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Berlin: Ohne künstliches Kniegelenk läuft manchmal nichts mehr

Wenn die Vorschädigungen zu groß sind, helfen auch neuartige Meniskus-Implantate aus Kunststoff nicht mehr weiter

Man kann nicht sagen, dass sich Sabine Ekhoff wie neu geboren fühlt. Vor gut einer Woche wurde sie am Knie operiert. Wieder einmal. Wann sie nach inzwischen eineinhalb Jahren das Morphium gegen die Schmerzen absetzen kann, steht noch in den Sternen. Sie hat schlecht geschlafen und hat keinen Appetit – obwohl es an diesem Tag Lammspießchen gibt.

Die Leidensgeschichte der heute 44-Jährigen begann, als sie 16 Jahre alt war. „Ja, das ist ein Knorpelschaden“, hatte ihr Arzt damals zu den Schmerzen im linken Knie gesagt. Und er sagte auch das noch: „Mit 40 Jahren sitzen Sie im Rollstuhl.“ Aufbauender als diese Prognose sollten die Spritzen sein, die sie bekam. Sie sollten den Knorpel wieder aufbauen. Es half alles nichts. Mit 16 Jahren lag die ausgebildete Krankenschwester zum ersten Mal auf dem OP-Tisch: Korbhenkelabriss im Meniskus. Drei Jahre später folgte die nächste Meniskusoperation. 2004 waren die Kniebeschwerden wieder voll da, die „Stoßdämpfer“ verschlissen.

Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes gibt es jährlich etwa 420 000 Meniskus-Patienten, Tendenz steigend. Mehr als die Hälfte von ihnen sind Sportler, beispielsweise Fußballer, Skifahrer oder Handballer. Operiert werden müssen davon etwa 189 000 Patienten jährlich. Vielen von ihnen könnte ein neues Implantat möglicherweise helfen, einen Knorpelschaden und damit eine spätere Arthrose zu vermeiden. Die Voraussetzung dafür ist, dass ein Teil des eigenen Meniskus noch da ist. An diesen wird das Implantat angenäht. Das Produkt namens Actifit hatte im Sommer die europäische Zulassung erhalten. 60 Patienten wurden in Europa bislang mit dem Implantat versorgt.

Das Kunststoffimplantat wird so an den beschädigten eigenen Meniskus angenäht, dass es durchblutet wird und ein meniskusähnliches Gewebe entsteht. Der Kunststoff baut sich ab, wie die Londoner Herstellerfirma Orteq Bioengineering vor einer Woche zur Markteinführung in Heidelberg versicherte. Nach Auskunft der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Orthopädische Chirurgie gab es bislang nur ein Implantat aus Tierkollagen, das jedoch nicht langfristig stabil sei. Das Kunststoffprodukt sei wesentlich weiter entwickelt, sagte der Münchner Facharzt Michael Krüger-Franke, Vorstandsmitglied der Gesellschaft, auf Anfrage. Langfristige Erfahrungen gebe es allerdings noch nicht. Und auch bei diesem Implantat gibt es ein Risiko, so Krüger-Franke: „Es kann scheitern!“

Bei Sabine Ekhoff war der Knorpelschaden des dreimal voroperierten Meniskus so erheblich, dass die Ärzte vorschlugen, eine ACT-Transplantation vorzunehmen. Dabei werden körpereigene Knorpelzellen transplantiert. Gut zwei Wochen nach der ambulanten Zellentnahme konnte das Transplantat eingesetzt – das heißt in diesem Falle eingeklebt – werden. Doch es wuchs nur an den Rändern fest. In halbjährlichen Abständen kam es immer wieder zu Operationen – wegen Verklebungen, Verkapselungen, Verwachsungen. Schließlich splitterte ein Stück vom Knorpel ab.

Im Januar dieses Jahres sollte nun endlich eine Teilprothese eingesetzt werden – da war plötzlich am äußeren Gelenkkörper etwas abgebrochen. Die entzündeten Teile des Knies wurden ausgeräumt, das Knie wieder zugenäht. „Im Sommer kamen Wahnsinnsschmerzen“, erinnert sich Sabine Ekhoff, die sich inzwischen in die Pflegedienstleitung eines Seniorenheims – das Waldthausen-Stift in Essen – hochgearbeitet hatte. „Eine Gelenkprothese einzusetzen ist unverantwortlich“, riet ihr behandelnder Arzt. Sabine Ekhoff holte daraufhin eine zweite ärztliche Meinung ein. Zuvor war in einer Kernspintomographie ein Knochenmarksödem im Knie geortet worden. Das hatte die starken Schmerzen verursacht und breitete sich aus. Sabine Ekhoff entschloss sich zum Austausch des alten, doch immerhin körpereigenen Gelenks gegen ein künstliches. „Wenn die Arthrose zu schmerzhaft ist, der subjektive Leidensdruck zu groß und objektiv keine anderen Therapiemöglichkeiten mehr bestehen, lässt sich ein künstliches Kniegelenk nicht mehr umgehen“, sagt der Facharzt Michael Krüger-Franke.

Es gibt unterschiedliche künstliche Kniegelenke. Sabine Ekhoff bekam eine „Journey“-Prothese. Das Modell läuft unter Medizinern unter dem Kosenamen „High-Flex“-Knie. Ein wesentlicher Vorteil ist, dass diese Prothese zum einen für Allergiker, zum anderen in anatomischer Hinsicht für Frauen besonders gut geeignet ist. Sie gehört zu den momentan modernsten und teuersten Produkten auf dem Markt. Die Beugefähigkeit des operierten Gelenkes soll angeblich höher sein als bei vergleichbaren Prothesen. Ein Hinhocken wird mit dem künstlichen Knie indes nicht mehr möglich sein. Es ist eben eine Prothese, ein Ersatzteil ohne Gefühl. Es gibt Patienten, denen das Geknirsche der neuen Mechanik sehr zusetzt, obschon das Biegen des neuen Gelenks gar nicht weh tut– die Patienten erleben dennoch fast schon einen Phantomschmerz. Reinhart Bünger

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