieder freigeben.“ Ehekrise, Drogensucht, Depression. Die Entschädigung verdampft mit der Inflation. Ihr Versuch, an die Innovation der eigenen Branche anzuschließen und dafür die notwendige Lizenz zu erneuern, endet im Crash. Am nächsten Tag erschießt sie sich in einer Wilmersdorfer Pension.

Wer war’s? Wo findet sich ihre Tafel? Auflösung am Mittwoch auf www.tagesspiegel.de/schauplatz

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