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Foto: Wolfgang Mrotzkowski

© Wolfgang mrotzkowski

Berlin: „Ich packte sie am Kragen“

Anita R. vertrieb im Alter von 93 eine Diebin. Wie das gelang, erzählt sie vor Gericht. Und hier.

Frau Anita R., Sie hatten vor 13 Monaten ungebetenen Besuch. Sie, damals 93 Jahre alt und nicht mehr so gut zu Fuß, waren allein zu Hause. Was ist damals in Ihrer Wohnung in Neukölln passiert?

Es klingelte. Ich öffnete nur einen Spalt weit. Eine Frau stand da, einfach und nett, wenn man sie so sah. Sie sagte, die Verwaltung habe sie geschickt – ob ich ihr die Wohnung zeigen würde, weil sie so eine Wohnung im Haus mieten wolle. Dann aber drückte sie die Tür auf und huschte an mir vorbei – in einem Zug bis ins Schlafzimmer. Ich war verdutzt. Angeblich wollte sie ausmessen, ob ein großes Bett dort stehen kann. Aber sie hatte gar keinen Zollstock dabei. Als sie vor meinem Bett kniete, unter die Matratze griff und da buddelte, wusste ich, was sie wirklich wollte. Viele alte Leute haben dort Geld versteckt. Ich aber nicht.

Offenbar handelte es sich um eine Trickdiebin, die 57 Jahre jüngere Hatice K. Gegen Sie haben Sie am Dienstag im Kriminalgericht Moabit ausgesagt.

Was sich diese Frau geleistet hat! Als sie an der Matratze war, habe ich sie gepackt und aus dem Zimmer gezogen. Doch an dem Tag war es wie verhext. Sie stand dann im Wohnzimmer an meinem Schreibsekretär. Leider war er nicht verschlossen. Ihre Finger wanderten hin, ich machte schnell die Klappe zu. Sie konnte ihre Hand gerade noch wegziehen. Ich habe sie am Kragen gepackt. Mit den Worten: „Raus, raus, raus! Ich will sie nicht in meiner Wohnung haben!“

Das klingt mutig. Hatten Sie keine Angst?

Mutig? Sie war zierlich und nicht größer als ich. Aber es stimmt: Ich bin schon ziemlich wackelig. Der Kopf ist noch klar, aber die Gelenke…naja. Wenn sie mich geschubst hätte, wer weiß. Jetzt lege ich jedenfalls immer den Riegel vor die Wohnungstür - immer, immer. Dann kann man sie nicht aufdrücken.

Nach der Begegnung erstatteten Sie zunächst keine Anzeige. Warum?

Weil ich gut aufgepasst habe, ist auch nichts weggekommen. „Lass sie sausen“, habe ich zu meinem Sohn gesagt. Aber er ist pensionierter Polizist. „Nein, sie macht es auch mit anderen Menschen“, stand für ihn fest. Er leitete alles in die Wege. Ein paar Wochen später kam jemand von der Polizei zu mir.

Sie konnten die Täterin nicht sehr genau beschreiben. Aber Sie hatten für die Ermittler eine Überraschung.

Meine Augen sind nicht mehr in Ordnung. Ich kann Figuren sehen, aber Gesichter kann ich kaum erkennen. Doch als die Frau aus meiner Wohnung war, hatte ich etwas Dunkles vor der Tür zum Schlafzimmer entdeckt. Es fühlte sich an wie Wolle. Es war eine schwarze Mütze. Da dachte ich, dass vielleicht ein Haar der Täterin daran sein könnte, durch das man sie identifiziert kann. Von einem Polizisten erfuhr ich schließlich, dass die Frau in Untersuchungshaft sitzt.

Ihr Sohn hat Sie zum Prozess begleitet und im Rollstuhl in den Saal geschoben. Mit 94 Jahren wirken Sie aber sehr fit! Was ist Ihr Rezept?

Das ist eigentlich ganz einfach. Ich esse wenig Fleisch, viel Obst und Gemüse.

Das Gespräch führte Kerstin Gehrke

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