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Elisabeth Schmidt

© privat

Nachruf auf Elisabeth Schmidt: So jeht dit nich’!

Sie konnte nerven, übergriffig sein. Aber wer wollte ihr das übel nehmen?

Wenn Elisabeth wieder mal fröhlich „Die Gedanken sind frei“ singt, kommt sie eben ein paar Tage in den „Kerker“ – Isolationshaft mit verschärften Bedingungen, das kennt sie ja schon. Die junge Kinderkrankenschwester sitzt 1962 in Bautzen ein. Jemand hatte den Tunnelbau nach West-Berlin, an dem sie beteiligt war, noch während der Planung verraten. Sie wollte ihren älteren Geschwistern folgen, die sich rechtzeitig vor dem Mauerbau abgesetzt hatten.

Schon während der Lehre in der Charité eckt Elisabeth mit großer Unbekümmertheit an. Hierarchien sind ihr fremd, Oberärztin, Oberschwester, Hausmeister, für sie sind alle gleich. Sie ist das kleinste Rad im Getriebe, na und? Selbst im Knast mag sie sich nicht ins scheinbar Unvermeidliche fügen.

Elisabeth hat Glück, nach einem knappen Jahr wird sie freigekauft. Sie beginnt ein neues Leben im Westen. Die Eltern sind früh gestorben, sie ist jung genug, um nicht reumütig zurückzuschauen. Es dauert mehr als 50 Jahre, bis die gläubige Katholikin 2015 im Erzählcafé einer Britzer Kirchengemeinde von ihren Erfahrungen als Geflüchtete berichtet. Das konservative Publikum ist, trotz aller Nächstenliebe, besorgt über die vielen Flüchtlinge des Herbstes, aber Elisabeths energische Schilderung des eigenen Schicksals „erschüttert die Gemeinde in guter Weise“. So drückt es eine Freundin aus, die dabei war.

Halbgötter, die Nachhilfe in Menschlichkeit brauchen

Der Anfang des neuen Lebens ist nicht leicht, Elisabeths Ausbildung wird nicht anerkannt und der Wunsch, wieder als Kinderkrankenschwester zu arbeiten, bleibt ihr verwehrt. Sie fängt bei niedergelassenen Ärzten an. Klassische Halbgötter in Weiß, die viel Nachhilfe in Menschlichkeit brauchen, und Elisabeth hilft gern. Sie versucht, die Ärzte zu dem zu erziehen, was sie unter Wohlanständigkeit versteht – und wird entsprechend tyrannisiert. Wenn es nicht mehr geht, geht sie und fängt woanders an.

Bis sie mit 56 Jahren auf dem Arbeitsamt sitzt und sich beklagt, in ihrem Alter würde sie doch eh‘ keinen Job mehr bekommen. Am liebsten würde sie dem Gesundheitssystem den Rücken kehren und in einem Hospiz arbeiten.

1997 gibt es in Berlin noch keines. Aber es gibt ein Projekt in Neukölln, „Das andere Krankenhaus“, gegründet von zwei Krankenschwestern, die auf Krebsstationen erlebt haben, wie dort Menschen auf eigenartige Weise übrigbleiben: unheilbar, aber mit Bedürfnissen, die zuhause nicht zu erfüllen sind. Ignoriert, weil austherapiert, und in ihrem Übergang vom Leben in den Tod allein gelassen.

So entsteht das erste Hospiz der Stadt, „Ricam“, in einem Dachgeschoß in der Delbrückstraße. Elisabeth trifft dort auf Menschen, die sich vom Schicksal der Patienten berühren lassen und sich immer wieder die Frage stellen: Was braucht ein Sterbender? Sie findet ihre eigene Antwort: „Potente Medizin und ein liebendes Herz.“ Wenn es um letzte Wünsche geht, bringt sie alle an den Start, Familie, Freunde, Pflegende. Sie dirigiert sie energisch, bis alle machen, was sie ihnen zugedacht hat. Sie kann nerven, übergriffig sein, aber wer wollte ihr das übel nehmen?

Eine Frau zum Beispiel möchte noch einmal ihr Haus besuchen, bevor sie stirbt. Elisabeth besucht die zwei erwachsenen Söhne, die dort leben, und findet die Wohnung in erbärmlichen Zustand. „Nee, so jeht dit nich’. Da liegt‘n Berg Wäsche, da hängt die Gardine, die Wand is‘ dreckich. Da wird heute jemalert! Ick hab noch‘n Eimer Farbe im Keller, den bringick euch. Aber enttäuscht mich nich‘!“

Als der Rücken nicht mehr mitmacht und Elisabeth die schwere Arbeit in der stationären Betreuung nicht mehr schafft, wechselt sie in die ambulante Sterbebegleitung. Sie besucht jetzt Menschen, die zuhause sterben. Unter den Kolleginnen gilt sie als diejenige, die man dort hinschicken kann, wo andere aufgeben. Mit ihrer direkten, aufrechten Art kommt sie auch mit den ganz schwierigen Charakteren zurecht.

„Der muss da nicht traurich rumsitzen“

Eine Kollegin erzählt von einem älteren Herrn, oder sagen wir’s mit ihren Worten, von einem „schrecklichen Stinkstiefel und ollen Nazi“. Elisabeth kümmert sich um ihn und bekocht ihn auch. Wer je ihre Buletten kosten durfte – das Geheimnis ist ein Schuss Selterswasser –, schwärmt von ihren Kochkünsten. Sobald der Mann wieder anfängt vom Führer zu schwärmen oder über Juden zu hetzen, wird Elisabeth ungemütlich: „Ick hau‘ ab! In meiner Nähe sagst du so wat nich‘!“ Sie ist die Frau mit dem guten Essen. Der Nazi reißt sich tatsächlich zusammen.

Das „Ricam Hospiz“ ist eine Heimat für Elisabeth. Auch als sie schon in Rente ist, kümmert sie sich noch um den Adventsbasar, schmückt die Räume für Feste und organisiert einen Tauschring. Und sie gründet die „Flower-Power-Gruppe“. Über der Etage mit den 15 hellen Gästezimmern liegt ein großer Dachgarten mit Blick über Neukölln. Dort muss immerzu geschnitten, gepflanzt und gedüngt werden. Elisabeth bezieht wieder alle mit ein, auch Leute aus der Kleingartenkolonie ihrer Schwester oder Peter, einen Witwer, der noch oft ins Hospiz kommt, um seiner Einsamkeit zu entfliehen. „Der muss da nicht traurich rumsitzen. Der soll mal in den Garten kommen.“

Es ist nicht leicht für ihre Freunde, Elisabeth zu überreden, zum Arzt zu gehen. Sie atmet schwer und bekommt schlecht Luft. Das Herz schwächelt, aber wenn wieder ein neuer Stent gesetzt ist und es etwas besser geht, vergisst sie, sich zu schonen und kümmert sich lieber wieder um die anderen. Ab und zu gönnt sie sich etwas, geht ins Restaurant oder fährt noch einmal an ihren Sehnsuchtsort in Österreich, wo sie seit Ewigkeiten eine Bauernfamilie kennt.

Sie wird immer ruhiger, einsilbiger. „Sonne ist durch nichts zu ersetzen.“ Solche Sätze sagt sie noch. Oder ein bescheidenes, halb ehrliches „Ach geht’s uns gut.“ Sie zieht sich zurück in ihre kleine Einzimmerwohnung in Kreuzberg. Jetzt ist sie auf der anderen Seite, eine Sterbende. Eine Elisabeth, eine, die sich um sie kümmert, will sie nicht. Sie stellt eine Kerze auf, zur Sicherheit eine mit Batterie, und legt sich hin. Sie will allein sterben.

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